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Unser Buchtipp

Regina J. Schwenke: Und es wird immer wieder Tag

Regina J. Schwenke
Und es wird
immer wieder Tag
Butterfly Verlag Berlin
ISBN 978-3-939849-01-8
350 Seiten

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Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Verlags.

Die Familie stellt sich vor

© Regina J. Schwenke

Das Jahr 1938 wurde gerade eingeläutet, als ich in Berlin das Licht der Welt erblickte. Das Licht stammte von den aufsteigenden Raketen, die den Himmel hell erleuchteten. Man tanzte durch die Straßen und freute sich, von allen Kirchen ertönten die Glocken. Adolf Hitler begrüßte das neue Jahr mit einer Rede und verkündete, dass alle jüdischen Ärzte im Sinne der Nürnberger Gesetze aus der Ersatzkassen Praxis im Deutschen Reich ausgeschlossen werden. Alle beglückwünschten meine Eltern Josefine und Max zur Geburt der kleinen gesunden Tochter.. Ich soll ausgesprochen hässlich gewesen sein. Lang, dürr und faltig. Nach einigen Tagen Krankenhausaufenthalt wurde meine Mutter mit mir nach Hause entlassen. Unser Zuhause war eine Dreizimmer Parterre Wohnung in Berlin-Neukölln, Manitiusstraße 2.

Das alles wurde mir später so erzählt. Ich war das fünfte Kind der Familie. Vater war Handwerker, hatte in der Nähe unserer Wohnung in Berlin - Neukölln eine eigene kleine Autowerkstatt, reparierte Autos und alles, was damit verbunden war. Die Geschäfte gingen recht gut. Es gab ab 1. Januar 1938 neue Regeln im Straßenverkehr. Die zunehmende Motorisierung der Straßen des Deutschen Reiches erforderten neue Gesetze. Der wichtigste Punkt, dass unbedingt rechts gefahren werden musste. Eine Geschwindigkeitsbeschränkung gab es nicht, aber man sollte mäßig und vorsichtig an Kreuzungen und beim Abbiegen fahren.

Meine Mutter war eine resolute Frau, hatte bis zur Heirat in einem Büro als Sekretärin gearbeitet und führte für Vaters Geschäft nun die Bücher. Um mein Kinderbett herum müssen nun wohl meine Geschwister gestanden haben. Lothar, der Älteste, schon ganze sieben Jahre alt, ein von allen Opas, Omas, Tanten und Onkels verwöhnter Bengel, der sich schnell abholen ließ, wenn zu Hause dicke Luft war. Er ließ sich dann von allen bedauern. Er wusste leider schon, dass er ein ausgesprochen hübscher Junge war. Wenn ihm etwas nicht passte, stimmte er ein wüstes Geschrei an und verlangte, zu Oma gehen zu dürfen. Meine Eltern hätten starke Nerven haben müssen, wenn sie dies Geschrei lange ertragen wollten. Also ließen sie ihn gehen und gaben die Erziehung in die Hände von Omas, Opas und Tanten. Die Tanten waren Mutters unverheiratete Schwestern Käthe und Änne. Sie sahen ihren Lebensinhalt in der Erziehung der Neffen und Nichten. Mit ihrem zweiten Kind hatten die Eltern viel Kummer und Sorgen. Durch Sauerstoffmangel während der Geburt war Rita nervenkrank geboren und litt unter epileptischen Anfällen.

Nun war sie mittlerweile fünf Jahre alt und konnte bei Anfällen ungeahnte Kräfte entwickeln. Wir kleinere Geschwister hatten dann immer mächtige Angst vor ihr. Aber meistens war Rita sehr still, spielte mit einer Puppe, die sie heiß und innig liebte, aber auch vor Wut an die Wand werfen konnte. Das nächste Kind war wieder ein Junge, hieß Jürgen und war ein sehr pfiffiger Bursche, der die Taschen immer voller Fliegen, Frösche, Käfer und Larven hatte.

Das vierte Kind war schon tot, als ich geboren wurde. Es hatte sich im Krankenhaus nach der Entbindung erkältet und starb mit 17 Tagen an einer Lungenentzündung. Sein Name REGINA wurde mir, also dem fünften Kind, übertragen. Regina - Königin.

Da war ich nun, alle schauten mich an und dachten, wie ein kleiner Gnom liegt das Kind in den Kissen. Mit viel Liebe und einigen Fliegenbeinen, die Jürgen mir liebevoll zu essen gab, wurde ich hochgepäppelt, und bald verwuchs sich wirklich der zwergenhafte Ausdruck. Die ersten Monate gingen dahin, ohne dass ich davon schon berichten könnte. Oder doch, denn es wurde heiß diskutiert, als Bernd Rosemeyer bei einer Weltrekordversuchfahrt auf der Autobahn Frankfurt - Darmstadt bei Mörfelden am 28. Januar 1938 tödlich verunglückte. Seine Geschwindigkeit lag bei ca. 430 km/h. Aber schon 2 Tage später sprach alles nur noch von Max Schmeling, der den Südafrikaner Ben Foord in Hamburg nach Punkten besiegte.

Im Februar wurde die Reichsregierung und Wehrmachtsführung umgebildet.

Die Öffentlichkeit wurde informiert, dass der Reichs-Kriegsminister Generalfeldmarschall Werner von Blomberg und der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch aus Gesundheitsgründen zurück getreten wären. Adolf Hitler selbst übernahm den Oberbefehl über die Wehrmacht. Zum Leiter des Wehrmachtsamtes bestellt er einen General der Artillerie Wilhelm Keitel. Herman Göring wurde zum General Feldmarschall befördert und Heeresbefehlshaber wurde Walter von Brauchitsch. Dem Sturz von Blomberg soll ein Intrigenspiel zugrunde gelegen haben, denn bei der Hochzeit Blombergs mit Erna Gruhn am 12. Januar, Hitler und Göring waren Trauzeugen, wurde später bekannt, dass die junge Frau des Kriegsministers aus der Prostituierten-Szene stammen würde. So war er untragbar geworden.

Freiherr von Fritsch dagegen wurden Homosexualität, kriminelle und moralische Verfehlungen unterstellt. Er hat während des Polenfeldzuges entnervt Selbstmord begangen. Später stellte sich heraus, dass sein Ruf untadelig war.

In diesem Februar, meines noch so jungen Leben, wurde der Prozess gegen den Berliner Pastor und Initiator der Bekennenden Kirche, Martin Niemöller, eröffnet. Als Mitherausgeber einer Denkschrift vom Mai 1936, in der die Verfolgung der Kirchen und die vielen Rechtsbrüche des Nazi-Regime angekreidet wurden, wurde er den Nazi Machthabern zu gefährlich.

Als ausländische Pressevertreter berichten wollen, wird die Öffentlichkeit und die Verteidiger Niemöllers ausgeschlossen. Trotz seiner Vergangenheit als U-Boot-Offizier im 1. Weltkrieg wird er zu 7 Monaten Festungshaft verurteilt, die durch die erlittene Untersuchungshaft abgegolten war. Aber Niemöller wurde nicht frei gelassen, sondern in ein Konzentrationslager überwiesen.

Der Frühling schickte seine Vorboten und das erste Grün brach heraus.

Buchtipp

Diese Geschichte ist der Anfang des autobiografischen Romans

Regina J. Schwenke: Und es wird immer wieder Tag
Regina J. Schwenke
Und es wird
immer wieder Tag
Butterfly Verlag Berlin
ISBN 978-3-939849-01-8
350 Seiten

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