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Hasenjagd - ein beschwerliches Kunstprojekt

© Manfred Maier


Die Lächerlichkeit, unsere ständige Begleiterin auf dem mal mehr, mal weniger langen Weg Richtung Zentralfriedhof, hat es schwer, wahrgenommen zu werden.
Konrad Lorenz zeigte sich fasziniert vom menschlichen Verdrängungsmechanismus, als er konstatierte, der Mensch sei das einzige Wesen, welches sich seiner Endlichkeit bewusst sei und laufe trotzdem fröhlich lachend durch das Leben. Diese Erkenntnis lässt sich auch auf die Lächerlichkeit anwenden - niemand nimmt sie freiwillig zur Kenntnis.
Weshalb Geschichten, in welchen die Lächerlichkeit eine Hauptrolle spielt, in der Regel völlig harmlos beginnen.
In diesem Fall mit einer Einladung zum Abendessen bei unseren Freunden aus Neapel.
Während wir an einem Glas Wein, welchen Annas Onkel an den Hängen des Vesuv anbaut, nippen, macht sich Tiberio an das Werk, einen von seinem Neffen geschossenen Hasen das Fell über die Ohren zu ziehen.
Wir scherzen über die ausgeprägte Leidenschaft der Italiener für jagen und sammeln und ich merke dabei nicht, wie die Lächerlichkeit dabei ist, mich sanft zu umgarnen als ich eine doppelte Bedeutung des Begriffes Hasenjagd geltend mache.
Während meiner Jugend - also doch leider vor einigen Jahren - war der Begriff "Hasen jagen" ein geflügeltes Wort, welches die unbedingte Notwendigkeit des unkontrollierbaren Bedürfnisses Triebabfuhr wenig charmant aber treffend beschrieb.
Eine Zeit also, in der so altmodische Slogans wie "der Gentlemen geniesst und schweigt", als persönliche Niederlage empfunden wurden, eine Zeit, in der die flüchtige Begegnung mit der Dorfschönheit im Treppenhaus im Kreise der befreundeten Konkurrenten flugs zur wilden Orgie im Lift aufgewertet werden musste. Eine Zeit, in welcher Sex angeblich immer und überall stattfand und wesentlich zur Rangordnung in der hormongetriebenen Clique beitrug, eine Zeit in der jeder krampfhaft versuchte, die vom Onanieren entstandenen Schwielen an seinen Händen zu verstecken.
Georg Danzers "Blume aus dem Gemeindebau" als Massstab für die eigene Wertigkeit, tatsächliche und frei erfundene ebenfalls pubertierende weibliche Beute in etwa die Wertigkeit des von Tiberios Neffen geschossen Hasen hatte.
An diesem Abend, an dem wir köstlich gegessen und getrunken haben, an dem wir "Hasen jagen" in allen Versionen wieder aufleben liessen und ich mich von meiner Lebensgefährtin zur Teilnahme an einem an diesem Abend geborenen gleichnamigen Kunstprojekt gewinnen liess, zog mich die Lächerlichkeit kaum spürbar zärtlich in ihre Arme.
Leicht verkatert am ersten Kaffee sitzend, nahm am nächsten Morgen das Verhängnis seinen Lauf. Das Projekt des feuchten Vorabends wurde weiter diskutiert, alle Möglichkeiten der Darstellung ausgelotet, die Frage wie machen wir die Doppeldeutigkeit des Begriffes "Hasen jagen" erlebbar ohne allzu plump und schlüpfrig zu werden, scheinbar beantwortet und das weitere Vorgehen letztendlich konkretisiert.
Die Jagd auf die Hasen sollte einmal per Video dargestellt werden, die pubertäre Hasenjagd von uns nicht mehr ganz jungen Deppen auf Foto gebannt werden.
Tiberios Neffe stellte uns seinen nächsten Hasen zur Verfügung, eine befreundete Videokünstlerin übernahm Regie und Kameraführung um Teil eins des Projektes zu realisieren.
Es bleibt bis heute offen, ob und wenn überhaupt welchen künstlerischen Wert diesem Teil zuzuschreiben ist. Unbestritten war es ein Riesenspass, den Hasen an den Ohren haltend aus dem Gebüsch zu brechen und im Triumphzug in die Stadt zu ziehen.
Unvergessen bleibt das Gesicht des Strassenarbeiters, welcher von uns gebeten wurde, den Hasen, welchen wir auf der mitgebrachten Edelstahlplatte vor seiner Strassenwalze präparierten, mit seinem schweren Gerät platt zu walzen.
Der Mann suchte in seiner Verzweiflung offenbar Hilfe bei den Gestirnen und war erkennbar bemüht, nahendes Unglück am Stand der Sonne abzulesen.
Sein verzweifeltes nach Luft schnappen, welches auf dem Video zu sehen ist, rechtfertigt bis hierher den ganzen Aufwand.
Der Mann zeigte sich schlussendlich einsichtig, dass er sich unmöglich mit profanen Argumenten wie "das macht man doch nicht" der Kunst verweigern durfte und seine Angst, die Möglichkeit sich einmal in seinem Leben vom Ruhm wenigstens streifen zu lassen zu versäumen, wischte seine Bedenken zur Seite.
Das mit Spannung erwartete Resultat war erfreulicherweise als Hase erkennbar. Er hatte, den Umständen entsprechend die dritte Dimension praktisch verloren und war dafür erkennbar gewachsen.
Das Kunstwerk wurde an Ort und Stelle mit einem Speziallack konserviert, um zu erwartende Geruchsentwicklungen im Ansatz zu stoppen, während der Fahrer der Strassenwalze seine Telefon Nummer und Adresse aufschrieb, eindringlich bittend ihn unbedingt und rechtzeitig zur Vernissage einzuladen.
Das Versprechen gilt bis heute, einer vagen Eingebung folgend wiesen wir ihn darauf hin, dass es etwas Zeit brauchen würde, um das ganze Projekt zu verwirklichen.
Teil zwei des kunstvollen Projektes "Hasen jagen" setzte ein Minimum an Schamgefühl voraus und spielte sich deshalb in der Wohnung und im Atelier meiner Lebensgefährtin und mir ab.
Das Vorgehen war klar, wie auch immer geartete Schwierigkeiten für zwei sich liebende Menschen, deren Hormonhaushalt sich inzwischen in Dimensionen bewegt, welche einen rationellen und bewussten Umgang mit Sexualität - lassen wir offen ob dies ein Vorteil ist - erlaubt, nicht erkennbar.
Meine Lebensgefährtin bemalt sich den Bereich zwischen Brustansatz und Beckenknochen mit Acryl Farbe, legt sich auf das mit den in passenden Kontrastfarben bezogene Bett, die Fotolampen verbreiten ein ebenso grelles wie warmes Licht, die Kamera liegt eingeschaltet neben dem Bett und ich lege mich dazu, um mit ihr Sex im Auftrag der Kunst zu machen und ihr den Beleg der Auftragserfüllung, auf den gefärbten Bauch zu ejakulieren.
Bevor ich den weiteren Verlauf schildere sind Anmerkungen zu machen, welche nur dem Zweck dienen, meine männliche Ehre zu retten, unumgänglich.
Obwohl ich älter werden als Zumutung und nicht als Bereicherung empfinde, pflege ich einen altmodischen Sportsgeist, welcher Doping höchstens in Form von zwei Flaschen Champagner und gelegentlich zum Geburtstag einer gepflegten Dosis Kokain akzeptiert.
Standhaft verweigere ich mich - bis jetzt zumindest - jeglicher Pharmazie.
Sollten sie bereits den erstaunten Blick meiner Lebensgefährtin ahnen, im Hintergrund ihre erstaunte Frage "was ist denn los mit dir" vernehmen, so liegen sie richtig. Als Mann der Tat erinnere ich mich an meine zwei gesunden Hände, flüchte vor den grellen Lampen in das Badezimmer und erschaffe mit routinierten Bewegungen das was gefordert ist: eine ansehnliche Erektion.
Stolz sause mit einem ebenso blöden wie triumphalen "na siehst du" Gesichtsausdruck Richtung Bett, um im Anblick der Lampen betrübt den Zerfall meiner routiniert erarbeiteten Erektion zu erleben.
Das ist der gefürchtete Augenblick, wo die Lächerlichkeit ihre bis anhin sorgsam gepflegte Diskretion aufgibt und sich schadenfroh zu erkennen gibt.
Sie begleitet mich viele Male auf dem Weg zwischen Bett und Bad, sie war sich ihres Sieges gewiss.
Was nichts daran ändert, dass heute sechs Motive, vergrössert auf ein Meter zwanzig auf 90 Zentimeter in jeweils zwei Abzügen in unserem Atelier stehen und auf ihre Vollendung warten.
Jedes Mal wenn meine Lebensgefährtin mit Pinsel und Farbe daran arbeitet, erinnert sie mich mit hellem Lachen an die Geburtswehen von diesem Teil unseres Projektes.
Und jedes Mal, wenn ich arbeitend vor meinen Abzügen sitze, wird mir klar, wie schnell es geht, dass die Lächerlichkeit ihre Diskretion aufgibt und mir schrill im Spiegel entgegen lacht.
Was mich vermutlich nicht hindern wird, ihr bald wieder einmal in die Arme zu fallen.
Ein Entrinnen gibt es nicht.

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