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Beach

© Roland Fuchs


Was soll man schon machen an einem heißen Sonntagnachmittag in Köln? Ein Meer befindet sich nicht in der Nähe und eine öffentliche Badeanstalt, in der sich Großstädter und Großstadtrandbewohner eingeengt wie Sardinen auf spärlichem Grün räkeln und ein zäher Schleim aus Sonnenöl, Dreck und Körperbehaarung dem Wasser einen unappetitlichen Film verleiht, scheint mir kein verlockender Gedanke zu sein. Bleiben noch diverse Stadtgärten übrig, die noch vom Unrat diverser Studenten verschmutzt sind, die dort am Wochenende gegrillt, gesoffen und rumgeknutscht haben. Die Jungs von der Stadtreinigung scheinen sonntags jedenfalls auch nicht die nötige Motivation aufzubringen, um sich dem Dreck gebührend zu widmen und schlafen wahrscheinlich noch Ihren Rausch aus, den sie sich übers Wochenende in den Spelunken der heruntergekommenen Vororte der City angesoffen haben. Eine interessante Alternative könnte der vor einigen Jahren erschaffene Cologne Beach am rechten Rheinufer zu sein, auch Kilometer689 genannt. Ich fürchte zwar, dass sich dort wohl eher die Kölner Schickeria rumtreiben wird aber für einen Immi könnte der Besuch der künstlich geschaffenen Scheinwelt eine interessante Erfahrung sein. Ok, ich gebe zu, dass mir die Worte Vorurteile und Klischees nicht gerade fremd sind. Ich mache mich also auf in den Keller, um mein Fahrrad zwischen dem ganzen Gerümpel rauszukramen, dass sich während der letzten Umzüge so angesammelt hat und dabei jeweils nur von einem Keller zum nächsten transportiert wurde. Und das mit der Gewissheit dort vor sich hin zu rotten, bis mich wieder das Bedürfnis packt, meinen Wohnsitz ein weiteres Mal zu verlegen. Ich mache mich also auf den Weg zum Beach und bin schon ziemlich neugierig auf das, was mich dort erwarten wird.
Mein Weg führt mich über die Domplatte und über die Deutzer Brücke und der Fahrtwind fühlt sich angenehm kühl auf meiner verschwitzten Haut an. Hoffentlich treffe ich dort auch normale Leute an, denke ich mir. Leute wie ich halt, die auch mit den Problemen des Älterwerdens behaftet sind, wo der Kampf gegen den von der Natur vorbestimmten Austausch von Muskelmasse gegen Körperfett fortschreitenden Alters immer schwieriger zu gewinnen ist. Es sei denn man ist bereit immer mehr Zeit und Energie dem Sport und ausgewogener Ernährung zu widmen, was für mich allerdings eine nicht akzeptable Einbuße von Lebensqualität bedeuten würde. Na ja, um Ausreden ist wohl jeder für sich selbst verantwortlich und fast keiner verlegen. Aber es ist in Ordnung, solange man nicht anfängt seine Spiegel abzuhängen, um sich nicht schon am frühen Morgen nach dem duschen den Tag zu versauen.
Ich bin angekommen. Schade, eigentlich hatte die Fahrt hierher wirklich Spaß gemacht. Ich hätte durchaus noch etwas länger fahren wollen. Also kette ich erst einmal mein Rad an dem Maschenzaun fest, der sich am Fuße des mit feinem weißen Sand aufgeschütteten und leicht ansteigenden Areals befindet. Ich ahne schon schlimmes, denn der Beach ist dicht besiedelt und meine ersten kurzsichtigen Eindrücke aus noch gebührlicher Entfernung, lassen eine Ansammlung vieler junger, schöner und schlanker Körper erahnen. Am Eingang wird erst mal mein Rucksack von einem braungebrannten, Muskelbepackten und tätowierten Fleischklops durchwühlt. Meine Wasserflasche muss ich abgegeben und außerdem knöpft man mir noch 4 Euro ab, die ich dort mindestens verzehren muss. Was solls, das Leben wird schließlich durch Erfahrungen bereichert und ich mache mich über einen auf Sand gebauten Holzsteg mutig auf in das Abenteuer Cologne Beach.
Ich hatte es befürchtet. Wenn man über den Eingang vom Rhein her den Beach betritt, hat das schon einen gewissen Catwalk-Effekt. Rechts und links von mir nur leicht bzw. sehr leicht bekleidete Körper, überwiegend braungebrannt, fast ausschließlich schlank, hart und wohl proportioniert. Im ersten Moment weiß ich gar nicht, wo ich hinsehen soll und versuche möglichst cool und ohne meinen neiderfüllten Blick länger als auch nur einen Sekundenbruchteil auf einem der Waschbrettbäuche meiner Artgenossen oder den wenig verhüllten Brüsten des von mir bevorzugten Geschlechts ruhen zu lassen und nach einem imaginären Fixpunkt in angemessener Ferne Ausschau zu halten. Es sieht hoffentlich so aus, als suche ich nach einer Bekannten mit der ich verabredet bin aber in Wirklichkeit suche ich nach einem Plätzchen an der Peripherie dieser unwirklichen aber leider all zu realen Ansammlung visueller Schönheit aus physischer Perfektion, um möglichst schnell aus dem Fokus zu entschwinden. Hier mittendrin würde ich nicht im Traum daran denken meine Hüllen fallen zu lassen. Ich fühle mich beobachtet und der Schweiß, der verstärkt aus meinen Poren dringt ist nicht nur auf die Temperatur oder die Fahrt mit dem Rad zurückzuführen. Bis eben fühlte ich mich eigentlich noch recht ansehnlich, höchsten etwas überschlank mit kleinem Bauchansatz und vielleicht etwas zu viel Speck auf den Hüften. Jetzt komme ich mich vor wie ein auffälliger, weißer und wabbeliger Fremdkörper in diesem durchtrainierten Mikrokosmos. Der Zaun seitlich links in Richtung des botanischen Gartens scheint mir ein geeignetes Ziel zu sein, um mich ohne großes Aufsehen und in befreiender Anonymität niederlassen zu können und um den kleinen Anfall eines aufkommenden Minderwertigkeitskomplexes erst einmal zu verdauen. Ich stapfe also durch den überraschend tiefen Sand und komme gerade deshalb langsamer als mir lieb ist, meinem ersehnten Ziel entgegen. Mein Weg führt mich vorbei an der Bouleanlage.
Das Schauspiel das sich mir dort bietet trägt nicht gerade zur Stärkung meines mittlerweile eh schon angeschlagenen Selbstbewusstseins bei. Scheinbar mussten gerade fünf der perfektesten, eingeöltesten, glänzendsten und durchtrainiertesten Kerle, braungebrannt und mit optimal symmetrisierten Proportionen den konservativen französischen Nationalsport als Bühne missbrauchen, um unter den schmachtenden Blicken diverser leichtbekleideter Frauen, ihre schwitzenden Muskeln zu präsentieren und ihre Stahlkugeln möglichst nahe am Schweinchen zu platzieren. Warum habe ich nicht den Zaun auf der anderen Seite ausgesucht! Ein zur Entspannung erhoffter Nachmittag droht so langsam aber sicher in einen Alptraum zu eskalieren. Endlich habe ich den Zaun erreicht und zum Glück ist auf der am weitesten Abseits gelegenen Liegeplattform, ganz hinten, noch genügend Platz, um abzutauchen und erst mal tief durchzuatmen.
Da bin ich nun. Der Platz erweist sich als gar nicht so übel. Niemand liegt mir im Rücken und ich habe einen wundervollen Blick über den Beach, auf eine etwas erhöhte Liegefläche ca. zehn Meter vor mir, sogar mit Matratzen drauf, auf der sich drei zauberhafte Blondinen räkeln, das Rheinufer und den Fluss bis hin zum Dom und der Altstadt auf der richtigen Rheinseite. So langsam entspanne ich mich. Der Anblick dieser tollen Kulisse, aus einer unauffälligen Position heraus, scheint den Nachmittag doch noch zu retten. Ich lasse mich gemächlich auf den Rücken sinken und bin sogar so verwegen mein durchgeschwitzes Poloshirt auszuziehen, was im Liegen übrigens gar nicht so einfach ist. Auf dem Rücken liegend blinzele ich in die Sonne und drifte in einen Dämmerzustand zwischen dösen und Tagträumerei.
Ich bin durstig und verfluche den Kerl am Eingang, der mir eben die Wasserflasche abgeknöpft hat. Aber auch die eben noch angenehm dahinplätchernde Geräuschkulisse hat sich irgendwie verändert. Scheinbar haben sich ein paar Neuankömmlinge vor mir niedergelassen oder die drei Grazien auf der erhöhten Liegeplattform haben Besuch ihrer männlichen Pendants erhalten. Wie sollte es auch anders sein. Da die Hitze kaum noch auszuhalten ist und ich demnächst sowieso meine vier Euro Mindestverzehr in Anspruch nehmen will - eine kühle Apfelschorle wäre jetzt ein wahrer Segen - setze ich mich vorsichtig auf, um mir den Ursprung der Lärmbelästigung anzusehen. Heute scheint wirklich mein Glückstag zu sein! Zu den von mir vorab visuell wohlwollend tolerierten Blondinen auf den Matratzen in meinem Blickfeld gesellten sich ausgerechnet drei der Bouleathleten, die eben noch das Schweinchen jagten. Was allerdings kein Zufall war, denn man kennt sich scheinbar und nun räkelt sich direkt vor meinen Augen und in vertrauter Nähe ein Sextett, leider nur zur Hälfte aus Frauen bestehend, in der immer noch heißen Nachmittagssonne. Einer der Kerle sieht aus wie ein Komparse aus einem billigen italienischen Gladiatorenfilm. Schwarzes und dichtes Haupthaar, leichter aber dichter Dreitagebart, überbreites starkes Kinn, kantige Gesichtszüge und ein muskulöser und durchtrainierter Körper. Der andere Typ hätte den Herkules in einem ebenso billigen italienischen Film aus den Sechzigern spielen können. Unter seiner rotbraun gefärbten Haut zeichnen sich massige und stramme aber trotzdem sehr definierte Muskeln ab. Ein ähnlich modelliertes Sixpack kriegt man sonst höchstens auf dem Cover von "Man's Health" zu sehen. Er scheint riesengroß zu sein. Ich schätze ihn auf einsneunzig bei mindestens zweihundert Pfund Körpergewicht. Zu allem Unglück ist auch noch ein Fotograf auf die illustre Gruppe aufmerksam geworden. Er scheint Fotos vom Kölner Citysommer für irgendein lokales Blatt schießen zu wollen. Als er die Gruppe fokusiert merke ich, dass ich genau itze und werfe mich wie vom Blitz getroffen wieder zurück in meine rücklings liegende Position. Das würde mir noch fehlen, mich demnächst als unförmiger Hintergrund dieser Körperästheten auf der Titelseite des "Prinz" bewundern zu dürfen. Ich liege diese unangenehme Situation aus, ziehe genervt mein Polo über und beschließe mich auf zur Bar zu machen, um wenigstens noch meinen Mindestverzehrbons loszuwerden bevor ich das Thema "Beach" als eine weitere nicht unbedingt erstrebenswerte Großstadterfahrung abhaken werde. Meine eben noch verspürte Vorliebe nach Apfelschorle schlägt in das primitive Verlangen nach Bier um!
Immerhin gibt es hier keine Probleme seinen Mindestverzehr aufzubrauchen, denn für ein Kölsch in diesem bedrückenden Ambiente zahle ich drei Euro und fünfzig Cent. Musste es denn wirklich auch noch sein, dass mir der lustvolle Blick auf drei schön anzusehende Beachhäschen jetzt durch die Anwesenheit dreier öliger Modelathleten vermiest wurde? Die einzig interessante Frage ist es nur noch hier herauszufinden, "wer mit wem". Die Antwort darauf spielt aber eigentlich keine Rolle, denn meine eben noch vorhandenen erotischen Tagträume wurden in brutalster Weise zerstört. Na ja, "willkommen in der Realität". Diese Erfahrung von Wirklichkeit hätte ich mir nach meinen anfangs eh schon bedrückenden Impressionen vom Beach wirklich gerne erspart. Was soll's! Ich beschließe zurück zu meinem Platz zu stapfen, mein Kölsch auszutrinken und halt noch herauszufinden, aus welchen drei Pärchen sich das Sextett denn nun zusammensetzt. Anschließend werde ich mich wieder auf das Rad schwingen und nach Hause fahren, vielleicht mache ich doch noch einen Abstecher in den Stadtgarten. Dort liege ich dann zwar zwischen leeren Bierdosen und benutzen Kondomen, behalte aber wenigstens meine Würde.
Beim Rückweg blicke ich weder nach rechts noch links, sondern nur stur nach vorne. An meinem Platz angelangt setze ich mich wieder hin - mit Polo - und werfe noch einen letzten verstohlenen und neugierigen Blick auf das Treiben vor meinen Augen. Ich sehe nach wie vor ein paar dicht aneinander gedrängte makellose Körper. Allerdings nur noch fünf. Einem der Supermänner war's auf der Matratze wohl zu eng und er hat sich auf einen Liegestuhl daneben verzogen. Bei den Mädels machen es sich nur noch die beiden Sandalenfilmkomparsen bequem. Ich trinke mein Kölsch, höre albernes Gelächter und sehe gierige Hände, die stramme Körperrundungen befummeln. Erst glaube ich mich zu irren. Liegt es vielleicht an der Hitze oder am Alkohol? An letzterem eher nicht, denn es ist schließlich Sonntagnachmittag und ich weiß was sich gehört. Dies ist für heute die erste Flasche die ich mit genehmige. Ich sehe noch mal hin, diesmal genauer und mit etwas zusammengekniffenen Augen, denn ohne Brille ist es mit meiner Sicht nicht weit her. Ich irrte mich nicht und mein Gehirn schüttet plötzlich und unerwartet eine Sonderration Dopamin aus. Herkules betatscht mit seinen riesigen Pranken nicht etwa wie erwartet die aufreizenden Rundungen von einer oder mehreren der drei Blondinen, sondern macht sich eindeutig und innig am strammen Hintern des Gladiatorenkomparsen zu schaffen. Eine Verwechslung ist ausgeschlossen, denn der Gladiator hält zärtlich die noch freie Hand des Herkules und hat ein seliges und verliebtes Lächeln auf seinem schönen Gesicht. Als er sich dann noch umdreht und die beiden sich küssen, sieht meine Welt wieder vollends besser aus. Ja ich gönne den beiden ihre schönen Körper, ihre nette Gesellschaft und die vielen neidvollen Blicke aller Anwesenden am Beach. Die beiden sind mir sogar richtig sympathisch! Ein Blick in die Runde verrät mir, dass ich nicht der einzige bin, der seine Blicke diesem Szenario widmet. Auf vielen der eben noch schmachtenden weiblichen Gesichter machen sich Erstaunen, Heiterkeit aber auch Enttäuschung br.. ihrer männlichen Begleiter ist von Enttäuschung nichts zu sehen.
Ah ja, Köln! Auch ich merke, wie meine Gesichtszüge sich lockern und meine Mundwinkel leicht nach oben rücken. Ich ziehe mein Polo wieder aus, diesmal im sitzen, und lasse mich wieder gemächlich auf den Rücken nieder. Die Nachmittagssonne verliert langsam etwas von ihrer Kraft. Das Klima wird erträglich, sogar richtig angenehm. Der Beach ist eigentlich gar kein so übler Platz. Ich werde jedenfalls wiederkommen.

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