Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Verlags. Viktors Größe© Patricia KoelleEs war so heiß, dass der Asphalt Sorgenfalten warf und mein Schweiß in die staubige Auguststille tropfte. Ich hob die Schaufel nur noch mechanisch. Die ganze Stadt um uns herum schien in einer regungslosen Mittagspause zusammengesunken, doch wir mussten mindestens noch drei Meter graben. Ingmar, der sich vom anderen Ende her auf mich zu arbeitete, hatte seinen Spaten fallen lassen und brachte mir die fünfte Wasserflasche des Tages. Ich schmeckte Sand auf der Zunge und sehnte mich danach, dass an der Uni das Semester wieder begann. Aber ich brauchte diesen Sommerjob. Wir waren dabei, die Mauer zu sanieren, die die Grenze zwischen dem Fabrikgelände und einer Obdachlosenherberge markierte. Dazu mussten wir den Boden am Fundament entlang einen Meter tief ausheben. Ich war froh, dass wir jetzt auf dieser Seite zu tun hatten. Das Grundstück der Fabrik war fast lückenlos zubetoniert, sodass das Hitzeflirren darüber zwar das strenge Gebäude wie eine versöhnliche Illusion erschienen ließ, der Luft aber jede Tauglichkeit zum Einatmen nahm. Um die Herberge hingegen breitete sich ein von jeder Pflege ungestörter Garten aus, der mir wie das Paradies selbst erschien, weil er beinahe grün war und nach den überreifen Äpfeln roch, die im Gras lagen. Ingmar reichte mir die Flasche und nahm einen tiefen Schluck aus seiner eigenen. "Glaubst du, wir schaffen das noch diese Woche?" Zweifelnd betrachtete er die Erdberge, die wir aufgeworfen hatten. Plötzlich weiteten sich seine Augen. Angestrengt sah er über meine Schulter hinweg. "Vorsicht, Ralf!", sagte er unterdrückt. Hastig drehte ich mich um, während ein Schatten auf mich fiel. Ich bin mit meinen einsachtzig kein Zwerg, aber um dem Mann, der vor mir stand, ins Gesicht sehen zu können, musste ich den Kopf in den Nacken legen. Hinter meinem Rücken griff ich instinktiv nach meinem Spaten, obwohl mein unerwartetes Gegenüber diesen wahrscheinlich mit einer Hand zerbrechen könnte. Sein zerfranstes Unterhemd ließ keinen Zweifel offen, was seine Muskeln anging, und außerdem war er etwa doppelt so breit wie ich. Er war von unten bis oben tätowiert; Seeschlangen, Meerjungfrauen, Drachen und Haifische stritten sich auf Bizeps, Brust und Beinen um den immerhin beträchtlichen Platz. Durch seine rechte Augenbraue lief schräg eine Narbe. Sie verlieh ihm den Ausdruck, als würde er mich jeden Moment etwas Dringendes fragen. Er zog seine Hose hoch, spuckte über die Mauer und räusperte sich. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Ingmar hinter mir einen Schritt zurück trat. Der bunte Hüne bückte sich leicht und sah mir forschend ins Gesicht. "Hast du Regenwürmer gefunden?", fragte er leise. Ich war so verblüfft, dass ich erst mal einen Schluck aus der Flasche nahm, ohne ihn aus den Augen zu lassen. "Du musst doch Regenwürmer gefunden haben!", sagte er bittend. Ich konnte mich nicht erinnern, welche gesehen zu haben. "Nein, tut mir leid", sagte ich höflich. "Willst du angeln gehen?" "Angeln!" Kopfschüttelnd ging er an uns vorbei. Wir sahen ihm nach, während er entlang der Mauer die Erdhaufen untersuchte. Sie wollen wissen, wie die Geschichte weitergeht?
Die vollständige Geschichte finden Sie in dem Buch
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Autors. |