Die etwas anderen Musiknoten
© Petra Martinec
Mein Sohn Maurice begann im zarten Alter von 2 Jahren mit der Musikschule. Dort wurde er auf spielerische Weise mit der, für mich heute noch, unverständlichen aber wundervollen Welt der Musik vertraut. Um ihm dieses zu ermöglichen, musste ich Monat für Monat viele Banknoten hinlegen. Natürlich gehört auch der Umgang mit einem Instrument dazu, in seinem Fall ist es das Klavier: Um dies auch spielen zu können, mussten die kleinen Pianisten in spe selbstverständlich auch Noten lernen. Diese sind den Kindern in der
Zaubersprache DO-RE-MI näher gebracht worden. Oder haben Sie gewusst, dass der Herr Do in der Zwillingsstraße Nummer Eins wohnt?
Letztes Jahr im Urlaub, es war in Ägypten, mitten am Meer auf einem Ausflugsboot, die Gischt schäumte, die Sonne brannte auf uns herab. Maurice lag am Deck, ließ sich die Sonne auf dem Bauch scheinen und sang lauthals das bekannte Kinderlied: "Alle meine Entlein" in der Zaubersprache: DO RE MI FA SO SO usw.
Auf was ich aber hinaus möchte ist, dass mein Herr Sohnemann die für jedermann, und "jederfrau", gebräuchlichen Ausdrücke wie Daumen, Zeige-, Mittel-, Ring- und Kleiner Finger nicht verwendet. Für ihn heißt der Daumen DO, der Zeigefinger RE, der Mittelfinger MI, der Ringfinger FA und der kleine Finger SO. Das gehört einfach zur seiner persönliche NOTE.
Er gebraucht diese Ausdrücke deshalb immer wenn etwas auf seine Hände bezogen ist. So zum Beispiel gibt mir Maurice auf die Frage: "Mit welchem Finger zeigt man denn?" nicht "Mit dem Zeigefinger." zur Antwort, sondern "Na, mit dem RE, natürlich Mami."
Aber auch Lehrer haben mit Noten viel am Hut - denn als er bei einem Sachunterrichtstest auf die Anweisung: "Nenne bitte die genaue Bezeichnung deiner Finger." "DO, RE, MI, FA, SO hinschrieb, bekam er die SchulNOTE Fünf.
Als Fußnote schrieb die Frau Lehrerin "Das ist eine Sachunterrichtsfrage und kein Musiktest" unter die schlechte Note als Anmerkung dazu.
Mein Kleiner kam an diesem Tag weinend von der Schule nach Hause und schluchzte: "Die Frau Lehrerin kennt sich überhaupt nicht aus. Ich hatte noch nie so eine schlechte NOTE. Das ist einfach unfair." Dazu müssen Sie wissen, dass unfair momentan sein Lieblingswort ist und einfach alles und jeder unfair ist. Aber diesmal verstand ich seinen Unmut, denn es hatten einfach beide Seiten recht. Doch von Muttergefühlen überwältigt machte ich mich am nächsten Tag auf zu der Dame, der mein Sohn seine durchaus
schlechte Note zu verdanken hatte.
Da es in meiner Geschichte nur nette Lehrerinnen, natürlich auch Lehrer, gibt, verstand diese die Sache sofort, versprach ihm eine bessere NOTE zu geben, wenn er morgen die richtigen Ausdrücke aufzählen kann. Ich sage Ihnen, dieser Nachmittag war sehr anstrengend. Einem sechsjährigen Kind, die NOTEN; die es von sehr klein auf mit Begriffen, in diesem Fall mit seinen Fingern, assoziiert hat, aus dem Kopf zu bekommen und durch andere Wörter zu ersetzen ist absolut nicht leicht. Doch mit viel Geduld und Spaß bekamen
wir das hin.
Am nächsten Tag kam er ganz aufgeregt und mit einem breiten Grinsen nach Hause. Schon beim Gartentor rief er mir zu: "Ich hab es geschafft! Ich habe die netteste und liebste Frau Lehrerin von da bis überall! Ich habe alle Finger mit Namen nennen können. Dafür habe ich einen Einser bekommen!"
Ich versprach dem glücklichen Kind, dass wir für diese gute NOTE, nach dem Essen Rodeln gehen.
Als es dann so weit war und wir uns in die dicken warmen Wintersachen quälten höre ich meinen Sohn murmeln: "Der DO, der RE, der MI, der FA und der SO." Und schon hatte er seine Handschuhe an.
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