Stecknadeln! (Ja, ja ...)
© Gaby Schumacher
Mein Vater entsprach total der Vorstellung eines typischen zerstreuten Professors, was er uns mit wahrem Enthusiasmus immer wieder von Zeit zu Zeit bewies.
Er musste verreisen, eine Tagung stand an. Sehr in Eile griff er sich morgens seinen Koffer, vergaß auch den Schirm nicht, oh Wunder ... und zog hastig seinen Mantel über. Den hatte meine Mutter am Vorabend an die Garderobe gehängt. Vielleicht war es nur diesem Umstand zu verdanken, dass unser Familienoberhaupt noch pünktlich seinen Zug erwischte.
Wir blieben zurück und dachten zunächst an nichts Böses. Das änderte sich aber schlagartig, als meiner Mutter Blick etwa eine Viertelstunde später nochmals den nun leeren Garderobenhaken streifte. Sie stutzte, riss ihre Augen weit auf und stellte uns Kindern, anscheinend unter Schock stehend, die eigentlich überflüssige Frage:
"Hat euer Vater etwa wirklich diesen Mantel ...?" Vor Schreck und gleichzeitig In der trügerischer Hoffnung, wir könnten erahnen, was sie befürchtete und zu ihrer Erleichterung schnellstens verneinen, blieb ihr der Rest des Satzes in der Kehle stecken, was aber auch nichts brachte.
Ohne den blassesten Schimmer einer Ahnung, was an einem Mantel so schlimm sein sollte, antworteten wir wie aus der Pistole geschossen: "Ja ... hat Vater!"
Mutters Mundwinkel zuckten. Sie grinste übers ganze Gesicht, lachte Tränen. Mein Bruder und ich verstanden gar nichts mehr, sahen sie nur verblüfft an.
"Kinder, das ist mal wieder typisch. Der Saum war kaputt. Gestern habe ich ihn ringsum mit Stecknadeln fixiert und wollte ihn heute fertig nähen. - Oh Gott!"
Kinder sind grausam.
Ich: "Ach du grüne Neune!"
Mein Bruder: "Wenn er sich drauf setzt, wird er es ja wohl doch merken ...!??"
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