Abendspaziergang eines Gaijin
© Onivido Kurt
Fast drei Wochen ging ich jetzt schon immer früh am Morgen zu Fuß ins Büro und kehrte spät am Abend auf demselben Weg zurück ins Prince Hotel in Shin Yokohama. Was anderes hätte ich tun sollen. Ich saß dann meistens vor dem Fernseher in meinem Miniaturzimmer im siebenundzwanzigsten Stock und übte fleißig Münzen mit den Essstäbchen vom Tisch aufzuheben. Ich wollte ja schließlich bei den Mahlzeiten im Restaurant nicht auch noch durch Tölpelhaftigkeit auffallen.
Die stetig wiederholten CNN Nachrichten konnte ich an diesem Abend nicht mehr ausstehen. Ich schlüpfte in eine Jacke und machte mich auf zu einem Rundgang um den Block. Ja, und da begann es plötzlich zu schneien, große pappige Flocken. Ich schlug den Kragen meiner dünnen Jacke hoch, sah mich nach einem Unterstand um und entdeckte eine offene Tür in einem hohen Neubau keine zehn Schritte entfernt in einer Seitenstrasse.
Gedämpfte Sambarythmen klangen aus dem Untergeschoss und auf dem roten Teppich am Eingang stand in großen gelben Buchstaben "Bem-vindo - Willkommen.".
Neugierig gemacht von dem für Japan etwas unerwarteten Szenario, stieg ich die Treppe hinab und öffnete die Tür zu einem großen Saal dessen Wände ganz mit Spiegeln verschalt waren und in dessen Mitte eine große etwas überhöhte, gänzlich leere Tanzfläche meine Aufmerksamkeit erregte. An niedrigen Tischchen um die Tanzfläche herum saßen Männer, - nein Herren,
- alle Japaner in Anzügen und Krawatten. Ich fühlte mich sogleich fehl am Platz in meinem Aufzug. An jedem Tisch saß auch eine offensichtlich ausländische Frau.
Aus dem Dämmerlicht tauchte ein Kellner auf. Ich glaubte zu erkennen, dass er über meinen Besuch nicht besonders erfreut war.
"Kennen Sie das System?", fragte er, während ich immer noch den Raum sondierte.
Als ich verblüfft verneinte, winkte er ratlos eine Dame heran. Diese Gaijins waren immer ein Problem.
Die Frau war unzweifelhaft Brasilianerin. Sie wechselte ein paar Worte auf Japanisch mit dem Kellner und wandte sich dann auf englisch an mich.
"Das System ist folgendes. Sie bezahlen 50 000 Yen und sehen die Show und bekommen einen Drink. Wenn Sie mit einem der Mädchen sprechen wollen zahlen Sie 20 000 Yen mehr.
Mit welcher wollen Sie sprechen?"
¨Ich kenne keine und will auch mit keiner sprechen, " antwortete ich überrascht und zog bereits einen möglichst unauffälligen Rückzug in Erwägung.
Wider erwarten lächelte die Frau.
"Ok , was wollen Sie trinken?"
Ich dachte an das Schneegestöber draußen und verlangte Kognak.
Die Frau gab meine Bestellung an den Kellner weiter und begleitete mich an ein Tischchen am dunklen Ende der Tanzfläche, verabschiedete sich freundlichst, verriet mir, dass man sie Mami nannte und ich sollte sie rufen, wenn ich irgend etwas benötigte. Sie setzte sich zu einem seriös aussehenden Herrn an einen Nachbartisch.
Auch ich setzte mich und machte mir Gedanken darüber, was die Frau wohl dem Kellner gesagt hatte. Könnte es nicht sein, dass sie ihm Anweisungen gegeben hatte diesem ausländischen Geizhals ein Abführmittel in den Drink zu mischen.
Wieder war ich überrascht als der Kellner ein Glas und eine ganze Flasche Kognak auf meinen Tisch stellte und dazu eine Schüssel mit Nüssen.
Ungeachtet meines Verdachts nahm ich einen Schluck und entspannte mich. Die Show begann. Eine brasilianische Karnevalshow mit dröhnender Samba und Kostümen die alles das kaum bedeckten, was einem Mann an einem weiblichen Körper sehenswert erscheint.
Ich schwor nur zwei Gläser aus der Flasche zu trinken, um mich gegen die Kälte draußen zu wappnen und dann zu verschwinden. Bei vielen Männern führen solche Schwüre meistens zu einem Eidbruch, wenn zwei Elemente sich dagegen verbinden, Frauen und Alkohol. Ich blieb bis zum Ende der Show. Drei Tänzerinnen kamen an Mamis Tisch. Sie sprachen portugiesisch. Das einzige was ich klar verstand, war ihre Frage an Mami.
"Was macht der Typ hier ganz allein?".
Noch bevor die angesprochene antworten konnte, sagte
ich:
"Ich bin ganz alleine, weil mich niemand mag."
Betroffen wandten sich die Mädchen zu mir. Sie ereiferten sich mir zu beteuern, dass dies durchaus nicht so sei, fragten woher ich käme, lachten ein wenig zu laut als hätte ich einen Witz erzählt und wandten sich dann etwas hastig ab.
"Ich heiße Mariana!" rief mir eine noch zu. " Wenn du das nächste mal kommst, sprich mit mir!"
"Por favor - Bitte! Raunte sie leise.
Ich tat es nicht.
Natürlich erfand ich dutzende von guten Gründen dafür, aber wenigstens mir selber muss ich gestehen, es war aus Feigheit. Oder war es gesunder Menschenverstand.
Das fast geflüsterte "por favor" Marianas hatte mich ein Problem ahnen lassen. Und wer will sich denn schon mit der Yakuza anlegen.
Aber jetzt, wieder auf der anderen Seite des Erdballs, fürchte ich niemanden und höre immer wieder das beklommene "por favor", spüre den beschwörenden Blick der attraktiven Mulattin. Nächste Woche soll ich wieder nach Shin Yokohama.
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