Eine ganz geheimnisvolle Krankheit
© Ute Njio
Mein Elternhaus befand sich unmittelbar neben einem großen, alten Kloster mit Kapelle. Das Kloster wurde geführt und bewirtschaftet von den barmherzigen Schwestern vom Orden der Vinzentinerinnen. Sie hatten lange, schwarzgraue Gewänder und auf dem Kopf trugen sie riesige, weiße Hauben, deren gestärkte Flügel schräg nach beiden Seiten in die Luft ragten. Sie widmeten sich der Krankenpflege und das Haus war gefüllt mit alten Menschen, die dort einen Platz für die letzten Jahre ihres Lebens gefunden hatten. Alle
Nonnen kannten sich bestens mit der Krankenpflege aus und obwohl unser Hausarzt gleich nebenan auf der anderen Seite unseres Hauses seine Praxis hatte, hatten meine Oma und meine Mama es sich zur Gewohnheit gemacht, bei irgendwelchen Unpässlichkeiten in der Familie zunächst einmal den Rat der Schwester Egdberta in Anspruch zu nehmen, die unglaublich lieb und geduldig war. Ich mochte sie sehr. Sie war erfahren und sicher und überdies verfügte sie über geheimnisvolle Gerätschaften, die sich meine Oma schon mal
von ihr auslieh. Da gab es einen seltsamen Apparat, über den wir Kinder nichts wissen durften und der nur ganz heimlich und hinter verschlossenen Türen in Betrieb genommen wurde. Er hatte einen langen Schlauch und wurde mit warmem Seifenwasser gefüllt. Nach Gebrauch wurde er gereinigt und der Schwester wieder zurückgegeben. Ich weiß nur, dass mein Opa danach jedes Mal wieder zur Toilette gehen konnte. Eines Tages bekam meine Mama einen grauenhaften Schreck, als sie morgens in das Gesicht meiner Schwester Petra
sah: Um Petras Mund herum war alles dunkelblau und kreisrund unterlaufen, sie sah wirklich schlimm aus. Sofort und ohne lange zu überlegen, eilte meine Mama mit der Petra nach nebenan ins Kloster zur Schwester Egdberta. Die war entsetzt und ratlos, konnte dieses Symptom nicht einordnen, denn niemals zuvor war ihr so etwas zu Gesicht gekommen. Sie stammelte nur zu meiner Mama: "Gehen Sie, gehen Sie sofort zu Dr. Deterich, das ist eine ganz, ganz geheimnisvolle Krankheit." Also lief die Mama zitternd
und aufgelöst mit der Petra nach nebenan zu unserem Hausarzt und kam auch sofort an die Reihe. Der Doktor schaute sich die Petra an, lächelte und fragte: "Na, was hast du denn angesaugt?" Die Petra: "Den Eierbecher."
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