Kindheit
© Ute Njio
In meiner Fantasie gibt es einen Ort, der voll Erinnerungen ist, der mir Kraft gibt, mich tröstet, mir immer wieder Mut macht. Es ist ein Platz aus meiner Kindheit, dort, wo ich einmal glücklich war.
Es war die Zeit, als die Welt für mich noch neu war und ich alle Dinge und alles Sein mit reinen Sinnen kristallklar wahrgenommen habe. Die leuchtenden Farben des Sommers, der Geruch von frischem Heu und Kräutern, das Gesumme der Insekten, der Geschmack süß duftender Himbeeren, das Kitzeln eines Heupferdchens in meiner Hand.
Und so stehe ich in manch stiller Stunde in Gedanken auf dem Deich, der mir in Kindertagen so vertraut war. Es ist Sommer und der leise Wind, der vom Fluss herüberkommt, spielt mit meinen langen Haaren. Der Deich ist bewachsen mit Gras und wilden Kräutern und es duftet nach Salbei und Sauerampferblättern, die ich in meinen Händen zerreibe. Bläulinge und Tagpfauenaugen flattern von Blüte zu Blüte. In der blendenden Mittagshitze steigt eine Lerche hoch in das Himmelsblau und meine Augen folgen ihr, um zu schauen,
wie sie in der Luft stille steht.
Mein Blick gleitet über die sattgelben Kornfelder und die grün glänzenden Wiesen, die das Flutland bilden, verweilt an dem Teich, der sich einst aus einem abgestorbenen Flussarm gebildet hat. Die Luft ist erfüllt vom Gesirre der Insekten und den Geräuschen der Frösche. Sumpfdotterblumen formen einen Teppich um den Teich und Weiden spenden kühlenden Schatten.
In der Ferne sehe ich den glitzernden Strom träge dahin fließen, umsäumt von weißem Sand und einem lichten Auenwäldchen.
Und ich muss an jene Menschen und Tiere denken, die in diesen Tagen zu meinem Leben gehörten und die schon lange nicht mehr auf unserer Welt sind. Dann spüre ich die Tränen in meinen Augen, aber die schönen Bilder der Erinnerung verschwimmen nicht, sondern leuchten umso inniger.
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