Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt.
Eingereicht am |
Mae© Britta Dubber
Mae
Mae musste immer erst ihre Monster weg sperren. Was sie damit genau meinte, wusste keiner. Aber jedes Mal, wenn man sie anrief sagte sie "Einen kleinen Moment, ich muss erst kurz die Monster weg sperren". Jemand, der sie nicht so gut kannte und nichts über sie wusste, dachte vermutlich sie sprach über irgendwelche Haustiere. Riesengroße Dobermänner oder kleine wild kläffende Chihuahuas. Aber Mae hatte weder Hunde noch Katzen, noch Kanarienvögel oder sonstiges Getier. Seit ich denken konnte wohnte Mae alleine in dem alten viktorianischen Haus mit dem verwilderten Garten, in dem ich als Kind immer gerne gespielt habe. Am liebsten verstecken, mit Mae. Meistens habe ich mich hinter den Dornebüschen versteckt, wo sie mich nie gefunden hat. Einmal aber habe ich mich hinter der Kellertreppe zusammen gerollt, so wie ich es bei der Nachbarskatze beobachtet habe, aber dort hatte Mae zuerst nachgeguckt und war mir jubelnd um den Hals gefallen. Schon damals war sie alt gewesen, aber dennoch war sie für mich eher ein Kind, als zum Beispiel meine kleine Schwester, die nur ihre Astronomiebücher im Kopf hatte und sich mit ihren neun Jahre furchtbar erwachsen gab. Sie mochte Mae nicht besonders und die Sommer bei ihr mochte sie erst recht nicht. "Sie ist alt und dumm. Und benimmt sich wie ein Kind", sagte sie oft, wenn wir abends in unseren Betten lagen, in dem alten Haus mit den mysteriösen Monstern. Ich war furchtbar verletzt, wenn sie so etwas gemeines über Mae sagte, aber diese schien das gar nicht zu stören. "Sie ist eben noch ein Kind und Kinder sagen oft dumme und gemeine Sachen", tröstete mich Mae immer. Die Tatsache, dass meine Schwester Stella ein Jahr jünger und zwei Klassen über mir war, vereinfachte unsere Beziehung nicht gerade. Wir hatten nichts gemeinsam. Sie saß den ganzen Tag im Wohnzimmer und las in ihren Büchern oder guckte sich langweilige Dokumentationen an, während ich gerne draußen in der Sonne spielte. Die Sonne mochte Stella noch viel weniger als Mae, denn davon bekam sie kleine juckende rote Punkte auf der Haut. Stella nannte es eine Sonnenallergie, aber Mae und ich witzelten, dass die Sonne in Wirklichkeit allergisch gegen Stella war. Mae war die Stiefmutter unserer Mutter, also nicht wirklich unsere Großmutter, und deshalb nannten wir sie auch bei ihrem Vornamen. Unsere Mutter war den Sommer über in irgendwelchen Schönheitskliniken, um sich die Brüste machen zu lassen oder irgendwo die Haut zu straffen. Unsere Mutter bekam schon einen Nervenzusammenbruch, wenn sie zwei Pfund zugenommen hatte. Eines Morgens hatte ich sie weinend im Bad vorgefunden, vor dem Klo kniend, den Kopf auf die Toilettenschüssel gelegt. Ich hatte nicht gewusst, was ich machen sollte, da sie nicht aufhörte zu weinen und am ganzen Körper zitterte und kaum verständliche Laute von sich gab. Schließlich habe ich die Nachbarin gerufen, die zwei Stunden gebraucht hatte, um meine Mutter aus dem Badezimmer zu bekommen. Als ich kurz darauf Mae anrief, sagte sie (nachdem sie ihre Monster weg geschlossen hatte), dass meine Mutter krank sei und sich deswegen so seltsam benahm. Auch wenn ich nicht gewusst hatte, was genau meiner Mutter fehlte, so war mir klar, dass es etwas ernstes sein musste, denn sie ging seit einigen Jahren zu einem Arzt deswegen. Aber es wurde irgendwie nicht besser. Mae wohnte leider weit weg, zwei Stunden mit dem Auto entfernt, so konnte sie mich nur per Telefon trösten. Umso mehr freute ich mich natürlich, wenn die Sommerferien begannen und unsere Mutter meine Schwester und mich zu ihr fuhr. Mae war so ganz anders als meine Mutter. Wenn sie einen Fleck auf ihrer Bluse hatte, dann ließ sie ihn drauf und machte einfach mit der Hausarbeit weiter. Wenn ihr ein Käfer in die Haare flog, dann lachte sie. Meine Mutter hingegen zog sich fünf Mal am Tag um und schrie wie am Spieß, wenn auch nur ein Blatt in ihre blonden Haare gelang. Stella war fast genauso. Sie wusch sich nach jedem Händeschütteln die Hand und bei einigen Leuten verweigerte sie schlichtweg einen Händedruck, wenn ihr die Person nicht sauber genug war. So musste meine Mutter eines Tages in die Schule, weil Stella sich geweigert hatte, aus der Hand der Biologielehrerin eine Schale entgegen zu nehmen, weil deren Hände voll Schlamm waren. Ich habe es sehr amüsant gefunden, als meiner Mutter dazu geraten wurde, Stella in eine Therapie zu schicken. Aber statt in eine Therapie kam sie einfach in eine andere Schule. So löste meine Mutter Probleme. An der Wurzel, wie sie es nannte. Mae hingegen sagte, die Schule sei ganz bestimmt nicht die Wurzel gewesen, aber davon wollte meine Mutter nichts wissen. "Du bist eine verrückte Schachtel, Mae, rede nicht von Dingen, von denen du nichts weißt", sagte sie als sie uns bei Mae ablud, um anschließend in ihre Schönheitsklinik zu fahren. "Nun, wenn ich so verrückt bin, warum vertraust du mir dann deine Kinder an?" "Weil sie kein anderer haben will!", hatte sie geantwortet und war davon gebraust. Dieser Satz hatte mich mit der Wucht eines Ziegelsteins getroffen. Genau in den Magen. Bevor ich überhaupt wusste, wie mir geschah, war mein Gesicht nass und erst da realisierte ich, dass ich weinte. Stella sah mich spöttisch von der Seite an und sagte "Sie meinte damit eigentlich dich. Weil du so ein Kleinkind bist und niemand will auf ein Kleinkind aufpassen." Mit diesen Worten war sie aus der Küche nach oben verschwunden, wo sie geräuschvoll mehrere Türen schloss. Mae wischte mit einem Taschentuch mein Gesicht trocken, doch meine Augen produzierten immer mehr Wasser. Ein Staudamm war gebrochen. Und ich hatte keine Ahnung wie ich ihn schließen konnte. "Sie ist bloß ein dummes Kind, "sagte Mae, nahm mich auf den Schoß und strich mir übers Haar. "Sie ist klüger als ich. Sie ist neun und hat mehrere Klassen übersprungen." "Ihr Wissen ist aber begrenzt. Über Menschlichkeit und Mitgefühl hat sie keinen blassen Schimmer und für mich sind solche Menschen nicht besonders klug, da können diese Intelligenztests sagen, was sie wollen." Ich schaffte es zu lächeln. "Backst du mir einen Fruchtkuchen?", fragte ich und blickte in das runzelige Gesicht und die blassgrünen Augen, die irgendwie immer schelmisch drein blickten. "Aber sicher, ich muss nur erst die Monster weg sperren." Ich rutschte von ihrem Schoß und sie stand auf und ging aus der Küche in den Keller hinunter. Als sie wieder kam, zitterten ihre Hände etwas, die sie an ihrer Schürze abwischte. Sie lächelte ihr ansteckendes Lächeln und dann begannen wir mit dem Kuchen. *** Die Tapeten wirkten farblos und trotz der vielen Dekorationen wirkte der ganze Flur einfach fad. Der Teppich war so schmutzig, dass man seine ursprüngliche Farbe nicht mehr erkennen konnte. Ich meine mich aber zu erinnern, dass er braun und blau gewesen war. Die ganze Wärme, die das Haus als Kind auf mich ausgestrahlt hatte, war verschwunden. Vermutlich mit dem Glanz von den Tapeten vor Jahren ins Mauerwerk eingesogen worden. Ohne Mae war das Haus einfach nur eine schäbige Bude. Mae war eine Woche zuvor in ein Altersheim gekommen, nachdem sie sich zum zweiten Mal die Hüfte gebrochen hatte. Sie sah mit den Jahren immer schlechter und war die Treppe herunter gefallen. Zum Glück hatte der Briefträger ihre Hilferufe gehört. Ich strich mit der Hand über das Geländer, das bei jeder Berührung gleich knarrte. Es war etwas lose und musste dringend repariert werden, bevor die Familie mit den Kindern hier einziehen konnte. Ich ging den Flur entlang, öffnete die Kellertür und schaltete das Licht an. Es roch muffig und die lose Glühbirne an der Wand summte leise. Als Kind hatte ich immer eine Melodie heraus gehört. Zu Weihnachten ein Weihnachtslied und im Sommer ein fröhliches Lied. Ich hörte genau zu. Doch es war nur ein monotones Summen, ohne meine kindliche Fantasie. Hier war Mae immer runter gegangen um ihre Monster wegzusperren. Ich lauschte dem Summen und setzte mich auf den obersten Treppenabsatz, sog den modrigen Geruch ein und versuchte mich in die Zeit zurück zu versetzen, in der ich in diesem Haus glücklich gewesen war. Die Sonne schien durch ein kleines Kellerfenster herein und ließ am unteren Ende der Treppe Staubpartikel in einem hellen Lichtkegel umher tanzen. Ich dachte an die Monster, die ich mir als kleines Kind immer als fellbesetzte Kreaturen mit glitzernden grünen Augen vorgestellt hatte, die hinter der Waschmine mit ausgestreckten Krallen auf einen Besucher warteten. Bis meine Mutter mir erklärt hatte, dass Mae eine verrückte alte Schachtel war und es im Keller keine Monster gab. Dennoch hatte ich mich nie nach unten getraut. Ich legte die Hand ans Treppengeländer, um mich hoch zu ziehen; bereit mich meinen kindlichen Ängsten zu stellen; doch mitten in der Bewegung hielt ich inne. Der Keller war Maes Territorium und ich begann mich wie ein Eindringling zu fühlen, je länger ich hier saß und nach unten starrte. Mit einem wehmütigen Lächeln stand ich auf und ging zurück in den Flur. Dies war vermutlich einfach nur ein Ort, wenn man Monster zum Weg sperren hatte. |