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Eingereicht am
24. Juni 2007

Jan

© Johannes Norz

Ich heiße Josef, Josef Anton Neurauch. Das ist ein netter Name, und er läßt sich zu JAN abkürzen, was ja dann auch wieder ein Name ist, aber völlig anders als der Meine klingt. Und der Jan, der Jan der bin ich halt manches Mal auch.

Der Jan schreibt, ich nicht. Das bringt uns beide manches Mal in Schwierigkeiten: ich sitze hier, und beobachte Jan, und Jan versucht zu schreiben. Noch nie hat Jan eines seiner Werke veröffentlicht, noch nicht einmal versucht hat er es. Er ist also ein Dilettant, einer, der schreibt, weil er es gerne tut. Natürlich träumt Jan von großen Erfolgen, wer täte es nicht? Aber um Erfolg zu haben müsste er veröffentlichen; und das kann er nicht. Dazu, nämlich, bräuchte er mich, und ich spiele da nicht mit. Ganz einfach.

Gerade eben wieder sitzt Jan an meinem Laptop, den er sich zu diesem Edlen Behulfe leiht, und versucht zu schreiben. Mein Laptop dient in seinem anderen Leben völlig nüchternen Dingen: ich arbeite damit oder daran, was weiß ich, oder je nach dem. Jan leiht ihn zum Schreiben, um Kunst zu machen also (macht man Kunst? Man macht morgens oder abends, großes oder kleines, aber macht man Kunst?). Jan ist unermüdlich. "Ein Mensch schreibt vor Begeistrung wild" mach ich mir meinen Reim drauf, frei nach Eugen Roth. In solchen Fällen spielt mein Laptop auch Musik, von Bach momentan, eine Kantate Namens "Gott sei Preis und Ehr". Fällt mir beim Schreiben Roth ein, so bei Musik Busch. Lassen wir das Thema.

Was Jan ärgert, mich aber amüsiert, ist, dass er absolut nicht weiß, was er schreiben soll. Des einen Freud, des andren Leid, frotzle ich.

Er sitzt also vor einem völlig leeren Bildschirm, und bastelt an einem, nein, nicht an einem, an dem Satz. Dem Satz, der die Kritiküsse so sehr von den Socken reißen wird, dass sie sein Buch in den Himmel loben werden, bis in die Frankfurter, die Süddeutschen, die Züricher, sogar die Krone scheint zum Greifen nah. Das ist sehr, sehr viel der Verantwortung, und Jan ist sich dessen absolut bewusst: Heute muss es sein.

Die Verantwortung, die Jan als Autor auf sich nimmt ist gewaltig: Mit dem ersten Satz gewinnt man den Kritiker und schafft den Durchbruch, oder man verliert alles. Er schreibt also - Den Satz. Den, der die Kritiküsse so sehr von den Socken reißen wird, dass sie seine Geschichte in den Himmel loben werden, bis in die FAZ, die Süddeutschen, die Züricher, sogar die Krone scheint zum Greifen nah. Und natürlich genügt da nicht der erste Satz alleine, oh nein, er muss in noch nie da gewesener Art und Weise in eine Handlung führen, die - das wird mittlerweile jeder mühelos erkannt haben - einzig in der Weltliteratur dazustehen hat. Und da liegt der Hase im Pfeffer: Wer kein Konzept hat, braucht auch keinen ersten Satz. Ich sage es ihm, aber wenn Jan schreibt, ist nicht mit ihm zu reden. So entstehen und verschwinden Sätze, immer bizarrer, von immer komplexerer grammatikalischer Struktur. Manche Sätze weisen ins Kriminalfach. Leider scheint es mir nicht möglich, in diesem Fach nie dagewesenes zu schreiben: Erst gibt es Leichen, dann einen Kommissar und zu guter Letzt weiß man, wer der Täter war. Natürlich kann man die Reihenfolge beliebig ändern, aber das hatten wir alles schon (Es gibt da nur sechs Möglichkeiten, ich bin Mathematiker. Definitiv: 3 Parameter, 6 Möglichkeiten).

Andere Sätze deuten ins erotische Fach. Dieses Genre sei kritisch, warne ich, man sei da sehr rasch abgestempelt. Bocaccio stehe da relativ alleine, weder Homer noch Doderer haben mit erotischen Geschichten den großen Durchbruch geschafft wende ich ein (und Josefine Mutzenbacher, Fanny Hill? Eben). Und zweitens kennen wir das alles schon, wenn nicht aus eigener Anschauung so doch aus dem Fernsehen: Sex langweilt definitiv.

Gesellschaftskritik schwingt in anderen Sätzen mit, eingeschmuggelt mit der Eleganz eines Bergepanzers und der Treffsicherheit einer Palästinensischen Kassam Rakete. Wer weiß, ob Kritiker das Gutieren werden? Vielleicht sind sie Spießer? Jan sieht mich bestürzt an. Nein, bestimmt nicht, kann überhaupt nicht sein, völlig ausgeschlossen, beschwichtige ich. Aber wissen tue ich es natürlich auch nicht, ich habe ja noch nie einen von denen kennen gelernt, lese nicht einmal deren Artikel: ich ziehe das Buch der Kritik vor, die waren Abenteuer sind im Kopf und nicht im Feuilleton.

"Mit Genitiv und Genital, varmasselst du es allemal" spotte ich. Da verschwindet Eusebius der ältere und eine Konstruktion aus zweitem Fall und ernstem Phall erscheint am Bildschirm. Und verschwindet wieder. Jan ist aufgestanden. Jetzt sieht er mich völlig wach an. Meine Chance: Ich erwähne noch einmal Bar und Bier, die Dunkle aus dem Lift vergesse ich auch nicht - aber er scheint mir nicht wirklich zuzuhören. Vor mir breitet sich plötzlich eine Handlung aus: Eine Frau, behindert, - vielleicht taub? - wird von der Polizei einer Lappalie wegen festgenommen. Die Polizei zeiht sie aller möglichen Verbrechen, die die Dame weder getan hat, noch auch getan haben könnte. Es stellt sich heraus, dass sich jemand - ein Mann vielleicht? - ihrer Identität bemächtigt hat. Sie kommt nach einem entwürdigendem Aufenthalt im Gefängnis - Sozialkritik scheint hier sowohl möglich als auch angebracht - frei und beginnt nun ihrerseits die Jagt auf den ... Indes: mir kommt diese Geschichte seltsam bekannt vor: beim Fahren im Auto deucht mir, hätte ich einen Kritiker ein Buch nämlichen Inhalts beschreiben gehört. Wie ein Kartenhaus stürzt das herrliche Gebilde wieder in sich zusammen. Es weicht einer Geschichte in der sich herausstellt, dass nicht nur das Ende unserer Zivilisation, auch Hitler, Stalin, sogar Gusenbauer und Dumpel, präzise vorausgesagt werden können, wenn man die Bücher Job und Ester in exakt definierter Methode mixt. Eine junge wunderschöne Frau - 85/60/128 scherze ich, aber mein Einwand wird erwartungsgemäß ignoriert - lüftet eben dieses Geheimnis. Sie findet in der Vorhersage auch die Möglichkeit zur Rettung der Welt, ein Kampf, den zu Führen sie verdammt ist, weil nur sie ihn führen kann, und von dem das Schicksal der Welt abhängt, die völlig ahnungslos ist. Mittels eines Wurmlochs reist sie ins beginnende 20. Jahrhundert zurück, Hitler kommt auf die Wiener Kunstakademie. In einem Kampf auf Leben und Tod mit Stalin trifft sie auf einen bildschönen jungen Mann, der einem Geheimdienst angehört - CIA? Noch viel geheimer? - und eine ähnliche Mission verfolgt, und natürlich dem elenden Schurken, und so weiter und so fort. "Moulinexgeschichte" werfe ich ein. "3 Teile Da Vinci Code, 1 Teil Airport, 4 Priesen vom feinsten Konsalik, noch etwas Startreck, einmal auf den Knopf gedrückt: gerührt, nicht geschüttelt". Das war tief, die Anspielung auf Bond hätte ich mir sparen sollen, ich weiß es. Jan sieht mich konsterniert an. "Weißt Du, wie viel Arbeit das ist? Wie viele Stunden ich da investiere? Und dann ziehst Du mich in den Schmutz". Aber hallo! Bin ich im falschen Film? Kann ich etwas für mangelndes Talent? Wir sehen uns feindselig an.

Langsam wird Jan nervös. Ich denke mir, ein Bierchen an der Hotelbar wäre jetzt ganz nett. Aber Jan schreibt. Ich verspreche ihm auch eines, erwähne die kleine Dunkle im Lift, vorhin, die vielleicht..., aber er hört mir überhaupt nicht zu. Mit verbissenem Blick löscht er gerade das Satzfragment "Mit ihrem, herrlich üppigen, vom warmen Mondlicht umschmeichelten splitternakten Körper würde sie daeinst ganz gewiss hinter dem alten, prächtig mit Goldstickereien verzierten, scharlachroten Samtvorhang gestanden haben, hätte nicht ehegestern ..." und ersetzt es durch "Es sei, murmelt Eusebius der Ältere, des Hauses gestrenger Hüter, durchaus absurd, ...". Er blickt verzweifelt hilfesuchend über die rechte obere Ecke des Monitors. Hilfe ist von dort nicht zu erwarten, aber ich springe mit Wonne ein: "... solch hanebüchene Torheit zu verbreiten!" . Dankbar nimmt Jan meinen Vorschlag an. In solchen Momenten ist er unglaublich naiv, es macht keinen Spaß, ihn auf die Schaufel zu nehmen. "Und um welche Art von Unsinn könnte es sich gehandelt haben?" fragt er und mustert mich verwirrt, denn jetzt schmunzle ich doch sehr. Das dachte ich mir: er hat überhaupt kein Konzept, nicht das kleinste Bisschen. Vermutlich hat ihm der Name gefallen: Eusebius klingt bombastisch, und eine Schwäche für seltsame Grammatikalische Konstrukte hat er natürlich auch. Und für altmodische Worte, die kein Mensch mehr verstehen kann. Vermutlich wird die Freude am Genitiv das Ende vom Jan seiner Kariere sein, und das bevor er sie noch beginnen konnte: Nicht einmal ein Lektor übersteht ein Manuskript mit zwei Genetiven pro Satz unbeschadet.

Jan will jetzt spazieren gehen, seinen Zorn raus laufen. Jetzt? Draußen ist es kalt und dunkel. Um ihn abzuhalten und aufzumuntern versuche ich, seinen Themenvorschlag ernster zu nehmen, schlage vor, Job durch Koholet zu ersetzen. "All das ist Haschen nach dem Wind" und "Jedes Ding hat seine Zeit" fallen mir spontan ein. Ich liebe Koholet. Ein früher Existentialist. Hervorragender Lyriker, da sind wir uns einig. Koholet wird, was die literarische Quaität anbelangt, allenfalls durch "Bereischis boro Elohim es haschomaim wes ho:orez" übertroffen (im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, der allererste Satz aus der Bibel). Jan liebt hebräische Sätze, die er nicht verstehen kann, da kommt dann tohu vabohu raus, was übrigens gleich im nächsten Satz käme: Irrsal und Wirrsal oder öd und leer, je nach Übersetzung. Hebräische Texte müssen tatsächlich in seinem Buch vorkommen, da geht jetzt kein Weg mehr daran vorbei: alleine die Buchstaben sind so faszinierend schön: ????? ??? ????? ?? ????? ??? ????. Ob das möglich sei, so, rein drucktechnisch? Klar, no problem at all!

Aber bitte doch kein Bibelcode, und kein Pseudokabbalistischer Esoschwachsinn flehe ich. Das sei - so doziert Jan - gerade sehr en Vogue, von Schwachsinn könne schon alleine aus diesem Grunde keine Rede sein. Er wird wieder unnahbarer. Vorsichtig erwähne die Möglichkeit, die Texte in anderem Zusammenhang zu verwenden, original Schriftzeichen, keine Esoterik. Und komme jetzt noch einmal auf die Bar zurück, diesmal als Köder, als Würzung sozusagen, nicht jene Dunkle aus dem Lift, die ich schon in einigen seiner Satzfragmente wiederzuerkennen meinte, sondern die günstige Wirkung von Alkohol auf die frühe Brainstorming Phase - Künstler wollen ernst genommen werden. Jan schwankt. Er müsse unbedingt vor Beginn der Arbeiten ein Konzept haben, nicht anders mache ich es in meiner Arbeit auch, lüge ich schamlos; es sei völlig ausgeschlossen ohne ein solches zu arbeiten, behaupte ich wieder besseren Wissens.

Jans sehnsüchtiger Blick streift zurück zum Computer. Bach hat mittlerweile einem Adagio von Haydn Platz gemacht. Jan nimmt den Rhythmus auf, tendiert wieder eher zur Literatur. Zögernd streckt er seine Hand nach den Tasten aus: "Aber?" Nein, Jan, erst eine Idee - dann die Handlung, der Satz und die Unsterblichkeit. So und nicht anders funktioniert das, da fährt die Eisenbahn drüber. Schnell schalte ich den Laptop aus, ansatzlos verreckt Haydn mitten in einem Takt: Computer sind da unfassbar brutal: mitten in den schönsten Stellen, ohne Rücksicht auf Takt und Melodie. Das Display verlöscht und ich schleppe Jan hinter mir zur Türe hinaus.

Vor der Türe sehen wir uns befangen an. Wozu der Spott, die Feindschaft? Vorsichtig stupse ich den Künstler an, er lächelt versöhnlich, legt seine Hand auf meine Schulter und wir schwirren ab Richtung Bar. Und langsam, ganz langsam, werden Jan und ich wieder ein Ganzes.

Ich heiße Josef, Josef Anton Neurauch. Aber der Jan, der Jan, der bin ich manchmal auch*

"Danke Janosch, ich hoffe, Du bist mir nicht böse, ich war so frei!"




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