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Burundanga (Brief an Dr. Eugen Spiegel; Teil 2)

© Onivido Kurt

Schon einen Tag nachdem Liliana diesen Brief aufgegeben hatte, fand ich ihn lächerlich, sowohl den Inhalt als auch die Absicht. Nicht nur bei Vollmond oder Föhn mussten arme Spinner regelmäßig solche Leserzuschriften an Dr. Spiegel schicken. Natürlich würde das Geschreibsel unverzüglich im Papierkorb landen. Womöglich vermutete Dr. Spiegel sogar jemand versuchte ihn auf den Arm zu nehmen. Zum anderen war mein eigener Verstand Tag für Tag weniger bereit mein ungewolltes Erscheinen an unpassenden Orten auf mystische Ursachen zurückzuführen. Stutzig hatte mich vor allem gemacht, dass Kleidungsstücke, die bei meiner "Transportationen" verschwunden waren, wieder in meinem Kleiderschrank auftauchten.

Eigentlich wusste ich nicht mehr so recht, warum ich Anfangs so voreilig zu dieser esoterischen Erklärung gelangt war. Wunschdenken wahrscheinlich. Bestimmt hatten die Erfolge mit meinen telepathischen Experimenten mich dazu verleitet. Sie hatten offenbar meinen Glauben an psychische Kräfte überspitzt.

Verwarf ich also die Hypothese der Teletransportation, wohin führte das? Zu dem Phänomen des Schlafwandelns.

Bei helllichtem Tag. Das wäre doch Irrsinn. Ja und deshalb war ich folgerichtig in einem Irrenhaus.

Wie Zirkuspferde in der Manege kreisten meine Gedanken um meinen Geisteszustand. Die Ärzte gaben sich ehrliche Mühe mich möglichst lange in ihrer Anstalt zu behalten, da meine Versicherung großzügig bezahlte.

Unzählige Tests wurden an mir verübt. Wehmütig dachte ich an die Gepflogenheit der chinesischen Kaiser, ihre Ärzte nur dann zu bezahlen, solange sie selbst gesund waren.

Meine Gattin, Nancy, besuchte mich nur einmal, wie unter den Umständen auch nicht anders zu erwarten, und zwar in Begleitung eines Anwalts und eines weiteren Individuums von dem sie mir nur den Namen nannte, Guaicaipuro Zuniaga. Und ausgerechnet dann, als vollkommen unerwartet Dr. Spiegel einen Abstecher von seinem Karibikurlaub gemacht hatte und gerade hier in der Klinik in angeregter Unterhaltung mit mir meinen Geisteszustand analysierte. Ich hatte sie abweisen wollen, doch Spiegel wollte meine Frau kennenlernen, aus beruflichen Gründen, wie er betonte.

Wie alle Männer geriet auch er sofort in ihren Bann.

Bestimmt bezweifelte er meine Zurechnungsfähigkeit nun mehr denn je. Wie konnte ein Mann diese Frau auch nur eine Sekunde für eine andere eintauschen.

Der Schnösel von Anwalt hatte einen Entwurf des Scheidungsvertrags mitgebracht. Nancy leistete sich einen miesen Rechtsbeistand. Man brauchte nicht Jura studiert zu haben um zu wissen, dass meine Unterschrift nichts wert war, solange meine Zurechnungsfähigkeit offiziell angezweifelt wurde.

Jetzt weiß ich, dass der Besuch mit dem Anwalt nur als Vorwand gedient hatte um Guaicaipuro einzuschleusen. Ein eigenartiger Mensch, Guaicaipuro Zuniaga, mehr als eigenartig, rätselhaft und obskur wie seine Haut. Dennoch schien er mir irgendwie bekannt. In einen makellosen weißen Anzug gekleidet stand er etwas abseits. Ein Wulst von Armbändern aus vielfarbigen Glasperlen umspannte seine kräftigen Handgelenke. Seine schwarzen Augen saugten sich an mir fest. Als Nancy ihn Dr. Spiegel vorstellte, musterten sich die beiden wie zwei Boxer die vom Ringrichter ermahnt werden die Regeln zu achten. Tatsächlich zogen sich beide in entgegengesetzte Ecken zurück, während der Anwalt mir Nancys Bedingungen auseinandersetzte.

Ich hörte ihm nicht zu. Meine Gedanken beschäftigten sich mit Zuniaga. Seine Aufmachung verriet, dass er ein Santero war, ein Babalawo, ein Priester der Santeria. Die Santeria ist eine geheimnisisvolle Religion in der afrikanische Götter die Namen christlicher Heiligen angenommen haben. Ihre Anhänger versammeln sich im Dschungel in der Nähe von Sorte, einem Dorf in den von Urwald überwucherten Bergen von Yaracuy. Manchmal erscheint dort auch Maria Lionza, die indianische Göttin des Urwalds, in Gestalt eines handtellergroßen Schmetterlings oder eines Rehs. Im Dschungel heilen Babalawos Krankheiten, weissagen die Zukunft, inszenieren Riten zum Schutz vor realen und eingebildeten Widersachern, brauen und verabreichen Liebestränke, bannen Nebenbuhler, fertigen Amulette gegen el mal de ojo - den bösen Blick. Wieso hatte Nancy einen Santero zu diesem Besuch mitgebracht? Was hatte er mit ihr zu schaffen. Sie war Schauspielerin und arbeitete beim Fernsehen in sogenannten Telenovelas - soap operas. Zweifelsohne kannte sie eine Menge absonderlicher Typen, aber was hatte sie dazu bewogen ausgerechnet in Begleitung dieses Menschen zu kommen. Was führte sie im Schilde?

Fürchtete sie mich etwa? Glaubte sie sich vor der Macht meines irren Geistes schützen zu müssen? Sollte mich der Mann gar verhexen? Welches immer auch der Grund war, Tatsache blieb, dass dieser Santero nicht zufällig mitgekommen war und keineswegs um mir zu helfen.

Die Ausführungen des Anwalts summten in meinen Ohren, sinnlos. Mein ganzes Wesen war ausgefüllt von einer einzigen Frage. Wer ist Guaicaipuro? Urplötzlich wusste ich, dass mir Dr. Spiegel diese Frage stellte, telepathisch.

Hexer dachte ich.

Jäh drangen Erinnerungen in mein Bewusstsein, zuerst zerfahren und unklar und dann immer deutlicher. Die Nacht meiner ersten "Transportation" hatte ich ein Glas Passionsfruchtsaft getrunken, mit einem eigentümlichen Beigeschmack. Burundanga? Burundanga

(1) ist der karibische Zaubertrank, der Menschen zu gedächtnislosen Zombies macht, sie vollkommen willenlos jeder Einflüsterung ausliefert. Ich erinnerte mich an den unüberwindlichen Drang nach Guarenas zu fahren und verstand nun, dass ich dem telehypnothischen Befehl Guacaipuros gefolgt war. Er hatte mich sogar dorthin gefahren. Wahrscheinlich hatte ich mich in seinem Auto ausgezogen. Jetzt durchschaute ich den Verlauf der Dinge. Nancy musste all das angezettelt haben. Wie die meisten in ihrem Milieu war sie mehrere Male nach Sorte gepilgert.

Sicher hatte sich der Babalawo in sie vergafft. Nancy musste von meiner Affaire mit Liliana irgendwie erfahren haben und war tief in ihrem Stolz gekränkt gewesen. Wie konnte ein Mann eine andere Frau ihr vorziehen und dazu noch "una marginal", - eine Vorstadtschlampe -, wie sie Liliana verächtlich nannte. Wütend hatte sie auf Vergeltung gesonnen und in boshafter Überreaktion gemeinsam mit ihrem Babalawo den soap-opera artigen Plan ausgeheckt, mich mittels Burundanga und hypnotischen Anweisungen ins Irrenhaus zu bringen.

Ich spürte einen dumpfen Druck an meinen Schläfen, kniff die Augen zusammen und starrte fest auf einen braunen Fleck an der weißen Wand, nur Guaicaipuro nicht ansehen. Ein fauchender Laut presste sich aus meiner Kehle. Mein Faustschlag knallte gegen den Schädel Guaicaipuros. Ungeachtet der Proteste Dr. Spiegels kostete mich das zwei weitere Wochen in der Clinica Mental.

(1) Burundanga wird aus "Cacao sabanero" ("Datura arborea") gewonnen. Im nördlichen Südamerika häufig von Kriminellen angewandt um die Wohnung ihrer Opfer mit deren protestloser Beihilfe auszuräumen.



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