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Eingereicht am
25. März 2007

Ruhe

© Christina Nerad

Ruhe - die völlige Abwesenheit von Lärm, wann habe ich das zum letzten Mal erlebt?

Sie wusste nicht, wann sich diese Frage in ihren Kopf geschlichen hatte, aber sie konnte an nichts anderes mehr denken.

Ruhe! Ruhe. - Mal klang ihr das Wort wie ein Befehl und mal als Versprechen in den Ohren. Dieses Wort mit seiner Macht ließ sie nicht mehr los. Also machte sie sich auf die Ruhe zu suchen. Sie, Sabrina Weber, 25 Jahre alt und Studentin, sie würde es schaffen die Ruhe zu finden! Sie würde dem Alltag entfliehen. Das wird ein Kinderspiel, dachte sie. Aber sie hatte nicht mit ihrer Umwelt gerechnet.

Als sie nach ihrem langen Tag an der Universität nach Hause kam, zog sie sich in ihr Zimmer in der WG zurück. Dort, in ihrer gewohnten Umgebung, in ihrer Höhle, würde sie die Ruhe finden. Sie kuschelte sich mit ihrer blauen Lieblingsdecke und einer dampfenden Tasse Tee auf ihr Sofa und schaute das große Parisbild an der Wand an. Sie atmete tief durch und lehnte sich zurück. Endliche Ruhe - wie hatte sie sich heute den ganzen Tag schon darauf gefreut! Aber was war das? - War das ein Geräusch? EIN Geräusch? - Nein! Das waren ganz viele. Die Kinder in der Nachbarwohnung, das Summen der Spülmaschine, der Mitbewohner beim Telefonieren und dann auch noch das Ticken des Weckers. Na ja, das sind ja nur kleine Nebengeräusche, versuchte sie sich zu beruhigen, aber die Unruhe in ihr wuchs. Sie wurde immer größer und so stand sie auf und beschloss die Ruhe woanders zu finden.

Wo könnte es ruhig sein? - Klar im Park. Sie machte sich auf den Weg, um festzustellen, dass dort viel zu viele Menschen waren, die sie daran hinderten die ersehnte Ruhe zu finden. Also machte sie sich auf in den Wald. Dort, dachte sie, wo es menschenleer ist, wird es endlich ruhig sein. Doch auch das Singen der Vögel und das Rauschen der Blätter empfand sie als Störung. Sie kam sich schon beinahe lächerlich vor, doch trotzdem schwang sie sich nochmals auf ihr Fahrrad, um alles hinter sich zu lassen und sich auf ein Feld zu setzen und dort die absolute Ruhe zu genießen. Allerdings machte ein Flugzeug und ein vorbeifahrender Traktor diese Illusion zunichte.

Entmutigt und enttäuscht machte sie sich auf den Heimweg. Es erschreckte sie, dass sie nicht in der Lage war Ruhe zu finden. Die Frage, ob es das in dieser schnelllebigen Welt noch gibt, kam ihr in den Sinn. Ihr Enttäuschung lies ihre Tretbewegungen immer langsamer und mühevoller werden. Da fiel ihr Blick auf eine Kirche. Da drin muss es einfach ruhig sein, schloss es ihr durch den Kopf. Mit neuem Elan trat sie in die Pedale und stellte mit fahrigen Bewegungen das Fahrrad ab und stürmte in die Kirche.

Kühle schlug ihr entgegen, als sie mit nun doch etwas gemäßigteren Schritten die Kirche betrat. Sie lauschte. Wunderbar nur ihre Schritte waren zu hören. Doch das konnte man ändern - sie blieb stehen. Nochmals lauschte sie in die Stille. Ja, hier war es ruhig. Hier fand sie die völlige Abwesenheit von Lärm. Endlich!

Doch das erwartete Gefühl von Entspannung und Zufriedenheit blieb aus. Tausend Fragen, ungelöste Probleme und Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Die so ersehnte und gesuchte Stille erschien ihr auf einmal erdrückend, fast bedrohlich, also hob sie den Kopf und fing an zu singen.




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