Der Reporter
© Victoria Oldenburg
Die Spannung lag fast greifbar in der Luft, bald sollte es soweit sein. Schon seit Stunden harrten sie hier im Wind aus, es war ungemütlich kalt. Eigentlich war schöneres Wetter angesagt gewesen, die Sonne sollte noch herauskommen, aber davon hatten die harrenden Männer noch nicht viel mitbekommen. Schon seit Stunden saßen sie im weißen Sand der Dünen und warteten.
Ihnen war von einer geheimnisvollen Person eine Premiere versprochen worden und nun warteten sie. Einige waren schon wieder gegangen, aber der harte Kern aus fünfzehn Reportern saß immer noch an der gleichen Stelle wie seit Stunden. Leise wurde sich über jemanden unterhalten. Das Wort "Prinzessin" fiel öfter, aber viel mehr hätte ein unbeteiligter Beobachter nicht mitbekommen, denn das Tosen der nahen Brandung machte eine Unterhaltung fast unmöglich.
Marco, ein junger Reporter, hatte beschlossen mit dieser Story seinen ganz großen Durchbruch zu schaffen. Seit Stunden lag er mit den anderen auf der Lauer, nicht bereit aufzugeben. Er war ungeduldig, er fror, er wollte so gern woanders sein, doch sein Wille war stärker. Die Kamera in der Hand, bereit, jederzeit Bilder zu machen, lag er im Sand und wartete. Er hatte sich seit Stunden nicht gerührt und dafür schon einige bewundernde Blicke geerntet, denn alle anderen Anfänger hatten bereits aufgegeben. Nur noch
die alten Hasen lagen am Strand ... und Marco.
Plötzlich verstummten alle Gespräche, es wurde vollkommen still. Nur noch das Rauschen der Brandung, das Tosen des Windes und, ja und das Lachen einer Frau war zu hören. Undeutlich, verzerrt, aber dennoch gerade so hörbar. Sofort gingen alle in Position. Kameras wurden angeschaltet, Stative noch schnell verrückt. Einige Sekunden später ging das Blitzlichtgewitter los.
Ein junges Pärchen war um die Ecke gekommen und geblendet vom vielen Blitzlicht stehen geblieben. Verwirrt schauten die beiden in die vielen Kameras. Verwirrt, schauten auch die Fotografen. Das war nicht das gewesen worauf sie gewartet hatten. Nach nicht einmal einer Minute war der Spuk vorbei.
Alle gingen zurück auf ihre Plätze. Vorher hatte man sich noch schnell bei dem Pärchen entschuldigt und ihnen gesagt, dass sie eigentlich nicht gemeint gewesen wären. Lächelnd waren die beiden dann weiter gegangen. Marco hatte das ganze Geschehen interessiert beobachtet. Auch er war dem anfänglichen Irrtum erlegen und hatte einige Fotos gemacht, was bei der heutigen Technik jedoch nicht mehr so schlimm war, dachte er.
Das Warten ging weiter, Marco war inzwischen dazu übergegangen die Sekunden auf seiner Uhr zu zählen, aber er wollte nicht aufgeben, nicht nach all dieser Zeit. Weitere Reporter hatten das offensichtlich anders gesehen und den Hinweis als falsch gewertet. Sie waren gegangen. Nicht so Marco. Immer öfter spürte er die bewundernden Blicke seiner Kollegen, lies sich das jedoch nicht anmerken.
Dann plötzlich wieder einen Alarm, ein Kollege hörte Hufgetrappel auf dem weichen Boden des Strandes. Sofort begaben sich alle wieder in ihre Positionen, eine fiebrige Atmosphäre hatte sich sofort im kleinen Lager entwickelt, auch Marco hatte sich davon anstecken lassen. Nervös ziele er mit seinem Fotoapparat auf die Stelle wo die Reiter gleich auftauchen müßten. Immer lauter wurde das Hufgetrappel, bald jedoch konnte Marco es nicht mehr von seinem eigenen Herzschlag unterscheiden. Sein Herz schlug ihm bis zum
Hals, seine Hände waren völlig naß geschwitzt.
Er wollte Sie endlich sehen, sie, wegen der zehn Männer viele Stunden in der Kälte, im eisigen Wind ausgeharrt hatten. Sie, das war die Prinzessin, sie war so wunderschön, das ihr alle Männer zu Füßen lagen. Doch sie hatte sich nun erstmalig einen Traumprinz erwählt, der laut Informant heute an ihrer Seite sein sollte. Aber allein um ihren Anblick einmal genießen zu dürfen, lohnte sich der ganze Aufwand, fand Marco. Das Hufgetrappel war inzwischen deutlich hörbar geworden, es konnte nur noch wenige Sekunden dauern,
bis sie um diese Düne, die ihnen die Sicht versperrte, herum geritten kamen. Noch einmal schnell die Ausrüstung kontrollieren. Alles war in Ordnung.
Sein Herz schlug lauter. Bald, bald würde er sie sehen. Dann endlich kam etwas Weißes um die Ecke. Zuerst konnte er nichts Genaueres erkennen, er war geradezu geblendet vom Weiß. Kurz darauf erkannte er die Silhouette von Pferd und Reiter. Plötzlich sah er sie in ihrer ganzen Schönheit und vergaß die Welt um sich herum, die Fotografen, das Blitzlicht, sogar den Auslöser zu drücken. Er konnte nur sie anstarren.
Sie, die Prinzessin, trug ein schneeweißes Kleid. Es schimmerte wie Seide und umwehte sanft ihre nackten Schenkel. Sie sah wunderschön aus, wie sie ohne Sattel mit ihrem Pferd durch die Brandung galoppierte. Das Wasser spritzte an den mächtigen Flanken des Tieres hoch, es musste ein Hengst sein. Ihr dunkles Haar umspielte ihr Gesicht und sie schüttelte es anmutig nach hinten. Marco war wie gebannt, er sah jeden Schritt dieses prachtvollen Pferdes wie in Zeitlupe, er konnte seinen Blick einfach nicht von der Prinzessin
wenden.
Ihren Namen hatte sie vollends verdient, noch nie hatte er eine so wunderschöne Frau gesehen. Sie lächelte verträumt, man sah ihre perfekt geformten schneeweißen Zähne, während um sie herum das Blitzlichtgewitter tobte. Gänzlich unbeeindruckt, schien sie in ihrer Welt zu verweilen.
Ihre dunkelbraunen Augen, in denen Marco am liebsten versunken wäre, waren in die Ferne gerichtet, sie schien das ganze um sich herum kaum wahrzunehmen.
Marco hatte sich auf den ersten Blick verliebt! Am liebsten hätte er alle Reporter weggejagt, damit sie diesen Moment ganz allein genießen konnte. Es musste wundervoll sein, auf diesem Hengst durch die Brandung zu reiten. Man sah förmlich wie sich die Muskeln des Tieres anspannten. Marco beneidete den Hengst. Wie gern wäre er jetzt an ihrer Seite gewesen. Er hatte zwar noch nie geritten, aber für sie würde er alles tun. Die Prinzessin ...
Ein letztes Lächeln von ihr, und dann war der Moment um. So plötzlich wie sie gekommen war, so plötzlich war sie auch gegangen. Marco sah ihr noch lange hinterher, während sie langsam am Horizont verschwand. Sie wurde immer kleiner und kleiner. Selbst von hinten war es wundervolles ihr zu schauen.
Lange saß er noch so da und starte in die Ferne. Er bemerkte nichts um sich herum. Seine Kollegen hatten schon vor einiger Zeit ihre Sachen zusammengepackt und waren gegangen. Einige hatten ihm mitleidige Blicke zugeworfen, aber auch das hatte er nicht bemerkt, seine Gedanken waren nur noch bei ihr! Einer war jedoch geblieben und beobachtete ihn bereits einige Zeit.
"Ja, so ergeht es jedem, der sie sieht!" erschrocken sah Marco auf. Sein Freund Matthew, zufällig auch Journalist, war neben ihn getreten. "Die Prinzessin, ja diesen Namen hat sie wahrlich verdient! Es heißt sie könnte jeden Mann bekommen." Marco glaubte ihm das gerne, andererseits war sie wider Erwarten allein gewesen. Langsam kehrte er in die Wirklichkeit zurück. "Oh, Scheiße!" fluchte er "oh man, ich Trottel, ich habe vergessen Fotos zu machen!" etwas hilflos sah er
seinen Freund an, der lachte lauthals und sagte zwinkernd "klar helfe ich dir aus!" Zusammen gingen sie daraufhin langsam zu ihrem Auto zurück. Marco in Gedanken immer noch bei ihr, drehte sich noch einmal um und sah in der Ferne eine Silhouette am Horizont, ein Pferd mit Reiter. Lächelnd stieg er ins Auto und dachte: Ja, wir werden uns wiedersehen, näher, viel näher ...
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt.
Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise,
bedürfen der schriftlichen Zustimmung der Autorin / des Autors.