Eingereicht am
27. Februar 2007

Arbeitsamt

© Annelie Jagenholz

Vorsichtig trat der Junge in das Zimmer. Aus jeder Nuance seiner Körperhaltung sprach Widerstand. Die stundenlange Warterei in überfüllten und dann vollkommen verlassenen Korridoren des Amtes hatten seine Beine steif werden lassen.

Taumelnd ließ er sich vor der Fülle gestapelter Ordner nieder. Nach einigen gehemmten Bewegungen saß er bequem auf dem hölzernen Stuhl. Ein Resignieren vor dem Unvermeidlichen durchströmte seinen Geist. Der ermüdende Versuch sich zu erinnern oder Gewissenbisse zu haben oder der Gedanke daran, wie lange er sich an das leere Symbol einer Überzeugung geklammert hatte, verwirrten seine Zurechtlegungen für das bevorstehende Gespräch.

"Was kann ich für Sie tun?", fragte der Beamte und spitze seine Bleistifte.

"Ich ... ich suche Arbeit!", stotterte er.

Vor seinen Augen verzerrten sich kugelförmige, fast parabolische Spiegel und Prismen zu einer halb abstrakten Ansicht des Büros, durch die die Möbel im Raum schwebten und der Mensch vor ihm zu einem entfremdeten, verdrehten Massenwesen wurde. Die Wirkung war erstaunlich, unwirklich und schon wieder vergangen, sobald der Beamte seine nächste Frage an ihn richtete.

"Welchen Schulabschluss haben Sie?"

"Ich habe keinen!"

"Auch keine Ausbildung?"

"Nein!"

"Ich verstehe!"

Der Schwammige nickte mit dem großen, roten Kopf, schnaufte ein bisschen und steckte sein Gegenüber in eine dieser Schubladen, in denen er sich seine Menschenkenntnis bewahrte.

"Na ..., dann fangen wir mal an!", brummte er, und eine Augenbraue schob sich in rundem Bogen fast hoch bis zum Haaransatz.

"Da hätten wir etwas auf der Baustelle!" las er von seinen Unterlagen ab. "Mögen Sie schmutzige Arbeit?" Der Junge biss sich auf die Lippen. Seine Schmächtigkeit und der schüchtern geneigte Kopf deuteten auf Zurückgebliebenheit hin.

"Ist mir nicht so wichtig!", stammelte er.

"Ich verstehe!", erklärte der Beamte wieder. Eine fremdartige, lähmende Atmosphäre durchzog den Raum.

"Was wäre meine Aufgabe?", erkundigte sich der Junge.

"Arbeiten!", konterte der Beamte und verfiel in ein ordinäres Lachen, bei dem sein Kopf einer neuen, bösen Macht ähnelte.

"Wann kann ich anfangen?", fragte der Junge weiter, während der Sachbearbeiter sich wieder gefangen hatte und ächzte:

"Immer geduldig bleiben. Vielleicht wollen Sie sich erst einmal etwas stärken, vor dieser schweren Arbeit?" Die Mundwinkel des Beamten zuckten. Da erhob sich der Junge gebrochen und sprach:

"Ich habe nicht erwartet, dass ich eine Backsteinmauer vorfinde, wenn ich das Fenster öffne!" Ein kurzes Schweigen vergrub sich in den Wänden.

"Du hast wohl keine Erziehung genossen ... Kind!", kreischte da der Beamte.

Das eisige, kühle Portrait des Jungen antwortete: "Irrtum ... alter Mann. Ich legte ab, was kindlich war!"




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