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Eine verhängnisvolle Gartenfete

© Oliver Fahn


Oskar hatte die sechs Jahre ältere Sandra bei einer Gartenparty seines Freundes Rene kennen gelernt. Eigentlich war er nur hierher gekommen, um ordentlich einen über den Durst zu trinken, allerdings war Sandra dem Rausch seines Lebens zuvor gekommen. Oskar hätte Sandra niemals kennen lernen dürfen, dann wäre sein Werdegang sicherlich ganz anders verlaufen. Er zeigte anfangs auch gar kein Interesse an dieser zierlichen, unscheinbaren, geradezu bieder wirkenden Frau. Allerdings war Oskar bereits zu lange alleine, um dem Angebot einer halbwegs attraktiven Dame zu widerstehen.
So verwickelte Sandra Oskar in ein unverfängliches Gespräch über ihren letzten Toskanaurlaub. Oskar interessierte sich brennend für den Hafen von Livorno, den schiefen Turm und Pisa im Allgemeinen, die malerischen Landschaften, die Sandra so prickelnd und flüssig erzählte, als wäre sie eine passionierte Fremdenführerin. Oskar ließ musternde Blicke auf Sandra schmale Gestalt fallen. Sommersprossen über Sommersprossen, roter Schimmer in ihrer ansonsten schwarzen Kurzhaarfrisur und ein frecher Gesichtsausdruck. Sandra hatte Oskar das erste Mal gesehen, sie wollte ihn keinesfalls um jeden Preis, sie versuchte stets, die Männer zu verführen, die keinen allzu großen Widerstand leisteten und bei denen sie absolute Diskretion erwarten konnte. Ihre Erfahrung ließ sie erkennen, dass die Abenteuer niemals an ihren körperlichen Attributen scheiterten, stets scheiterte ein ordentlicher Ausgang es an der Wichtigtuerei der Herren. Bei Sandra stand der Ruf als anständige Frau auf dem Spiel, Oskar sah sie an, dass er sich an die Spielregeln einer Affäre halten würde. Sandra drückte ihre Visitenkarte in Oskars Hände und bat, nur die Handynummer zu wählen. Auf der Festnetznummer wäre angeblich nur die Mutter erreichbar und die wolle er sicherlich nicht sprechen.
Oskar beschloss, einige Tage mit dem Telefonat zu warten, er war naiv genug, zu glauben, dass sie nur auf seinen Anruf hoffte. Um die Zeit zu überbrücken und sich abzulenken, beschloss er die Innenstadt mit ihren Kaufhäusern und den Straßencafes aufzusuchen. Als er sich in das Schreibwarenhaus in der Degenstraße begab, sah er den Schatten einer ihm bekannten, kleinen, schmalen Frau. Es handelte sich um die Konturen von Sandra. Mittlerweile verspürte er so etwas wie Sehnsucht nach ihr, er konnte dieses Gefühl nicht genau lokalisieren, da er eigentlich keine großartige Verbindung zu ihr aufgebaut hatte. Auf Sandras Arm saß ein kleiner Junge, höchsten drei. Oskar nahm seinen Mut zusammen, um sie zu begrüßen und die junge Begleitung zu begutachten. Es stellte sich heraus, dass dieses Kind ihr eigenes war. Oskar war sich unsicher, ob Sandra ihren Anhang absichtlich verschwiegen hatte oder ob die Party einfach ein ungeeigneter Ort zur Klärung der Familienverhältnisse gewesen war. Oskar wirkte verunsichert, vielleicht war die Visitenkarte nur ein eigentümlicher Versuch, neue Freundschaften zu knüpfen. Aber Oskar lag nichts an neuen, oberflächlichen Bekanntschaften, diese waren zu genüge vorhanden, er suchte nach einer Verbindung, in der mehr passierte, als Zusammengehörigkeitsbekundungen und Verbundenheitsrituale.
Oskar versuchte im Mut seiner Verzweiflung die Flucht nach vorne zu ergreifen. Er fuhr in die Schlachtergasse 12 und legte eine Schachtel Pralinen unter das Vordach. Oskar beschloss den Hörer seines Telefons zu nehmen und sich nach dem Geschmack der Pralinen zu erkundigen, sie vereinbarten als Treffpunkt das Restaurant "Da Bruno". Die kleine, schmucke Gaststätte mit sardischer Küche im Herzen des Stadtplatzes lud zum Plaudern ein. Sandra jedoch sah etwas grimmig drein und wirkte verunsichert aufgrund Oskars Pralinengeschenks.
"Oskar, der Junge, den du mit mir gesehen hast, heißt Martin und ist meiner."
"Martin scheint mir ein liebes Kind zu sein."
"Ja, aber Martin hat auch einen Vater und der lebt mit mir unter einem Dach. So paradox es auch klingen mag, ich habe mir unser Treffen durch den Kopf gehen lassen und festgestellt, dass ich eine echte Zuneigung für dich empfinde, Oskar."
"Aber du bist doch liiert."
"Zwischen uns herrscht ein rauer Ton, er achtet mich nicht mehr. Diesen Respekt vermisse ich sehr."
Oskar wusste, dass er nicht berechtigt war, in eine Ehegemeinschaft hineinzutappen, auch wenn diese alles andere als intakt war, aber Sandras Worte hatte er als Aufforderung aufgefasst, ihr einen Gefallen zu tun, der mit dem Eheversprechen unvereinbar war und ihre Klagen waren so ausdrucksstark, dass sie Oskars Vernunft besiegten. Die Pralinen fielen glücklicherweise Sandra in die Hände und blieben von ihrem Mann Thomas ungesehen. Ein seltsamer Gedanke, eine Frau mit einem unbekannten Mann teilen zu müssen, dem dieses Unternehmen verborgen blieb. Oskar empfand einen abgrundtiefen Ekel bei der Vorstellung, Sandra würde sich bei Thomas auch gelegentlich so fallen lassen, wie es Oskar künftig erleben würde. Andererseits stieg sein Hormonpegel an, wenn er sich der Überlegung hingab, Sandra sei eine Frau, die er nur stundenweise besitzen konnte, das spornte ihn an, diese Momente viel intensiver zu nutzen.
Sandra musste kreativ bei der Auswahl ihrer Treffpunkte sein, immer mischten sich die grässlichen Gifte der Schuldgefühle und der Angst unter die Freude des gelassenen Augenblicks. Sie trafen sich auf abgelegenen Parkplätzen, einsamen Waldsiedlungen und Thermalbädern jenseits ihres Wohnortes. Oskar wurde süchtig nach Sandras Zuneigung, sie verstand es ihn bei Laune zu halten und in die lustvollen Situationen spielerische Elemente einzufügen. Sandra machte sich Sorgen, weil sie fühlte, wie abhängig Oskar von ihren Künsten wurde. Seine Eifersucht, diese Künste mit Thomas teilen zu müssen, machte ihn rasend. Er lud sich mit der sexuellen Begierde auf, wie eine tickende Zeitbombe und wurde so zur Gefahr für die Beziehung Sandras.
Sandra war sich der Verantwortung für ihren Sohn bewusst und so musste sie Oskar vor die Wahl stellen, ihren Sprössling gleichfalls zu akzeptieren. Oskar wollte ihr kein Versprechen geben, das zum Scheitern verurteilt war. Oskar befürchtete, immer Thomas in seinem Kind zu sehen und das wäre nicht gut für eine solide Erziehung. Sandra hatte obendrein ihr Haus zu verlieren und Oskar konnte diesen finanziellen Verlust kaum abfangen. Seine Lüste waren mit den Umständen nicht zu vereinbaren, also musste Oskar das zweite Rad am Wagen bleiben. Er konnte sie stillschweigend verführen, Thomas und Martin behielten ihre ersten Ränge in Sandras trüben Leben.
Sandra riskierte ebensoviel für ihr grenzenloses Verlangen. Sie trafen sich eines Tages bei ihr zu Hause, da sich Thomas auf Geschäftsreise in Südfrankreich befand. Sandra hatte mittlerweile ihre Unbeschwertheit zurückerlangt und Oskar bekam seinen unscheinbaren Platz in der zweiten Reihe. Sie wälzten sich beim wilden Liebesspiel in Sandras Bett, indem ansonsten Thomas sein Unwesen trieb. Martin war noch zu klein, um die Ertüchtigungen seiner Mutter richtig zu deuten und die Geschehnisse in Worte zu fassen. Im Haus herrschte fast unheimliche Stille, nur der heftige Beischlaf dröhnte durch die nächtliche Finsternis. Nachdem sie ihre Triebe bezwungen hatten, schliefen sie Arm in Arm ein. Als sie erwachten, zwitscherten bereits die ersten Vögel und ein Auto fuhr vor die Haustür, es war viel zu früh, um Besuch erwarten zu können. Sandra sprang zur Eingangstür, Thomas kam herein, Oskar geriet in Panik, was sollte er machen, um kein Ehedrama heraufzubeschwören?
Geistesgegenwärtig, nahm er seine Kleidung und öffnete die Balkontür, während Sandra Thomas an der Türschwelle in eine ausführliche Befragung über seine Geschäftsreise verwickelte. Oskar stahl sich derweilen über die Balkontür davon und hoffte, keine Spuren hinterlassen zu haben.
Am übernächsten Morgen meldete sich Sandra und sagte, dass alles glimpflich verlaufen war und dass sie ihr Schicksal nicht überstrapazieren wolle und somit den Kontakt abbreche. Oskar hatte dem nichts hinzuzufügen, er fühlte sich ertappt und mitschuldig und glaubte zunächst an einen schlechten Traum, aber bald stellte sich heraus, dass es sich um die pure, unverfälschte Realität handelte. Als ob dieser Schlag nicht gereicht hätte, musste Oskar den Verlust seines Ausweises feststellen. Er meldete dieses Abhandenkommen seiner Papiere bei der städtischen Behörde. Kurz darauf kam der neue Ausweis ins Haus geflattert und Oskar fand es an der Zeit seinem Leben eine Wende zu geben.
Zwei Jahre waren vergangen, Oskar hatte seinen Meisterbrief in der Tasche, ein Nebeneinkommen als Discjockey und verwirklichte sich in seinem Hobby als Maler, er führte also ein ausgeglichenes Leben und fühlte sich gut als Single.
Guter Laune marschierte er durch den Stadtpark, um fit zu bleiben und bei frischer Luft einen klaren Kopf zu bekommen. Ein Mann auf der Bank fiel ihm auf, er beobachtete Oskar ständig, als hätte er ein wichtiges Anliegen, dass er an ihn herantragen wollte. Oskar war diese Visage fremd, er trug einen wild wuchernden Vollbart und roch nach Hochprozentigem. Der Mann sprach Oskar an, ob er vor längerer Zeit seinen Ausweis verloren hatte. Oskar verstand nicht, woher der Unbekannte von dem Verlust wusste. Er erklärte ihm, dass er Thomas sei und der Ausweis bei ihm im Haus aufgetaucht war. Daraufhin habe er gewusst, welches falsche Spiel Sandra mit ihm getrieben habe. Thomas verriet Oskar, dass er zuerst seine Gewissheit für sich behalten habe, aber nach ein paar Wochen konfrontierte er sie mit dem Ausweis, als sie keine Antwort auf diese unmissverständliche Frage geben konnte, hatte er sie rausgeschmissen. Thomas kam über den Verlust seiner Frau nicht hinweg, er ahnte schon lange Zeit von Sandras schlüpfrigem Treiben, aber er hoffte, dass ihre Frische im Laufe der Zeit vergehen würde. Doch nachdem sich durch den Fund von Oskars Ausweis mehrere Betrugsfälle aufdeckten, war für Thomas klar, dass der Alkohol den brennenden Schmerz in seiner Seele betäuben musste. Und als er aufgrund seiner Exzesse Haus und Arbeit verlor, musste Heroin nachhelfen, um die dunklen Flecken seines Herzens mit Licht auszufüllen. Oskar lernte Thomas erst jetzt kennen, er sah aus wie ein alter, vom Leben gezeichneter Mann.
Oskar hatte auch von Sandra seit den Tagen des gegenseitigen Begehrens nichts mehr gehört. Am Tag nach der Begegnung mit Thomas sah er wie jeden Morgen in die Zeitung und sah einen schwarz umrandeten Kasten mit Sandras Namen, daneben stand der ihres Sohnes. Sie hatte zufälligerweise Thomas getroffen und von seiner Begegnung mit Oskar erfahren. In Sandra brodelte die Erinnerung, es war zuviel für sie, an sämtliche Verluste erinnert zu werden. Der Zugführer sah Sandra und Martin zu spät.
Oskar dachte an die Gartenparty von einst und bedauerte, dort hingegangen zu sein.

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