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Unser Buchtipp

Patricia Koelle: Die Füße der Sterne

Patricia Koelle
Die Füße der Sterne
Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-939937-04-

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Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

Die Einladung

© Patricia Koelle

An diesem feuchten Junimorgen ging ich barfuß durch den Garten, damit meine Socken und guten Sandalen nicht nass wurden. Ich kann nasse Socken nicht leiden. Doch sofort schämte ich mich, dass ich mir auch an diesem Tag, der doch so unbedingt Elke-Elisa gehörte, Sorgen um meine Socken machte.

Sie hatte die Einladungen eigenhändig unterschrieben und adressiert, mit ihrer klaren Schrift, die ich täglich auf Etiketten, Heftern und Umschlägen im Büro sah. Das war schon lange vor dem Ereignis gewesen; nur das Datum war später hineingestempelt worden, nachdem es feststand. Die Karten waren aus edlem Karton mit einem geprägten Rand. Bestimmt hatte Elke-Elisa noch nie soviel Aufwand um sich betrieben. Sie stand niemals im Mittelpunkt und erwartete auch keine Aufmerksamkeit, wenngleich sie eines der Rädchen war, ohne die das Getriebe der Firma nicht funktioniert hätte. In gewisser Weise war sie sogar die Achse, die alles trug. Doch das Einzige, das sie je an Beachtung einforderte, war, dass man sie nicht einfach Elke nannte. Sie bestand auf Elke-Elisa. Sie wolle nicht halbiert werden, sagte sie einmal.

Sie war erst knapp über fünfzig, aber ihre Haare waren grau, seit ich mich erinnern kann. Sie trug sie kurz und praktisch. Ihr Gesicht darunter wirkte überraschend jung. An ihrer Kleidung fiel nichts ins Auge; ich glaube, es waren grundsätzlich Hosen, Hosen mit Bügelfalten. Was wir aber heute tragen sollten, hatte sie festgelegt. Das heißt, es war eine höfliche Bitte, aber keiner von uns wagte, dieser Bitte keine Folge zu leisten. Kleider sollten es sein, bunte Sommerkleider, nicht feierlich, sondern heiter wie der Blumenschmuck, den sie, ebenso wie die Musik, mit Eifer ausgesucht hatte und in dem Sonnenblumen und blaue und rosa Lupinen eine Rolle spielten. Von den Männern verlangte sie, falls überhaupt einer kam, eine Blume im Knopfloch eines hellen Anzugs.

Es würde das erste Ereignis sein, das ihr allein galt, und sie überließ nichts dem Zufall. Auch über das Menü machte sie sich lange Gedanken. Mir gegenüber erzählte sie einmal etwas von Krabben-Gurkensuppe davor und Sanddorn-Parfait danach, den Hauptgang aber ließ sie in geheimnisvollem Dunkel. Ich wandte damals ein, ob das nicht alles etwas übertrieben sei, zumal sie dafür das teuerste Restaurant im Ort ausgewählt hatte, mit Terrasse und Seeblick. Nein, sagte sie, dieses eine Mal soll es groß sein und hell.

Ich war flüchtig erstaunt gewesen, dass auch Elke-Elisa, die jeden Tag länger als acht Stunden in ihrem engen Büro mit den schmalen Fenstern am Schreibtisch saß, die Fehler ihrer Vorgesetzten und Kollegen mit tiefer Geduld ausbügelte und Kaffee und aufmunternde Worte für jeden bereithielt wie Heftpflaster, ohne selbst jemals über Kopfschmerzen oder die Stromrechnung zu jammern, einmal etwas "groß" haben wollte.

Dann vergaß ich das Gespräch wieder.

Und jetzt stand ich im morgenneuen Garten und versuchte, einen Blumenstrauß zusammenzustellen, der zu ihr und ihrem großen Tag passen würde. Das war schwerer, als ich dachte. Es schien fast ein Ding der Unmöglichkeit, und dabei war es mir auf einmal so wichtig, dass meine Hand zitterte, als ich die Schere an den Stängel einer frühen Dahlie in den Farben eines Sonnenuntergangs setzte. Vielleicht war es auch nur, weil ich in meinem leichten Kleid fröstelte. Seltsam, ich hatte wohl etwas wie Lampenfieber, so sehr wollte ich, dass wenigstens an diesem Tag alles wunschgemäß schön wurde für Elke-Elisa. Zu meinem Erschrecken kannte ich noch nicht einmal ihre Lieblingsfarbe, dabei hatte ich an ungefähr zweihundertzehn Tagen des Jahres in ihrem Büro ihren Kaffee getrunken. Fragen konnte ich sie jetzt nicht mehr, und auch sonst niemanden; in einer Viertelstunde musste ich los. Undenkbar, heute zu spät zu kommen.

Neben den Sonnenuntergangsdahlien entschloss ich mich für mehrere von den strahlend weißen, sternförmigen. Hell wollte Elke-Elisa es haben. Hell. Dafür passten sie, und dazwischen steckte ich himmelblaue Glockenblumen. Von der Laube hing eine lange Ranke der Schwarzäugigen Susanne herab, voll honiggelber Blüten, wie verschmitzte Augenaufschläge, und nach kurzem Zögern schnitt ich sie ab und wickelte sie wie ein Band um die Stängel. Mein Strauß war fertig, und ich machte mich auf den Weg.

Nie hätte ich damit gerechnet, dass so viele Leute kommen würden. Elke-Elisa musste noch mehr Kaffee gekocht, Akten geordnet und Freundlichkeit wie Konfetti im Alltag verteilt haben, als ich ahnte.

Es waren durchaus Männer darunter, und alle trugen helle Anzüge und eine Blume im Knopfloch. Bei vielen war es eine gelbe Rose oder sogar eine rote.

Auch drinnen war es hell, strahlend hell, wie Elke-Elisa es wollte. Durch die runden Fenster fiel schräg und warm die Junisonne und zielte genau auf Elke-Elisa.

Ich folgte der sommerlichen Menschenmenge, ging leise die drei Stufen hinauf, fügte meinen Strauß den anderen hinzu, die schon zu Elke-Elisas Füßen lagen und schob mich dann still auf eine der strengen Bänke.

Auch den Sarg hatte sie sich selbst ausgesucht, schon bald nachdem sie von ihrer Krankheit wusste. Er war weiß, mit einem Goldrand und goldenen Griffen. Auf der glänzenden Oberfläche spiegelte sich das Licht. Dadurch wirkte er seltsam leicht, so als stünde Elke-Elisa nicht nur drei Stufen über uns auf dem Podest, sondern sei schon halb auf dem Weg nach ganz oben.

Der Pfarrer, der mit dem offenem Heft in der Hand bereitstand, aus dem er Elke-Elisas selbstverfasste Rede vorlesen sollte, wirkte daneben klein und versteckt hinter seinem Pult, als sei er nur der Souffleur, der Elke-Elisa bei ihrem einzigen großen Auftritt behilflich sein würde, sollten ihr die Worte fehlen.

Doch noch spielte die Musik, während wir alle zu Elke-Elisa aufsahen. Es war helle Musik, hell, wie Elke-Elisa es sich gewünscht hatte. Und je länger ich auf den leuchtendweißen Sarg mit den Blumen starrte, desto weniger hatte ich das Gefühl, dass ihr irgendetwas fehlte.

Sollte aber jemand im Jenseits es wagen, sie "Elke" zu nennen, war ich mir sicher, sie würde ihn höflich darauf hinweisen, dass sie nicht halbiert zu werden wünschte.

Buchtipp

Ein ganzes Buch mit Geschichten von Patricia Koelle

Patricia Koelle: Die Füße der Sterne Patrica Koelle
Die Füße der Sterne
Dr. Ronald Henss Verlag
ISBN 978-3-939937-04-3

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