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Eingereicht am
01. Juli 2007

Die Rückkehr

© Michael H. Schmatz

Wie vor dreißig Jahren liegt es noch da. Das kleine Dorf mit seiner kleinen Kirche - eingebettet in ein liebliches Tal. Umringt von Wiesen, Wald und Feldern. Die alten Höfe mit ihren alten, kalkweißen Fassaden, den angrenzenden Heuschobern und Scheunen aus braunen, der Witterung schon längst Tribut gezahlten Holz. Hier leben Menschen, glückliche Menschen.

Die Straße durch das Dorf ist nur an wenigen Stellen ausgebessert. Hier und da einige kleine Flecken platt gefahrenen Kuhmists, die bei der ein oder anderen Fahrt auf ein Feld verloren gegangen sind. Die Geranien in den Blumenkästen vor den Fenstern, die Blütenvielfalt in den kleinen Blumengärten. Selbst die Schwalbennester an der Unterseite der Giebel scheinen noch dieselben wie damals zu sein. Wenig hat sich an den alten Gebäuden geändert. Hier eine neue Holzlatte, dort einige neue Dachziegel - sonst keinerlei offensichtliche Veränderungen - nichts. Doch angrenzend an beinahe jeden Hof, meist etwas nach hinten versetzt und nur sichtbar, wenn man bewusst in die Hof-Einfahrten lugt, sind neue Gebäude entstanden. Zeugen neuer Generationen - glücklicher Familien - wachsender Gesellschaft. Dort dann neuer, prächtig weißer Putz. Neue, im Sonnenlicht hellrot leuchtende Dachziegel. Die Fensterrahmen von der Witterung noch unbeschadet, während bei ihren alten Nachbarn die Farbe längst abgeblättert ist. Balkonbrüstungen im prachtvollen Landhausstil, die bei den Alten gänzlich fehlen.

Der Weg ins Dorf führt noch immer entlang der kleinen, unbefahrenen Landstraße, welche von unzähligen Feldwegen gekreuzt wird. Links grüne Wiesen durchsetzt mit gelbleuchtendem Löwenzahn, dahinter angrenzend dunkle Tannenwälder, zur Rechten goldglänzende Weizenfelder, braune Kartoffeläcker; alles reglos im Duft würziger Landluft friedvoll ruhend.

Auf dem Pfad vom kleinen Bahnhof des Nachbardorfes zum angesteuerten Ziel kreuzen monströse Gefährte die Straßen und Wege. Riesenmaschinen - Herrscher der Landstraße, die mit den alten "John Deeres" wohl nur noch die Bezeichnung "Traktor" gemein haben. Misstrauisch wie eh und je drehen sich die Führer dieser Ungetüme nach dem "Schdoderer", dem Fremden aus der Stadt, um, der, im vornehmen Anzug, scheinbar gezielt seinen Weg am Straßenrand beschreitet. Aber niemand erkennt ihn. Niemand. Nicht einmal Andi, der vier Jahre lang sein Banknachbar in der Schule gewesen war, kann ihn wieder erkennen, als er ihm auf seinem neuen Ungetüm entgegen kommt. Nein - hier hat sich nicht viel verändert. Nur er, Michi Heimerl, er hat sich verändert.

***

Dreißig Jahre ist es her und er erkennt sie kaum wieder. Lang und breit ist sie geworden. Viel länger, viel breiter als damals. Moderne, elektronische Leitsysteme bringen den Fahrer sicher zum Ziel. Verschwunden sind die kleinen Geschäfte entlang der Hauptstraße. Gewichen riesigen Einkaufszentren mit Parkplätzen so groß wie mehrere Fußballplätze. Die wenig übrig gebliebenen alten Wohnhäuser erweisen ihre Referenz mit einer neuen Fassade. Viele aber sind ganz verschwunden. Weg - wie vom Erdboden verschluckt. An deren Stelle blitzen nun die verspiegelten Riesenfenster moderner Bauwerke im Sonnenlicht. Sicher - die Anordnung der Straßen sind ihm noch geläufig, doch das gespeicherte Bild ist verzerrt, das einstige Kopfsteinpflaster längst einer Decke dunklen Teers gewichen. Lange dauert die Fahrt vom Flughafen. Tausende Fahrzeuge grüßen im wetteifernden Hupkonzert, lassen ihn nur langsam seinem Ziel näher kommen. Die Luft - aus abertausenden Auspuffrohren, wirkt stickig und ungesund. Auch die Straßenbahnschienen scheinen abhanden gekommen. Hier ein Sexshop, da ein Handyladen. War hier nicht einst das kleine Kino gewesen? Ein Sanitätswagen bahnt sich mit schriller Sirene seinen Weg durch die Automassen.

"Bitte an der nächsten Kreuzung rechts." Hier beginnt das Viertel, welches er, Michael Heim, damals wie seine Westentasche kannte. Doch nichts von allem findet er in seiner Erinnerung wieder. Wo nur ist das kleine Cafe, in welchem er damals so häufig seiner ersten Freundin einen Milchkaffee bestellt hatte? Verschwunden. Verschluckt von einem riesigen Parkhaus.

"Und die Übernächste bitte links."

Betonklotz an Betonklotz. Wahrlich - kein schöner Stadtteil mehr. Alles so grau. Jedes noch so kleine Plätzchen ausgenutzt, verbaut, zugeparkt. Dort am Eck - seine einstige Stammkneipe einer Dönerbude gewichen. Kinder spielen auf der Straße. Kein grüner Fleck, kein Spielplatz, der einstige Bolzplatz - ausradiert, als wäre er niemals da gewesen. Dafür jede Menge parkender Autos. Ist das dort nicht Andreas? Sein alter Freund Andreas im maßgeschneiterten Anzug und Banker-Outfit. Andreas, der Schlagzeuger der Heavy-Metal-Band, in welcher er damals mehr geschrien als gesungen hatte. Freudig betätigt er den Knopf des elektrischen Fensterhebers, will eben "Andi" rufen, als ihn der tosende Verkehrslärm übermannt. Überlegt es sich anders und lässt das Fenster schnell wieder nach oben. Irgendwie ist er froh. Bestätigt in seinem damaligen Entschluss nach Afrika zu gehen. So hätte und so würde er niemals leben wollen.

"Bitte wenden Sie - zurück zum Flughafen."




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