Kurzgeschichte - Erzählung - short story
Kurzgeschichte - Alltag - Alltagsgeschichte

Splitter nackt

© Sophie Weigand

Ich recycle Trümmer. Die Zeit ist zu schnell vergangen. Gerast, gerannt, geflohen vor etwas, das sich mit Worten allenfalls beschreiben lässt. Ich sitze inmitten von Artgenossen, die mich teils mitleidig, mehrheitlich aber völlig teilnahmslos betrachten. Du machst mein Leben eng. Hatte sie gesagt und mich flehend angesehen. Meine Hände zittern und ich weiß nicht, was ich hier suche. Die Kellnerin war lächelnd zu meinem Tisch flaniert, um Kerzen anzuzünden. Ein Candle-Light-Dinner für niemanden. Außer für mich. Ob da ein gravierender Unterschied besteht? Das Kerzenlicht umspielt mein Weinglas und zaubert kleine Lichtreflexe in die dunkelrote Flüssigkeit. Meine Hände verkrampfen sich und mein Mund wird trocken. Draußen steht ein Mann mit einem Akkordeon und singt. Ich verstehe ihn nicht. Er scheint gänzlich in seine Musik vertieft. Er hat kein Behältnis für großzügige Spendengelder. Er spielt für sich. Und für niemanden sonst. Die Wände kommen auf mich zu. Hatte sie gesagt und mich hilflos angesehen. Was immer sie sagt, sie bleibt ausdruckslos. Am Nebentisch spricht eine Dame in unerhörter Lautstärke über ihre Liebschaften. Ich höre weg. Gibt es noch etwas, das mir gehört? Gibt es etwas, das nicht in menschenübergreifende Katastrophen mündet, wenn ich es ansehe? Anfasse, in Angriff nehme und verwerfe. Seit Jahren habe ich meine Wohnung nicht verlassen. Ich habe geschrieben. Im Geiste, denn das Papier ist mir ausgegangen. Irgendwann sind auch die Buchstaben ausgestorben, die Worte zerfallen. Der Mann mit dem Akkordeon hat aufgehört zu spielen. Er blickt betreten durch die Scheibe als müsse er sich dafür entschuldigen, auf der anderen Seite der Welt zu stehen. Weltenvielfalt. Überall. Es gibt nicht nur eine davon, es gibt Milliarden, in Form und Größe unterscheidbar. Ich möchte hinausgehen und ihn um ein Lied bitten. Ich möchte, dass unsere Welten sich ansehen, miteinander ein Knistern erzeugen wie Wunderkerzen an Silvester. Ich weiß wirklich nicht, was schief gegangen ist. Ich habe nichts zu essen bestellt. Ich bin zu voll. Voll von Gedankenpaketen, säuberlich verschnürt und aufgestapelt. Ich habe mich dir angepasst. Hatte sie gesagt und weggesehen. Unsere Welten im Widerstreit, nicht vereinbar, kaum vergleichbar.



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