Nur ein Traum© Angelika LauhoffEs war einer dieser Tage, an denen man nicht aufstehen mochte. Unruhig wälzte sich Lena in ihrem Bett hin und her, bevor sie die Augen aufschlug und leicht genervt auf ihren bimmelnden Wecker haute. Sie hatte schon wieder diesen komischen Traum gehabt. Seit circa 2 Wochen fast täglich immer den gleichen Traum. Nicht etwa einen Alptraum oder einen, der sie irgendwie beunruhigenden würde. Nein, er war eher wie eine Fabel aufgebaut, mit Tieren, verschiedenen Vögeln. Nun, es hatte jetzt keinen Sinn, weiter darüber nach zu denken. Mittlerweile wurde es Zeit auf zu stehen. Als sie im Bad vor dem Spiegel stand, schaute sie kritisch hinein, doch waren in ihrem Gesicht keine Spuren von schlechtem Schlaf zu erkennen. Eigentlich sah sie für ihre 40 Jahre noch verdammt attraktiv aus. Das sagte auch Gerd, ihr Mann, noch immer, obwohl sie bereits 21 Jahre verheiratet waren. Dunkles, halblanges, leicht gewelltes Haar umrahmte ein ovales Antlitz mit großen braunen Augen und vollen Lippen. Deshalb betonte sie das auch selten mit Make-up. Schnell putzte sie sich die Zähne, wusch sie sich ihr Gesicht, bürstete die Haare und schlüpfte in ihre bereitgelegten Sachen. In der Küche war wie jeden Morgen der Frühstückstisch bereits gedeckt, der Kaffee stand in einer Isolierkanne auf ihrem Platzdeckchen. Liebevoll dachte sie an ihren Gatten, der als Bauingenieur wahrscheinlich schon seit einer Stunde auf seiner Baustelle war. Ihr Innenarchitekturbüro würde von den beiden Mitarbeiterinnen Sabine und Rafaela sicher auch gleich geöffnet. Punkt 10 Minuten später betrat dann sie das Büro. Nachdenklich nippte sie an ihrer Tasse Kaffee. Beide waren sie sehr erfolgreich, aber irgendwas fehlte, das spürte sie genau. Heute musste die Tasse Kaffee reichen, für einen Toast war keine Zeit mehr. Egal, Hunger hatte sie sowieso keinen... schon seit ein paar Tagen nicht. Und hatte sie nicht auch 2 Kilo abgenommen? Sie griff zum Autoschlüssel und zur Handtasche und schloss die Haustür hinter sich ab, bevor sie den Haustürschlüssel in die Blazerjacke schob, die sie sich locker über den Arm gelegt hatte. Als Lena pünktlich das Büro betrat, begrüßte sie Sabine mit einem fröhlichen: "Guten Morgen!" "Morgen", erwiderte diese, "Rafaela hat sich krank gemeldet. Magen-Darm-Grippe, aber sie meint, dass sie in 2-3 Tagen wieder fit ist!" "Okay", gab Lena als Antwort, "scheint im Moment im Umlauf zu sein. Die Nachbarin erzählte mir auch, dass es in ihrer Familie 2 Fälle gibt." "Du siehst trotzdem beunruhigt aus. Schaffen wir die Arbeit nicht allein? Ich könnte Katja, die Praktikantin, anrufen, die würde bestimmt gerne einspringen, auch wenn es ihr freier Tag ist." "Nein, nein, schon in Ordnung! Ich habe nur schlecht geschlafen!" "Hm", brummte Bine vor sich hin, "so möchte ich auch mal aussehen, wenn ich schlecht geschlafen habe... " "Hast du noch etwas gesagt?", streckte Lena ihren Kopf aus der Garderobe. "Den Termin beim Gynäkologen, den du vor 3 Wochen wegen der Begehung beim Bürgermeister kurzfristig absagen musstest, soll ich dir da nicht einen neuen Termin machen?", beeilte sich Sabine zu antworten. Gut, dass ihr das noch eingefallen war. "Ach, das eilt nicht, nur eine Vorsorgeuntersuchung, aber erinnere mich noch mal dran!"
Der Vormittag ging schnell rum, einige Kunden hatten Termine gemacht und die Besprechungen waren sehr kurzweilig. Ein Möbelhaus wollte den Eingangsbereich umstrukturiert haben und der Bürgermeister ließ sein Büro renovieren. Beide hatten sich ihren Vorschlägen sehr aufgeschlossen gegenüber gezeigt. Sie war zufrieden. " Was meinst du, Bine, holst du uns was zu Essen vom Italiener um die Ecke?" "Was soll es denn sein?" "Ach, einen Capricciosa-Salat mit hauseigenem Dressing und Pizzabrötchen für mich, bitte. Und für dich, was du möchtest... ich gebe heute einen aus!" Als sie eine halbe Stunde später im Hinterzimmer gemeinsam speisten, kamen die beiden Frauen ins Gespräch. "Sag mal, Lena, warum hast du schlecht geschlafen? Gibt es Probleme?" "Probleme... hm... nein, ich habe seit circa 2 Wochen fast in jeder Nacht den gleichen komischen Traum. nichts Aufregendes...aber es ist immer der Gleiche und das macht mich kribbelig und nervös." "Erzähl mal!" war Bine neugierig. "Ich sehe auf einer kleinen Anhöhe einen Adler, einen Storch und einen Schwan, die sich unterhalten. In ihrem Gespräch geht es um die Sonne und was diese für sie bedeutet. Licht, Wärme und das Leben, denn ohne die Sonne gäbe es weder Pflanzen noch Lebewesen. Die Sonne, über die geredet wird, steht dabei an einem strahlend blauen wolkenlosen Himmel genau zwischen ihnen. Sie strahlt so schön, dass selbst mir im Traum ganz warm wird. Plötzlich sehe ich große Flügel und ein wundersames Gesicht. Es ist ein Engel, der mich anlächelt und auf die Vögel zeigt. Ich habe das Gefühl, er will mir etwas sagen, jedoch verstehe ich nicht, was das sein könnte. Während ich mir darüber den Kopf zerbreche, wache ich auf...!" Lena zuckt mit den Schultern. "Das ist in der Tat ein ungewöhnlicher Traum. Meine Großmutter sagt oft zu mir, wenn ein Traum dir komisch vorkommt und immer wieder erscheint, dann hat er etwas zu bedeuten. Sie hat sich viel mit Traumdeutung beschäftigt. Was ist... sollen wir zu ihr fahren und sie fragen?" "Es ist verrückt. Aber, ja ... das würde ich gern. Wir schließen für heute das Büro und machen blau." Als die beiden bei der alten Frau auf dem Sofa saßen, kam Lena die Sache dann doch etwas unwirklich vor, denn an der Wand hing ein Bild, das zeigte den Engel, den sie im Traum sah. Sabine fragte ihre Oma: "Was ist das für ein Bild?" "Oh, das ist der Erzengel Raphael, mein besonderer Liebling, er ist der Schutzpatron der Kranken, der Engel der Heilung! Was kann ich eigentlich für euch tun?" Schnell erzählte Bine ihrer Großmama den Traum von Lena und schaute dabei in kleinen Abständen zu ihr herüber, um deren Bestätigung zu erhalten. Diese warf einmal noch ein kleines Detail in Bines Ausführung ein. Die alte Dame hörte aufmerksam zu und als Sabine ihren Bericht beendet hatte, wandte sie sich an Lena: "Insgesamt gesehen ein guter Traum, aber es ist auch eine Warnung oder ein Hinweis. Ich versuche den Traum mal für Sie aufzuschlüsseln. Der Adler steht für weittragende Gedanken, ist ein Symbol der eigenen Bewusstheit, weist auf eine Krankheit hin, die aber glücklich verläuft. Der Schwan symbolisiert die Seele des Menschen, die Fähigkeit, tiefe Gefühle zu empfinden, das gute Verhältnis zu sich selbst und seiner Umwelt. Er steht für geistiges Interesse und Idealismus. Der Storch, der dritte Vogel im Bund zeigt, dass in Ihnen tiefe Gefühlskraft steckt, die mit geistiger Tiefe einhergeht. Er bringt Ahnungen aus dem Bereich des Unterbewusstseins hervor. Er bedeutet seelische Ausgeglichenheit und ist ein Fruchtbarkeissymbol. Träume mit einem Storch können auch Wunsch- und Sehnsuchtsträume sein. Die Sonne im Mittelpunkt zeigt uns das bewusste Leben, das mit Energie und Tatkraft gestaltet wird und uns zu Erfolg, Lebensfreude und Gesundheit führt. Der Engel in Ihrem Traum, bei Ihnen speziell Raphael, soll Sie dazu auffordern, Ihren Verstand richtig zu gebrauchen, um den richtigen Weg einzuschlagen. So, das war es, was die einzelnen Figuren in Ihrem Traum Ihnen übermitteln wollen. Ich fasse mal zusammen. Sie sind eine äußerst attraktive, erfolgreiche, junge Frau, die augenscheinlich mit ihrer Lebenssituation und sich selbst im reinen ist. Doch das Unterbewusstsein führt Ihnen das so stark vor Augen, dass irgendetwas doch nicht stimmt. Vor Allem, wenn man bedenkt, dass Raphael der Engel der Heilung ist und der Adler auf eine Krankheit hinweist. Der Schwan könnte für einen unterdrückten Kinderwunsch stehen. Vorrangig ist jedoch die Krankheit, auf die hingewiesen wird. Haben Sie irgendwelche Beschwerden oder sind sogar schon in Behandlung?" "Nein, keine Beschwerden und ich bin auch nicht in Behandlung!" verneinte Lena "Hey", rief Sabine "was ist mit deinem Gyn-Termin?" "Was ist damit?", fragte die alte Dame und blickte Lena an "Ich hätte vor ungefähr 3 Wochen einen Vorsorgetermin gehabt, den ich absagen musste und bisher nicht wahrgenommen habe." "Ja, dann. worauf warten Sie noch. Es ist 15.00 Uhr und die Praxis macht gerade auf!" Im Auto drehte sich Lena zu Bine und fragte: "Was hältst du davon?" "Ich denke, schaden kann es auf jeden Fall nicht."
Zwei Monate später kam Lena aus dem St. Josefs- Hospital. Auf der gynäkologischen Station hatte sie nur ein paar Tage verbracht. Eine Zyste am rechten Eileiter war samt des Eileiters entfernt worden. Der behandelnde Arzt hatte ihr gesagt, dass sie Glück hatte, weil sie so früh gekommen war. In der Zyste war bereits eine Krebszelle und wer weiß, welche Auswirkungen eine spätere Entdeckung derselben gehabt hätten. Lena blieb an der Treppe kurz stehen. Es war ein herrlicher Tag und die Sonne schien hell. So hell, dass es ihr warm wurde. Sie lächelte. Heute Abend würde sie mit Gerd über den unterbewussten Kinderwunsch reden. Sie war voller Hoffnung als sie die Schultern straffte und der Sonne entgegen zum Parkplatz ging ... Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. |