Vater, warum machst du das© Sabine LiefkeIch hasste es, wenn mein Vater wieder einmal schwankend und nach Alkohol riechend nach Hause kam. Mir graute es davor, zu sehen wie er mit dem Finger über die Türrahmen und Schränke wischte um zu sehen, ob Mutter richtig geputzt hatte. Ich hatte Angst vor seiner lauten Stimme, wenn er herum schrie. Und doch versuchte ich es ihm immer recht zu machen, damit er nicht wieder sagte wie dumm ich doch sei. Ich schleimte mich bei ihm ein, wenn ich abends mit Freundinnen ins Kino wollte nur um zu hören, dass ich mich nicht herum treiben soll. Das Schlimmste aber war, wenn er meine Mutter fertig machte, wenn er ihr Schimpfworte an den Kopf knallte, seine angestaute Wut an ihr ausließ. Geschlagen hatte er sie nie, das hätte sie ihm nicht verziehen, dann hätte sie ihn verlassen. Das wusste mein Vater ganz genau. Genauso wusste er, dass er es besser konnte. Dass er ein umgänglicherer Mensch war, wenn er den Alkohol nicht trank. Er hatte es ihr oft genug gezeigt, wenn sie im Urlaub waren. Neuer Ort, neuer Mann. Fröhlich, zuvorkommend, immer zu Späßen aufgelegt. Das waren Zeiten auf die ich mich freute, denn dann sah meine Mutter glücklicher aus und ich bekam endlich mal die längst versprochenen Spielrunden eingelöst. Doch so bald wir wieder daheim waren, dauerte es nicht lange bis Vater erst spät abends in die Wohnung wankte, das bereits kalte Essen in sich hinein schaufelte und dabei den Tisch verdreckte als müsse er das Essen erst noch lernen. Damals sah ich meine Mutter oft mit geröteten Augen. Ich wusste, dass sie nur eine Freundin und fast keine Bekannten hatte. Das hatte mein Vater ihr aus Eifersucht verleidet, genauso wie das Arbeiten und das Auto fahren. Meine Frau braucht nicht zu arbeiten, hieß es dann und jeden Tag stand er vor dem Frisiersalon um sie abzuholen. Du kannst ruhig mit dem Auto fahren, sagte er und kontrollierte jeden Kilometer. Bis ich sechzehn war wusste ich noch nicht einmal, dass meine Mutter einen Führerschein besaß. Vieles wurde mir erst klar, als ich älter war, aber eines wusste ich recht früh: ich hasste meinen Vater! Ich zog aus als ich achtzehn war und hatte ein schlechtes Gewissen, da ich sozusagen meine Mutter im Stich ließ. Sie blieb ja schließlich bei ihm. Ich fragte sie oft, warum sie nicht einfach weg gehe - die Antwort war immer die gleiche: "Kind, ich habe doch nicht geheiratet um von ihm weg zu gehen." Ich verstand das nicht. Sie hatte bestimmt auch nicht geheiratet um sich beschimpfen und herum kommandieren zu lassen. Heute weiß ich, dass sie nur Angst hatte. Mein Vater sagte ihr immer: "Wenn du gehst, werde ich dich finden und dann kannst du was erleben!" Also blieb sie und ich ging. Natürlich war das Theater riesengroß und ich war froh, dass ich dieses Mal die Tür hinter mir zu machen konnte und das alles nicht mehr hören musste. In den folgenden Jahren wurde ich mutiger und gab Widerworte, wurde ein paar Mal sogar ausfallend in meiner Wut. Meine Mutter fand endlich den Mut wieder arbeiten zu gehen und gewann dadurch an Selbstvertrauen. Mein Vater tobte, aber er konnte nichts machen. Einmal habe ich Mutter sogar dazu überredet bekommen mit mir nach Spanien in den Urlaub zu fliegen. Der Standardspruch von meinem Vater: "Wenn du fliegst, brauchst du gar nicht wieder zu kommen. Hoffentlich stürzt das Flugzeug ab!" Das Flugzeug stürzte nicht ab und als meine Mutter wieder nach Hause kam und zitternd die Wohnungstür auf schloss, fand sie einen überglücklichen Mann vor. Ich dachte mir nur: "Hunde, die bellen beißen nicht." An einem nasskalten Wintertag, als ich meine Mutter besuchte, kam mein Vater mal wieder mit übelster Laune nach Hause. Er beleidigte sie mit Worten, die unter aller Würde waren. Mir platzte der Kragen und ich sagte ihm zum allerersten Mal in meinem Leben so richtig die Meinung. Erst drohte er mir, dass ich so nicht mit ihm reden könne, er wäre immer noch mein Vater und ähnliches. Doch irgendwann wurde er still. Erst merkte ich es gar nicht, doch als ich einmal etwas länger aussetzte um Luft zu holen, wunderte es mich, dass keine Drohung oder Beschimpfung kam. Ich schaute meinen Vater an und erschrak. Zum ersten Mal sah ich meinen Vater weinen. Dicke Tränen liefen über das mittlerweile gealterte Gesicht, seine Augen blickten traurig und um seinen Mund zuckte es. Mit zitternder Stimme sagte mein Vater: "Ich meine das doch alles nicht so. Ich weiß selber nicht, warum ich das immer mache, aber glaube mir: Ich liebe deine Mutti." Ich war platt, schweigend ging ich an meiner Mutter, die weinend in der Tür stand, vorbei und zu mir nach Hause. Ich weiß nicht genau was ich davon halten sollte, doch seit diesem Tag hasste ich meinen Vater nicht mehr - er tat mir leid. Ich versuchte mir sein Leben vorzustellen und kam zu dem Entschluss, dass er es nicht leicht gehabt hatte und doch hätte es anders laufen können, wenn er den Alkohol weg gelassen hätte. Ich fand nicht den Mut so bald wieder zu meinen Eltern zu fahren, doch wenn ich gewusst hätte, dass er zwei Wochen später an einem Herzinfarkt sterben würde, dann wäre ich hingefahren. Nun war es zu spät. Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. |