ThAt'S LiFe
© Sarah-Sophie Völker
Sie hat den Flow. Yeah baby, denkt sie. schaut dich an. lacht. Lacht ganz laut. Ihre Kulleraugen zwinkern dir zu. Du streckst ihr frech die Zunge raus. Dann nimmst du ihre Hand. Sie balanciert. Und immer noch lacht sie.
Auf einem Brückengeländer tänzelt sie entlang. Sie schwebt fast. Die Sonne geht unter über San Francisco. Der Wind lässt ihr blau-gepunktetes Mini-Seidenkleid federleicht an ihren langen Beinen gleiten. Jetzt regnet es. Die halbe Flasche Whiskey, die sie schon intus hat, hindert sie nicht, immer noch tänzelnd, "singing in the Rain" zu schmettern. Sie habe eine schöne Stimme, hat man ihr gesagt. Früher. 1948. Als sie mit 16 zum ersten Mal richtig verliebt war und mit einem19-Jährigen Musikstudent liiert.
Er versprach sie groß rauszubringen. Doch das einzige Produktive, was aus dieser Beziehung hervorging, war ein Baby. Er wollte vorsichtig sein. Sehr vorsichtig. Das Baby wächst bei ihrer Mutter auf. Seitdem hat sie vergessen was Liebe ist. Sie lebt das Leben mit solch einer Leichtigkeit, dass viele meinen sie habe etwas von Marilyn Monroe. Ihre Schönheit war allerdings einzigartig. Ihre kurzen, verspielten und unzubändigenden braunen Locken hängen ihr ins Gesicht. Sexy, denkst du. Sie setzt sich auf das Brückengeländer
und nimmt einen großen Schluck aus ihrer Whiskeyflasche. Du setzt dich zu ihr. Nimmst ihre Hand. Lächelst. Sie schreit. Und lacht wieder. Sie schaut auf das Wasser, das unter der Brücke an euch vorbeifließt. Plötzlich weint sie. Schaut dich an. Ihr viel zu dick aufgetragenes Make up wird von den Tränen davon gespült. Du wischt ihr die Tränen aus den Augen. Trinkst einen Schluck aus der Flasche und zündest dir eine Zigarette an. Was ist, fragst du. Ich kann nicht lesen und schreiben.
Du musst kurz auflachen, hast du doch letzte Woche einen Brief von ihr erhalten. Lach nicht so blöde, giftet sie dich an. Wie hast du die Schule geschafft, fragst du.
Sie zieht den gerüschten Saum ihres Minikleides hoch.
Strapse, noch Fragen?! Presst sie heraus.
Du lächelst. Kleines Luder, denkst du. Küsst sie auf den Mund. Nimmst ihre Hand. Läufst mit ihr die Straße entlang. Von wem war der Brief?, greifst du das eben schon vergessene Thema wieder auf. Sie zwinkert und sagt, dass ihr Nachbar für eine bestimmte Gegenleistung fast alles tun würde. Und wieder lacht sie. Nach einem erneuten kräftigen Schluck aus ihrer Whiskeyflasche fällt sie in deine Arme. Natürlich lacht sie immer noch.
Sie tanzt. Tanzt mitten auf der Straße. Ihre rosa Rosewood-Schuhe hat sie in der Hand und sie fliegen wild durch die Luft, während sie tanzt. Du stehst am Straßenrand und beobachtest sie. Sie ist total betrunken. Da kommt ein Auto. Sie sieht das Auto nicht. Es ist grün. Grün ist eine schöne Farbe, denkst du. Sie tanzt immer noch. Das Auto wird immer schneller. Du rennst auf sie zu. Schubst sie von der Straße. Doch dann stehst du vor dem Auto.
Die Scheinwerfer blenden dich. Danke, du bist toll. Echt toll, sagt sie. Das Auto fährt weiter. Du begleitest sie immer an solchen Tagen. Das Leben ist gefährlich, ermahnst du sie. Ihr geht gemeinsam zu ihr nach Hause. Sie torkelt die Steintreppen hoch, schließt die Wohnungstür auf und legt sich in ihr Bett. Du ziehst den Schlüssel ab. Den lässt sie wie immer Stecken. Du liebst sie für ihre Art. Ihr schlaft nebeneinander ein. Am nächsten Morgen bist du verschwunden.
Danke, sagt sie, danke mein Schutzengel. Und wieder lacht sie.
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