Ein seltsames Bauwerk
© Sabine Liefke
Ein seltsames Gefühl überkommt mich, wie immer, wenn ich mich an einen dieser Orte begebe. Eine Mischung aus Spannung, Faszination, ein bisschen Stolz und ein Hauch von - Angst? - nein, nicht Angst, vielleicht ein wenig Bedenken. Spannung und Faszination, weil es immer ein kleines Abenteuer bedeutet. Stolz, weil es das weltweit Einzige dieser Art ist. Bedenken, weil es relativ hoch ist und wer hoch steigt, kann bekanntlich tief fallen. Aber ich muss dazu sagen, dass bis jetzt zum Glück in fast 100 Jahren nur
einmal etwas passiert ist. Trauriger weise starben dabei 5 Personen.
Langsam steige ich Stufen hinauf, Stufen, die um einen Aufzugschacht herum führen. An den Ecken ist die Treppe jeweils durch Podeste unterbrochen. Es ist sehr hell hier, weil alles aus bläulich schimmerndem Glas besteht, getragen von einem in der Mittagssonne silbern glänzenden Stahlgerüst. Den Morgen habe ich bummelnd in der Innenstadt verbracht, bin in den verschiedensten Geschäften gewesen und habe mal wieder mehr gekauft als ich eigentlich vorhatte. Komischer weise habe ich mich stetig diesem Ort genähert,
diesem seltsamen Bauwerk, das eigentlich aus 20 Stationen besteht, die miteinander verbunden sind. In den letzten Jahren wurden einige dieser Stationen erneuert und modernisiert und eine, die zu Kriegszeiten zerstört wurde, ist komplett wieder aufgebaut und neu in Betrieb genommen worden.
Endlich bin ich oben angekommen. Ich stehe nun auf dunklen Holzbohlen in rund 8 Metern Höhe. Die Plattform, auf der ich stehe ist nicht sehr breit, aber dafür ziemlich lang. Mir gegenüber befindet sich genauso eine Fläche, dazwischen liegen lediglich Gitterroste und man kann in die Tiefe schauen. Zum Schutz vor schlechtem Wetter ist das alles überdacht und hinter mir und Gegenüber sind Wände um Wind und Regen abzuhalten. Nur rechts und links von mir ist es offen, und ab und zu zieht es doch.
Ich habe noch ein wenig Zeit und setzte mich deshalb auf eine der Bänke, betrachte die vielen Werbeplakate an den Wänden und lasse die Geräuschkulisse auf mich einwirken. Ich höre verschiedenste Stimmen, hohe und tiefe, laute und leise, von Kindern wie auch von Erwachsenen; Motorgeräusche von Autos, Lastkraftwagen und Motorrädern. Ich höre die Aufzugtüren wie sie sich öffnen und wieder schließen, ein Zug rattert ganz in der Nähe vorbei, und tatsächlich höre ich sogar das klagende Lied einer Möwe, was mich ein
wenig wehmütig stimmt, weil es an vergangene Urlaube am Meer erinnert. Mein Blick fällt durch den Gitterrost, und ich sehe einen kleinen Fluss darunter her fließen. Das Rauschen und Plätschern mischt sich mit den anderen Geräuschen zu einer einzigartigen Melodie. Ich denke daran, dass mich dieser Fluss die nächste Zeit begleiten wird, denn die Stationen des seltsamen Bauwerks sind daran entlang gebaut oder besser gesagt darüber.
Eine Frau setzt sich neben mich auf die Bank. Sie nimmt einen Säugling aus dem Kinderwagen vor sich und schaukelt ihn sanft hin und her. Das Baby weint, wahrscheinlich weil es sein Fläschchen möchte, vielleicht aber auch nur aus Langeweile. Die junge Mutter reicht dem Kind einen Schnuller und schon ist ein kleiner Mensch wieder glücklich und zufrieden. Ich frage mich, ob das Baby gleich Angst bekommen wird, nein, ich denke nicht. Es ist noch zu klein und wird von seiner Mutter gut beschützt.
Ein näher kommendes Quietschen und Rattern schreckt mich aus meinen Gedanken auf. Ich schaue in die Richtung aus der es kommt und stehe schnell auf. Es ist so weit, jetzt wird es laut und hektisch. Mittlerweile sind mehrere Leute auf der Plattform eingetroffen, die sich nun in Richtung Gitterroste bewegen. Ein paar Meter über diesem "durchsichtigen" Boden kann man einen ziemlich breiten Schienenstrang sehen. Er sieht aus wie der von Eisenbahnen, nur dass er in der Luft steht, von Stahlstützen gehalten.
Das Rattern wird lauter und ich werfe einen Blick neben mich. Die Mutter hat ihr Kind wieder in den Wagen gelegt und sucht nach irgendetwas in ihrer Tasche. Während dessen schaut der Säugling ruhig und neugierig durch die Gegend. Als die junge Frau ein kleines Kärtchen gefunden hat, geht sie damit zu einem orange farbigen Kasten, steckt das Kärtchen hinein und ich vernehme ein "Pling". Und genau so ein "Pling" mache ich jetzt auch mit meiner Fahrkarte.
Mittlerweile hängt ein schlangenähnlicher Waggon über den Gitterrosten und schaukelt ein wenig hin und her. Er sieht aus wie ein Zug, nur dass die Rollen nicht unten auf den Schienen liegen, sondern oben eingehakt sind. Und das auch nur auf einer Seite, auf dem anderen Schienenstrang fährt der Waggon im Gegenverkehr. Deswegen schaukelt es auch so schön und verursacht manch flaues Gefühl im Bauch. Die vier Schiebetüren öffnen sich mit einem lauten Klick und die Leute drängen hinein. Jeder möchte natürlich einen
Sitzplatz bekommen. Auch ich setze mich und zwar an ein Fenster, damit ich die Aussicht während der vor mir liegenden Fahrt genießen kann - 20 Stationen verteilt über eine Strecke von 13,3 km und das alles in einer Höhe von rund 12 Metern über dem Fluss. Die Türen schließen sich, ein Rucken geht durch den Wagen und auf geht es. Die Schwebebahn fährt aus dem Bahnhof hinaus.
Um mich herum rattert und knattert es und vor Kurven und Baustellen an den Gleisen hört man einen für die Bahn typischen Hupton als Warnung. Baustellen gibt es zu dieser Zeit noch eine ganze Menge, weil die Gerüste nach so vielen Jahren nachgebessert werden müssen und außerdem soll unser Wahrzeichen ja auch schön aussehen. Hundert Jahre hat es mittlerweile auf dem Buckel und ist noch so rüstig wie damals auch, transportiert hunderte von Leuten täglich von einem Ende der Stadt zum anderen. Kinder und Erwachsene,
Handwerker und Büroleute, Wuppertaler und Touristen. Alle nutzen dieses einmalige Verkehrsmittel um zügig ans gewünschte Ziel zu kommen, denn Stau kennt die Schwebebahn nicht. Wenn unten auf der Straße der Berufsverkehr zum erliegen kommt, zuckeln die früher stets orange-blauen und heute mit Werbung versehenen Waggons lustig weiter und fahren pünktlich im 2-Minuten-Takt im nächsten Bahnhof ein. Zugegeben muss man am Wochenende mal ein wenig länger warten, aber nie mehr als 20 Minuten. So etwas erfreut doch jeden,
der die langen Wartezeiten an Haltestellen und Bahnhöfen kennt.
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