Blickwinkel
© Kelke Brinkmann
Ich sitze mit meinem Hund hier in unserem idyllischen Garten. Die Langeweile steigt Sekunde um Sekunde. Was soll ich tun, frage ich mich. Was? Ich lasse meinen Blick über dieses kleine, noch nicht von der Industrie übernommene Fleckchen Erde schweifen. Was ich sehe? Ich sehe Gras, teilweise noch grün. Sieht man genauer hin, entdeckt man an einigen Stellen Ameisen. Tag für Tag laufen sie doch eigentlich sinnlos durch diese selbstzerstörerische Welt. Zwei Stöcke, die der Hund gefunden hat. Bäume, darunter auch
Apfelbäume, deren Früchte dem Gaumen wohl schon seit einigen Jahren nicht mehr wohltuen. Einen, aus einem Treckerreifen bestehenden Sandkasten, damit der Kleine meiner besten Freundin auch was zu tun hat, während sie mich mit ihrer Anwesenheit beglücken. Etwas Spielzeug für den lieblichen Hund, darunter drei verschiedene Bälle, sowie eine Schale, eigens für Hundewasser angeschafft. Eine Regentonne, in der die wohl plagendsten Geschöpfe, die Gott je geschaffen hat, im Anfangsstadium leben. Ein Gartentisch, mit
den dazu gehörigen Stühlen, und eine Hollywoodschaukel. Auf dem Tisch befinden sich zur Zeit eine fast leere Flasche 0,5l-Flasche ACE-Drink, ein Spanisch-Wörterbuch, mein Buch, in das ich allen möglichen Mist schreibe, ein Roman, den ich immer noch nicht angefangen habe zu lesen, ein Aschenbecher, ein fast leeres Päckchen Zigaretten der Marke FAIR PLAY, zu Deutsch GERECHTES SPIEL, ein Feuerzeug und die Hülle des Kullis, mit dem ich diese kostbaren Worte niederschreibe. Weiterhin sehe ich das Haus, indem die ganze
Familie, mitsamt zwei Hunden, einem Vogel und einem Kaninchen wohnt. Unter dem Vordach befindet sich ein altes grünes Sofa, sowie zwei Fahrräder, ein Rasenmäher und der Gartenschlauch, den wir eigentlich nie nutzen. Des weiteren sehe ich eine Wäscheleine, an der vier Handtücher, sechs Socken, fünf Hosen und ein bunter Bettbezug hängen. Dazu sehe ich einen großen Sperrmüllhaufen, dem mein Hund stets sehr viel Beachtung schenkt, den roten Opel meines Vaters, eine Mülltonne und einen Hundezwinger, der aber nicht
als solcher genutzt wird. Ein paar der köstlichen Äpfel liegen auf dem Boden. Angrenzend an unserem Garten ist eine Weide, der mein Hund aufgrund der anscheinend vorzüglichen Ausscheidungen der Pferde, die diese Weide besuchen, sehr zugeneigt ist. Darauf befindet sich außerdem ein grüner Anhänger, weiter hinten noch ein zweiter, beladen mit alten Reifen. Das ist alles, was ich von diesem Blickwinkel aus sehen kann.
Es ist doch nahezu verwunderlich, dass es an diesem Ort noch so reichlich Freiraum gibt, obwohl dieses Land; genauer: diese Welt, doch immerzu kommerzieller und industrieller wird.
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