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Eingereicht am
21. März 2007

Überfall

© Onivido Kurt

Pünktlich um sieben Uhr parkte ich meinen Ford Explorer kurz vor dem kleinen Einkaufszentrum in Macaracuay, einem Luxuswohnviertel in Caracas. Ich stieg aus und vertrat mir die Beine. Durch das Schaufenster des Schreibwarengeschäfts sah ich wie Ana gerade noch einen letzten Kunden bediente, dann kam sie aus dem Laden. Ich küsste sie auf die Wange. Hand in Hand gingen wir zum Auto.

Die beiden Männer, die plötzlich hinter uns auftauchten, hatte ich vorher nicht bemerkt, aber jetzt spürte ich den kalten Lauf der Pistole, den einer von ihnen zwischen meine Schulterblätter presste.

"Steigt ein und setzt euch auf den Rücksitz", kommandierte der Pistolero.

Es blieb uns nichts anderes übrig, als zu tun wozu man uns in so bestimmten Ton aufforderte.

"Schalte die Alarmanlage ab", sagte der Mann ohne Waffe, ein kleiner wieselartiger Neger, der sich auf den Fahrersitz gesetzt hatte.

"Es gibt keine Alarmanlage."

"Denk mal gut nach", sagte der Mann mit der Pistole, ein Weißer mit sandfarbenem Schnurrbart, der inzwischen auf dem Beifahrersitz saß und mit seiner Beretta zwischen den Rückenlehnen auf meinen Bauch zielte.

"Wenn wir den Motor starten und ein Alarmsignal hören, bist du eine Leiche."

"O.k. macht schon, es gibt keine Alarmanlage."

Die letzte Seite des Universal kam mir in den Sinn.

"Unternehmer und seine Geliebte ermordet." Gäbe eine hübsche Schlagzeile.

Beschämt dachte ich an meine Kinder. Unwillkürlich knirschte ich mit den Zähnen, als ich mir die geheuchelte Anteilname und die versteckte Häme der Freundinnen meiner Frau ausmalte.

"Gebt mir mal eure Brieftaschen", sagte der Weiße während sein Komplize das Auto auf die Hauptstraße lenkte.

"Eres bastante gafa, morena -du bist ganz schön dämlich, Mädchen", verspottete er Ana.

"Wie kommst du dazu, dich mit einem Kerl einzulassen, der das Foto einer anderen in der Brieftasche hat?"

Er zeigte ihr das Foto meiner Frau, das aus einer Zeit stammte, als wir uns noch liebten und das ich all die Jahre als Erinnerung an vergangenes Glück mit mir herumtrug.

Ana schwieg.

Der Mann wandte sich zu mir:

"Schämst du dich nicht Catire, lauter lumpige

Scheinchen!"

"Verheiratet bist du auch", sagte er mit einem Blick auf meinen Ehering.

"Gib mir den Ring."

"Ich bring ihn nicht vom Finger."

"Ich schon! Negro, gib mir dein Messer!"

"Übertreib nicht!" sagte der Neger.

Wir fuhren auf die Autobahn, die die Stadt von Westen nach Osten durchquert und dann durch unbesiedeltes Buschland ins Landesinnere weiterführt.

Meine Angst wuchs. Offenbar planten sie Ana irgendwo im Busch zu vergewaltigen. Es war mir klar, dass ich wahrscheinlich sterben würde, aber auch dass sie Ana nicht berühren würden, solange ich lebte. Bestürzt musste ich mir eingestehen, dass dies weniger mit meinen Gefühlen für Ana zu tun hatte, als mit seiner Selbstachtung. Lieber rot als tot, aber lieber tot als verhöhnt. Das war immer mein Motto gewesen. Eigentlich ein Wunder, dass ich so lange am Leben geblieben war.

Ich schätzte die Lage ab. Ich saß hinter dem Fahrer.

Der Typ mit der Pistole saß vor Ana. Der Abstand zwischen mir zu der Pistole war zu groß. Und selbst wenn es mir gelingen sollte sie zu fassen, war es fast sicher, dass Ana bei dem Gedrängel in die Schusslinie gelangen würde. Ich musste eine bessere Gelegenheit abwarten.

Kurz hinter der Autobahnbrücke über eine Avenida, verbreitert sich die Fahrbahn ohne ersichtlichen Grund. Dieser Umstand wird oft dazu benutzt das Auto anzuhalten um eine Reparatur vorzunehmen oder Passagiere ein- oder aussteigen zu lassen.

Bei einer Treppe, die von dort zur Avenida führt, hielt der Neger das Auto an.

"Steigt aus", befahl der Weiße, "und schaut mir nicht ins Gesicht!"

Wir beeilten uns der Aufforderung nachzukommen. Der Mann warf uns unsere geleerten Brieftaschen vor die Füße. Wiedergeboren atmete ich die Abgase auf der Autobahn ein. Aber schon einen Augenblick später war dem Gefühl der unsäglichen Erleichterung einem ohnmächtigen Zorn gewichen. Mein Stolz, meine Manneswürde hatte einen harten Schlag erhalten. Wir stiegen die Treppe hinab. Ana nahm mich bei der Hand.

Am nächsten Morgen rief sie mich an:

"Bitte, verlass mich nicht."

"Ana, amor mio, wie kommst du darauf."

Stille. Dann die bange Antwort: "Ich weiss nicht, ich hatte das Gefühl."

Lange blickte ich auf das Foto meiner Frau in meiner Brieftasche. Dann legte ich es in die unterste Schublade meines Schreibtisches und schämte mich einer Träne.

Catire = Mann mit kaukasischem Aussehen oder hellen Haaren.




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