Iris
© Sabine Baumeister
Ich trage heute zitronengelb. An den Seiten und dem Dekoltée ist das Oberteil luftig-leicht gerafft, so bilde ich mir ein, mein Zitronengelb macht mich zu einem Zitronenfalter. Der Vorbote des Sommers, Flügelschlag und Nachmittagskaffee, Zitronenkuchen, Zuckerguss an den Lippen, keuscher Sex inbegriffen.
Mein Mann, den ich meinen Mann nenne, seitdem er mir diesen Ring an den Finger steckte, ohne Hochzeitszeremonie, aber doch mit dem festen Willen, diese bei Zeiten nachzuholen, mein Mann fasste mich vor einigen Tagen harsch am Knie, drückte meine Beine auseinander, um die Innenseite meiner Schenkel küssen zu können und sagte abrupt bei Wegschleudern meines Rockes, ich trage so viel Schwarz, dass er bereits denke, es habe etwas mit meiner Psyche zu tun. Ich hatte diese Bemerkung überhören wollen und riss ihm zur
Ablenkung seine Kleider auf, natürlich ohne sie ernsthaft zu beschädigen und das Thema ging auch tatsächlich im Beißen und Husten der Körper unter. Nachdem aber alles wieder wohlsortiert an seinem Platz lag, strich mein Mann mir abermals übers Haar, liebevoll, nicht fordernd, sorgevoll. "Mein Täubchen, ich glaube, dass du so viel Schwarz trägst, liegt daran, dass deine Mutter so früh gestorben ist. Hast du mal daran gedacht, dich mit ihrem Tod auseinander zu setzen?"
Da war es, da war es wieder. Der Blick richtet sich direkt auf mich, in meine Augen hinein, blicken hinter meine Augen, starren auf den Punkt, wo einige Menschen erwarten, eine Seele erahnen zu können. Dort hinter meine Iris starrte mein Mann, wohlwissend, alt, weise, sorgenschwer. Ich wandte den Blick ab, seufzte schwer. "Lass mich darüber nachdenken", sagte ich ausweichend.
Ich wollte eine solche Diskussion nicht aufkommen lassen, ich wusste, dass sie Quatsch war. Meine Mutter starb vor über fünfzehn Jahren. Über die Hälfte meines Lebens komme ich ohne sie zurecht, mehr noch, besser zurecht, ihr Tod war mir eine Rettung, sie war eine lausige Mutter. Ich richtete mich in unserem Bett auf, streckte mich, küsste ihn wohlwollend auf die Nase und sagte, er hätte Recht, dies ewige Schwarz wäre schlecht für den Teint. Er müsse sich aber keine Sorgen machen, es hätte wirklich gar nichts
mit dem Tod meiner Mutter zu tun. Um ihn zu beruhigen, trage ich heute zitronengelb. Er lächelte über seine Kaffeetasse hinweg, schnäuzte ein paar liebe Komplimente heraus und sprach seine Sorge um mich und meine Mutter nicht mehr an.
Ich rede nicht gerne über meine Mutter. Ich habe meinem Mann frühzeitig alle Informationen gegeben, die ich hatte. Meine Mutter war eine schöne Frau, tanzte gern und gut, richtete sich ihre Garderobe und ihre Haare nach dem letzten Schrei nobler Frauenzeitschriften. Mein Vater war viel unterwegs, ein netter grauer Mann heute, er hatte mehr von der Welt zu erzählen gewusst als über mich. Früher ging er oft auf Geschäftsreisen, so denke ich, jeder von Ihnen hatte eigene Hobbys. Meine Mutter pflegte sich in ausgelassener
Gesellschaft einen hinter die Binde zu kippen. Sie lachte stets lauter, raffte ihren Rock höher und sang inbrünstiger die Schlager der Woche nach als die geladenen Gäste, doch ohne Ausnahme, sie war beliebt. Beliebt, weil die Männer ihre Fußfesseln küssen durften, beliebt, weil sie ihre Brüste reiben konnten, beliebt, weil sie nie schrie, wenn es wilder wurde. Dass Onkel Ed einmal meinte, dass dieses Ausbleiben von lauten Protesten und hysterischen Geschreie bei spontanen Handlungen eine für Frauen sehr liebenswürdige
Eigenschaft wäre, die meine Mutter mir vererbt hätte, sparte ich in dem Gespräch mit meinem Mann aus. Wieso viele Fragen aufwerfen, wo die Antworten nicht variieren können. Meine Mutter war eine lausige Mutter.
Am Tag, als sie starb, trank sie gegen die Kopfschmerzen noch mit einem Wein an, was half, wie sie immer meinte. Ja, mit Alkohol kannte sie sich aus. Sie mischte die Dinge nicht gerne. Keine flachen Getränke wie Bier oder Weinschorle zu bestimmten Speisen, Drinks nur vor dem Essen als Aperitif, Sahnecocktails wegen der Figur nur einmal in der Woche und nach neun Uhr Hochprozentiges in kleinen Schüben. Meine Mutter war eine kultivierte Frau, sie lallte nicht, hatte keinen Schluckauf und konnte stets ihren Lidstrich
in korrekter Art und Weise nachziehen. Auch, als man sie nach den Tabletten fand, war ihr Lidstrich perfekt. Manche Leute sagten, sie hätte die Tabletten verwechselt. Sie hätte nicht die Absicht gehabt, sich zu töten. Andere hatten vernommen, dass die Tabletten aber so aussahen wie die, die sie gegen die Kopfschmerzen nehmen wollte, jemand muss sie ausgetauscht haben, man vermutete einen eifersüchtigen Liebhaber. Ich weiß, es war kein eifersüchtiger Liebhaber, eine solch pulsierende Tat bedarf Charakter. Ich
dagegen kam zu meiner Tante, eine ausgesprochen hellsichtige, warme Frau, ganz anders als ihre Schwester. Jedes Jahr zu Mutters Todestag essen wir auch heute noch ein Stückchen Kuchen zusammen. Wir sprechen an solchen Tagen dennoch wenig über meine Mutter. Falls wir einmal über ein Thema stolpern, dass ohne eine Erwähnung meiner Mutter nicht auskommt, so pflegt meine Tante immer zu seufzen und mit direkten Blick meine Iris zu umschließen und zu sagen: "Mein Kind, es ist alles richtig so, ich kann dich so
gut verstehen." Mehr nicht, mehr nie.
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