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Panik

© Bianca Waldrich

Vollkommen zerstreut verließ Natascha den Friseursalon und trat ins Freie. Kalte Luft schlug ihr entgegen und ihr Atem verwandelte sich in kleine Dampfwölkchen. Als sie einen Blick auf ihre Uhr warf, stellte sie fest, dass es bereits nach 19 Uhr war. Es war kein Wunder, dass es schon so dunkel draußen war und nur noch die Laternen etwas Licht spendeten.

Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, so spät noch zum Friseur zu gehen, aber sie hatte es zeitlich einfach nicht besser geschafft. Gerade in den letzten Tagen hatte sie versucht, vor Einbruch der Dunkelheit wieder zu Hause zu sein. Man hörte allerlei Geschichten über einen Vergewaltiger der sich zurzeit herumtrieb und natürlich ausgerechnet in der Gegend, in der Natascha wohnte.

Voll Unbehagen ging sie schnellen Schrittes voran und vermied es sich umzudrehen. Natascha entschloss sich die Abkürzung durch den Park zu nehmen. Um diese Uhrzeit waren meistens noch Jugendliche unterwegs. Zumindest hoffte sie das inständig.

Schon nach den ersten Metern, war ihr klar, dass der Park vollkommen menschenleer war. Weder hörte sie Stimmen, noch war ihr irgendjemand bisher begegnet. Als sie Schritte hinter sich hörte, überlegte sie nicht lange und beschleunigte ihre eigenen Schritte, bis sie fast rannte. Derjenige hinter ihr beschleunigte ebenfalls. Natascha packte die Panik. Mit pochendem Herzen begann sie zu rennen. Sie war selbst überrascht wie schnell sie rannte, obwohl sie eigentlich sehr unsportlich war. Wahrscheinlich trieb ihre Angst sie an und lies sie schneller als gewöhnlich laufen. Doch schon nach ein paar Minuten spürte sie einen schmerzenden Stich in der Seite. Dennoch lief sie weiter. Die kalte Luft brannte unangenehm in ihren Lungen und sie bekam kaum noch Luft. Ihre Geschwindigkeit verlangsamte sich zunehmend. Sie wusste, dass sie nicht stehen bleiben durfte, aber sie war bereits so erschöpft, dass sie sich nur noch mit Müh und Not vorwärtsbewegen konnte.

Noch immer wagte sie nicht einen Blick über die Schulter zu werfen. Aber sie hörte, dass auch ihr Verfolger langsamer geworden war und dass auch er um Luft rang. Sie musste nur noch ein bisschen durchhalten, dann würde sie diesen schrecklich einsamen Park verlassen haben und kurz vor ihrer Haustür sein. Von dort aus konnte sie die Polizei rufen und ihr würde nichts geschehen. An diesen Gedanken festklammernd, beschleunigte sie wieder ihren Schritt. Mit Entsetzen stellte sie fest, dass ihr Verfolger dies ebenfalls tat.

Nataschas Beine wurden immer schwerer und ihr wurde langsam aber sicher bewusst, dass sie es nicht mehr lange in diesem Tempo schaffen würde, sie war am Ende ihrer Kräfte. Vielleicht hatte sie noch ein paar Sekunden, bis sich ihre Beine vollkommen weigern würden und einfach zusammen klappten. Sie wusste was dann passieren würde und schüttelte den Gedanken daran ab. Schließlich war es nicht mehr weit und ihre Beine hatten gefälligst zu tun was sie wollte, hier ging es schließlich ums Überleben.

Noch einmal zwang sie ihre Füße etwas schneller zu gehen, aber diese weigerten sich und antworteten ihr mit einem stechenden Schmerz in der Ferse. Sie versuchte den Schmerz zu ignorieren, aber es gelang ihr nicht, denn der Schmerz nahm von Sekunde zu Sekunde zu. Als sich auch noch ein Krampf in ihrer rechten Wade ankündigte, wusste sie, dass es vorbei war. Natascha konnte einfach nicht mehr. Ihr Körper weigerte sich aufs Entschiedenste. Sie hatte keine andere Wahl, als sich dem Verfolger zu stellen.

Entschlossenen blieb sie stehen und drehte sich mit einem Ruck um. Der Mann wankte auf sie zu, er war genauso erschöpft wie sie. Noch konnte sie sein Gesicht in der Dunkelheit nicht erkennen. Aber jeden Moment würde er in das Licht der Laterne treten. Vollkommen perplex sah sie den Mann an, der sich nach Atem ringend auf seine Knie stützte und sie vorwurfsvoll, gar wütend, ansah. "Sie haben ihr Wechselgeld vergessen", keuchte ihr Friseur mit roten Wangen. Natascha sah ihn erst ungläubig und dann verlegen an.



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