Sonne und Mond
© Bettina Buske
Katrin spülte ihre Kaffeetasse aus und entschied sich, die 20 km in die Stadt mit dem Fahrrad zu fahren. Wird ja wohl für längere Zeit das letzte Mal sein, vielleicht sogar für immer, dachte sie und die Tränen traten ihr in die Augen. Nur zusammenreißen, sagte sie sich, nur zusammenreißen. Irgendwie waren die letzten drei Jahre richtige Scheißjahre gewesen und kaum, dass man glaubt es ist vorbei, kommt so eine Diagnose. Sie sah auf die zwei Tarotkarten, die sie sich auf den Verlauf ihrer Krankheit gezogen hatte.
Sonne und Mond, was kann widersprüchlicher sein als diese Karten? Den Mond, der ist klar, den lebt sie gerade, Ängste und Unsicherheit, aber die Sonne? Ein Hinweis auf eine Strahlenbehandlung? Aber ist ja Quatsch, bei ihrer Erkrankung gibt es doch nur Chemo, außerdem sehr unorthodox so zu deuten. Ein Hinweis, dass sie schon vor den Toren des Paradieses steht? Ach, auch Blödsinn, soweit ist es noch lange nicht und außerdem trägt die Karte die Bedeutung Lebensfreude, Vitalität, aber das fühlt sie schon lange
nicht mehr. In solchen Situationen sollte man eben nicht selber deuten, sagte sie sich.
Als sie ihr Rad aus dem Keller geholt hatte, bemerkte sie, dass es erst viertel sechs war, oder viertel nach fünf, wie Andreas sie immer korrigieren musste. Selbst diese sprachliche Eigenart ihrer Heimat hatte er plötzlich an ihr zu kritisieren gehabt, ein Glück, dass sie den Absprung aus dieser Beziehung geschafft hatte.
Sie entschied sich, auf dem Wanderweg durch den Wald nach Templin zu fahren, so früh würde sie die Strecke ganz für sich haben.
Lautlos glitt eine Eule an ihr vorbei. Katrin erschrak kurz und dachte dann lächelnd: Hast sich wohl vertrödelt.
Im Gras und an den Spinnweben zwischen den Zweigen der Bäume hing Tau und Sonnenstrahlen ließen ihn glitzern. Vogelsang überall, kurz vor ihr wechselten zwei Rehe den Weg. Was für ein schöner Morgen, dachte Katrin. Auf halber Strecke merkte sie, dass sie einer Pause bedurfte, ihr Körper war schweißbedeckt und im Mund hatte sie metallenen Blutgeschmack. Sie wischte den Schweiß vom Gesicht und verharrte kurz, als sie die geschwollenen Lymphknoten an ihrem Hals berührte.
Ganz in der Nähe stand eine Bank, von der aus man einen weiten Blick auf die eiszeitgeprägte Landschaft hatte. "Piii, piii ". Katrin blickte zum Himmel auf und sah einen schwarzen Milan vor einer fast runden Mondscheibe am hellen Himmel seine Kreise ziehen. Steige hoch, du roter Adler, grüßte sie ihn in Gedanken.
Der Rest der Strecke war nicht so beschwerlich, da er leicht abschüssig war. An der Badestelle des Lübbesees blickte sie auf die Uhr, viertel acht, oder viertel nach…, nein viertel acht ist es, dachte sie. Eigentlich zu früh, es reicht, wenn ich um acht zu Mutti hoch gehe. Ist gerade keiner hier, da kann ich ungestört ins Wasser gehen. Sie streifte Pulli und Hose ab und ging in Unterwäsche in den See. Das Wasser war weich und klar. Es stand ihr bis zur Brust und noch immer konnte sie ihre weißen Beine und die
blauen Flecken, Male ihrer Erkrankung, erkennen. Sie ließ sich vom Wasser tragen, drehte sich und schwamm ein Stück. Ach, wie gut das tat. Wie ihr das gefehlt hatte. Immer weiter schwimmen, bis alle Kräfte sie verlassen und dann untergehen, kam ihr als Idee. Aber wohl nicht schön für ihre Eltern, die jeden Tag hier vorbei gehen. Wieder drehte sie sich auf den Rücken und sah in den Himmel. Toter Mann … schön ist das, sich so tragen zu lassen. Sie sah den Mond am Himmel und sah die Sonne und plötzlich war sie
zuversichtlich.
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