Das Lächeln
© Uwe Hartig
Der Motor des Mercedes schnurrte leise vor sich hin, bis das Trompeten eines Elefanten die Monotonie unterbrach. Verdammter Mist, der hat schon wieder an meinem Handy rumgespielt und so einen bescheuerten Klingelton aufgespielt. Mamas Liebling sollte seinen Arsch mal vom Computer weg in die reale Welt bewegen, dann müsste er nicht aller paar Tage um einen Taschengeldvorschuss betteln. Andere in seinem Alter konnten das, wieso er eigentlich nicht. Ich muss unbedingt mit ihm reden.
Er schaute aufs Handy, atmete tief durch und schaltete den Rufton auf Stumm. Nur noch das wütende Vibrieren verriet den Anrufer. Er stellte sich vor, wie sein Geschäftspartner im Handy eingesperrt saß und gegen das Display anrannte. Deshalb die Vibration. Recht so, nichts kann der Kerl allein.
Der Wagen bremste kurz ab und überfuhr die kleine Holzbrücke. Jeder Balken polterte einzeln. Ganz am Ende fehlte ein Balken. Mist!, da hat sich immer noch keiner gekümmert. Für eine millionste Sekunde sah er einen kleinen Jungen am Bach, der wie wild mit einer Weidenrute auf das Wasser einschlug. Mein Gott, das ist Lichtjahre her, heute hätte ich gern die Zeit , wenigstens eine geeignete Weidenrute auszusuchen. Da kann mir keiner das Wasser reichen, ich finde die beste Rute.
Das Elternhaus, oder das was davon übrig geblieben war, kam in Sichtweite. Das Dach hätte auch dringend eine Reparatur nötig, na ja, wer weiß wie lange das noch geht . Er war kurz erschrocken über seine Gedanken, doch so war das Leben eben. Ein ständiges Kommen und Gehen. Und zwischendurch nur Stress.
Er fuhr direkt bis vors Haus und stellte den Wagen auf der kleinen Rasenfläche, ab . Wie immer saß sein Alter auf der Bank in der Abendsonne.
Er wollte sich aus dem Wagen schwingen, doch fiel gleich in die weichen Ledersitze zurück. Mein Gott wo sind meine Bauchmuskeln geblieben, wie hieß doch das neue Studio gleich?, ich muss da was machen. Im zweiten Anlauf klappte alles und er ging auf seinen Vater zu. "Die Brücke musst du unbedingt reparieren lassen, es kann passieren dass..."
Er hörte auf zu sprechen denn es machte keinen Sinn zu sprechen, wenn niemand zuhörte. Der Alte wies mit seinem Finger auf den Mercedes. Seine Blicke folgten ihm. Ach du Scheiße, der Rasen. Wieder einmal hatte er vergessen, dass der Alte nicht mochte, wenn er den Wagen dort abstellte. Heiliger Rasen! Er nahm sich vor das nächste mal daran zu denken. "Guten Tag mein Sohn, wie geht's dir?" Er kannte seinen Vater zu gut, um nicht den bestrafenden Unterton in seiner Stimme zu hören. Hier bin ich kein Chef
von über 400 Mitarbeitern, hier bin ich nur Sohn. "Wie geht es Mutter?" Der Alte schaute ihn überrascht an und wies mit dem Daumen ins Haus. "Heute hat sie mich erkannt. Wir haben uns über Früher unterhalten, wie alles so war. Ich habe ihr Haferflocken gekocht, die mag sie besonders gern."
"Mein Gott!, sie bekommt doch gar nichts mehr mit, wie lange willst du denn das noch mitmachen, bald schaffst du das nicht mehr. Sie hat bald das Endstadium erreicht, dann kann sie gar nichts mehr machen und du bist auch bald hinüber."
Trotzig schaute ihn der Alte an. "Und?"
"Na was UND, du packst das nicht mehr, sieh dich doch bloß mal an, du bist doch auch nur noch ein Schatten deiner selbst."
"Ich bin 81 Jahre, reicht das als Entschuldigung?" Er schaute seinen Vater an und biss sich auf die Zunge. Verdammter Sturschädel, hoffentlich werde ich nicht auch einmal so. Er klopfte seinem Vater im Vorbeigehen auf die Schulter und betrat das Haus. Seine Augen mussten sich erst an die Dunkelheit gewöhnen. Die großen Blumen auf der Flurtapete wirkten irgendwie beruhigend. Als Kind hatte er sich einmal vorgenommen die Blumen zu zählen, es aber schnell aufgegeben. "Es sind 384 Blumen, 24 Blumen
auf jeder der 16 Tapetenbahnen." hatte seine Mutter geantwortet, als er wieder einmal einen Zählversuch unternahm. Bestimmt hatte sie recht, Mutter hatte immer Recht. Sie war es auch, die ihm später bei den Schularbeiten half. Vater hatte immer zu tun. "Mama weiß das bestimmt, geh zu ihr", war sein Lieblingssatz. Lieber arbeitete er im Garten oder hielt einen Schwatz mit dem Nachbarn, als es den noch gab. Heute war das Nachbargrundstück verwildert, Heerscharen von Maklern hatten sich daran die
Zähne ausgebissen.
Schweigend betrachtete er die alte Frau im Bett. War das die gleiche Frau? War das seine Mutter?
Er zuckte zusammen, als er plötzlich hinter sich die Stimme seiner Mutter vernahm. "Herbert, komm doch endlich, das Mittagessen ist fertig, immer brauchst du eine Extraeinladung." Hinter ihm stand sein Vater, in der Hand hielt er ein Diktiergerät. "Vater, du sollst das nicht tun, das mag ich nicht." Sein Vater hatte es sich zur Angewohnheit gemacht, die Stimme seiner Frau aufzunehmen, damals, als alles noch in Ordnung war und die Krankheit noch nicht ihr Hirn aufgefressen hatte. Schweigend
drehte sich der alte Mann um und wollte den Raum verlassen. " Jetzt sei doch nicht gleich beleidigt, du siehst doch dass sie gar nichts mehr mitbekommt, schon gar nicht wer du bist."
Mit einer Energie, die er dem Alten gar nicht mehr zugetraut hätte, wurde er zur Seite gestoßen.
Auf einem alten klapprigen Stuhl nahm er Platz und ergriff die Hand seiner Frau. "Magda, ich bin's, erkennst du mich? Drück meine Hand, wenn du mich erkennst.
Triumphierend schaute ihn der Alte an. "Siehst du, sie hat meine Hand gedrückt, genau wie ich es gesagt habe." So sehr er sich auch bemühte, er konnte nicht sehen, dass seine Mutter irgendeine Reaktion zeigte. Er schaute in die offenen Augen seiner Mutter, deren Glanz schon vor einigen Jahren zu erlöschen begann.
Seine Mutter war zu ihrem Hausarzt gegangen. "Ich glaube mein Mann hat Alzheimer."
"Du spinnst ." war die einzige Reaktion ihres Mannes als sie ihm ihren Verdacht mitteilte. "Das kannst du vergessen, ich mache keinen Test, ich bin doch nicht blöd." Am Ende machten sie gemeinsam einen Test. Mit einem Bleistift sollten sie eine Uhr malen, bei der es zehn nach 11.00 Uhr war. "Mein Bleistift, Entschuldigung, er bricht andauernd ab." hatte sie lächelnd gesagt.
Als ihr der Doktor sagte: "Ihr Mann hat kein Alzheimer" zeigte sie ihm einen Vogel und ging. Der Alte war sitzen geblieben.
Er beobachtete seinen Vater, wie er die Hand seiner Mutter küsste, als könnte er ihr damit neues Leben einhauchen. Auf dem Nachttisch standen zwei unberührte Teller mit Haferflocken. Auf der Oberfläche hatte sich eine Haut gebildet.
Ich kann nur hoffen, dass es schnell geht, sie leiden beide wie Tiere, das haben sie nicht verdient.
"Ich muss jetzt gehen Vater." Die mit Altersflecken übersäte Hand seines Vaters glitt über das ausdruckslose Gesicht der Mutter. Nein, das will ich nicht mehr. "Ich muss jetzt wirklich gehen Vater." sagte er und wandte sich zur Tür.
"Sieh nur, sieh." vernahm er die Stimme des Alten. Als er sich umdrehte, schaute er in das lächelnde Gesicht der Mutter. Ihr Kopf schmiegte sich an die Hand des Vaters.
Blitzschnell war auch er an der Seite seiner Mutter. Ungläubig starrte er in ihr ins Gesicht. Die Augen schienen plötzlich klar, den Mund umspielte ein Lächeln. Es war das gleiche Lächeln, welches er viel zu selten im Spiegel sah. "Mutter ich bin's."
"Ich werde bald gehen Junge, leb wohl."
Seine Sinne verweigerten sich und die Stimme erhob zittrig Protest.
"Nein Mutter, ich muss gehen, du verwechselst das. Du musst doch gar nicht gehen.... ich muss gehen, ich muss gehen... ich muss doch gehen... ICH MUSS GEHEN! Immer und immer wieder schlug er sich gegen die Brust.
Deine Mutter will jetzt schlafen. "Ihr Lächeln..., deswegen habe ich sie ihr ganzes Leben geliebt."
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