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Crosslaufsaison

© Oliver Fahn


Meine Turnschuhe standen bei Anbruch des Tages neben mir. Die Sonne strahlte mir ins Gesicht, wollten die Schuhe mich etwa darauf hinweisen, dass Spikes bei diesem Wetter überflüssig sind? Die Kommunikation mit meinen beiden Lieblingen lief nur zäh, sie wollten mir nicht antworten, weder der rechte, noch der linke. Meine Freundin Klara hatte sich im Bett verschanzt, schlief tief und fest, also wandte ich mich wieder an diese zwei blauen Dinger, sie verweigerten mir jedoch weiterhin die Aussage, allmählich wurde ich sauer, war es denn so schwer, mir eine so einfach Frage zu beantworten, schließlich hatte ich über hundert Euro für das Paar ausgegeben, scheinbar über fünfzig zu viel pro Schuh. Sie ließen mich im Dunkeln tappen, dabei hätte man für diesen Preis doch durchaus eine plausible Antwort erwarten können, aber sie schwiegen mich an, sehr ausdauernd, aber ich beharrte weiter auf eine Entscheidungshilfe.
Von Glätte war an diesem helllichten Morgen keine Spur, aber war die unebene Strecke mitten durch den Wald nun matschig oder nicht? Ich musste mich auf die Gegebenheiten einstellen, aber meine Laufschuhe waren mir keine Hilfe, nicht an diesem Morgen, wenn ich recht überlegte, waren sie es noch nie, sie weigerten sich immer, wenn sie Verantwortung für die Vorbereitung auf ein wichtiges Rennen übernehmen sollten, scheinbar hatte ich sie nicht gut erzogen oder der Verkäufer erzählte mir nur Märchen, als er mir im Beratungsgespräch erklärte, dass diese Schuhe fast von alleine laufen oder vielleicht war ich über das Wörtchen fast gestolpert, was schon einige Vorzüge ausschloss, aber ich überhörte diese Einschränkung großzügig. Der mir sehr kompetent erscheinende Schuhfachmann half mir jetzt auch nicht weiter, erstens lag er jetzt höchstwahrscheinlich noch in seinem Bett und träumte und zweitens hätte er, wäre er in meiner Nähe gewesen, sicherlich auf sein fast bestanden. Und so schied dieser Experte als Ratgeber oder Sündenbock ebenso aus, wie Klara, die neben mir schnarchte und nicht so aussah, als befände sie sich in der Lage, mir nach dem Erwachen einen Tipp zur Schuhwahl zu geben. Gerne hätte ich mich aus dem Bett gezwungen, die ungehorsamen Schuhe gepackt und sie in die Mülltonne geworfen, doch ich bemühte mich, eben dies nicht zu tun, da das wahrscheinlich der größte Lohn für ihre beharrliche Arbeitsverweigerung gewesen wäre. Dort bliebe ihnen die Schinderei für immer erspart, aber mir nicht die Kosten für ein anderes, vielleicht ebenso ungehorsames Paar. Ich fand das Team um mich herum nicht sonderlich professionell, meine Sportschuhe hielten mich zum Narren, Klara beachtete mich in ihrer Schlaftrunkenheit gar nicht und die Sonne strahlte wie zum Spott in das Dachfenster. Ich sprang aus den Federn, zog die Schuhe gegen ihren Willen an, weckte Klara unter zaghaftem Murren auf und beschloss mich auf mein Gefühl zu verlassen. Die Spikes ließ ich zu Hause, Klara setzte ich in ihrer Müdigkeit auf den Beifahrersitz, meine Schuhe hatten sich mittlerweile damit abgefunden, dass sie meinen Befehlen folge leisten mussten, zumindest denen, gegen die sie wehrlos waren. Wir standen auf Kriegsfuß, aber das war mir egal, ich beschloss mit ihnen in Schweigsamkeit zusammenzuarbeiten, sie waren nur noch meine Hilfskräfte und keine echten Trainingspartner mehr. Sie hatten ihren Bonus durch ihre Stille in den falschen Momenten verspielt.
Klara trug meine prall gefüllte Trainingstasche und watschelte gleichmütig neben mir her. Ich holte meine Startunterlagen im Vereinsheim, machte ein wenig Stretching und lief meinen inneren Motor langsam warm. Klara fror am Rande der Sportanlage, schaute auf die Läufer, die ebenfalls geschäftig umherirrten. Sie dachte an die wahnsinnige Horde, die in wenigen Minuten an der Startlinie stehen würde. Klara sah meine angespannte, hoffnungsvolle Miene, aber an die beiden Gefährten an den Füßen dachte sie nicht. Ich hielt es für überflüssig, ihr von der Arbeitsmoral meiner beiden Gehilfen zu berichten, denn schließlich hatte sie keinen Bezug zu dem Sport und noch weniger zu den beiden verflixten Schuhen. Sie ließen mich jetzt locker federn, fast als hätten sie sich doch noch vor dem Startschuss mit mir verbündet, seelischen Beistand leisteten sie mir noch immer nicht und die Spikes lagen ohnehin bei mir daheim im Nachtkästchen. Ich wurde allmählich nervös, Gedanken an Sieg und Niederlage schossen mir durch den Kopf, lagen sie doch so nah beisammen. Ich redete mir ein, ein Sieger zu sein, wenn ich heil ins Ziel kommen würde. Die Umgebung roch nach Angstschweiß, meine Kontrahenten scharrten mit ihren Hufen, der ganze Startblock atmete heftig, vergewisserte sich, dass die Startnummer richtig saß, die Stoppuhr zum Startzeitpunkt auf der Null stand und die Schuhe mit einem Doppelknoten gebunden waren. Meine Schuhe blieben trotz der Vorkommnisse ruhig und gelassen, Klara, die neben dem Startbogen stand, zeigte ebenfalls keinen Anflug von Hektik. Der Bürgermeister hob seine Pistole zum Himmel, zog die konzentrierten Läuferblicke auf sich, gemeinsam wurde der Countdown herab gezählt. Der Schuss, der den Crosslauf eröffnete, war gefallen, die Menge machte sich in eiligen Schritten auf in den dichten, engen Wald, hastige Überholmanöver, hunderte von flotten Beinen und gefährlich hervorstehende Baumwurzeln. Ein Rennen über Stock und Stein, von der einen Höhe in die nächste Tiefe, eine faszinierende Quälerei, ein Weg zum inneren Frieden. Mein Herz pochte heftig und ich hatte immer noch das leise Gefühl, nicht am Limit zu laufen. Einige Gelegenheitsjogger mussten bereits vor Beendigung der ersten Runde ihrem Sauerstoffrausch und dem damit verbundenen viel zu hohen Anfangstempo Tribut zollen.
Meine schmutzigen High-Tech-Schuhe tasteten sich langsam an die Spitze heran, drei Runden waren auf dem schwierigen Rundkurs noch zu bewältigen. Ich versuchte meinen Erschöpfungsgrad zu verbergen und meine Atmung zu beherrschen, den Leuten mit den Plakaten an der Strecke zuzulächeln und Klara freundlich zu winken. Klara klatschte verhalten, meine Schuhe ließen sich von der Schritttechnik meiner flinken Füße leiten, nun lag ich auf Rang zwei, noch eine halbe Runde, ca. 20 Meter zum Führungsläufer, aussichtsreiche Position, um einen Angriff zu starten. Aus dem rasenden Tempo wurde ein Sprint, mein Gegner schaute zu mir um, ein Zeichen der Schwäche oder nur der Einstieg in eine Gegenattacke? Wir lagen gleich auf, meine Lunge brannte, mein Nebenmann keuchte. Ich zog den Sprint durch, meine Laufschuhe machten mit, ich sah keine Läufer mehr, als ich mich umdrehte, riss meine Arme hoch, wollte zum Sieg schreien, einige Zuschauer deuteten nach unten, ich richtete meine Augen zum Boden, wollte springen, sah eine matschige Pfütze, mein rechter Fuß kippte nach hinten, ich versuchte mit meiner Körperkraft auszugleichen und fiel auf meine Knie, zwei Meter vor dem Zieleinlauf, vor Wut schmiss ich meine verfluchten Schuhe durch die Luft und robbte über die Ziellinie. Eine halbe Sekunde langsamer als mein Widersacher.
Der Winterpokal ging an Robert Pillgruber, ich verdrückte mir Tränen der Bitterkeit, Klara schien von allem unberührt, die beiden nutzlosen Dinger an meinen Füßen hatten ausgedient und lagen im Zielbereich. Ich hatte Klara für ihr Desinteresse verziehen, den Kontakt zu meinen Laufschuhen abgebrochen, meine Auslaufrunden drehte ich alleine, barfuß! Auf meine Fersen war Verlass, sie taugten als gleichwertiger Ersatz für Schuhe ohne Spikes, mindestens. Ich beschloss künftig mit Spikes zu laufen oder auf die Methode einiger Kenianer zu vertrauen und unten ohne zu rennen.
Am Montagmorgen schlug ich die regionale Tageszeitung auf, dachte griesgrämig über den Verlust meiner teuren Schuhe nach und plötzlich las ich meinen Namen und in dem Zusammenhang den Begriff Sieger. Ich sah mein Bild, auf dem ich nach dem Rennen fix und fertig auf dem Boden lag und einen ausführlichen Artikel über die Dopingvorwürfe gegen Robert Pillgruber. Der Junge hatte verbotene Substanzen zu sich genommen. Ich riss beide Arme jubelnd zur Decke, hüpfte wie eine Feder und lief gedanklich erhobenen Hauptes noch einmal über den Zielstrich, Robert Pillgruber konnte ich weit und breit nicht sehen, er war disqualifiziert. Klara gratulierte mir, blieb jedoch reserviert, ich schaute wehmütig neben mein Bett, denn irgendwie sah die Stelle neben unserem Nachtlager so leer aus. Die beiden Freunde, die mir zum Titel verholfen hatten, standen nun im Dreck, ich hatte sie rücksichtslos stehen gelassen. Mein Unrecht mischte sich mit Mitleid, ich biss in mein Butterbrot und schmeckte den Geschmack des Verlustes. Die Sonne schien ins Fenster und ich saß noch eine Weile und grübelte.

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