Unser Buchtipp Mauerstücke Erinnerungsgeschichten Hrsg. Bettina Buske und Patricia Koelle Dr. Ronald Henss Verlag ISBN 978-3-939937-08-1 beim Verlag bestellen bei amazon bestellen Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck und Vervielfältigungen, auch auszugsweise, bedürfen der schriftlichen Zustimmung des Verlags. Fontane sagte nichts dazu© Silvia FriedrichAls ich in den Achtzigern Teile meiner Familie in der DDR ausfindig gemacht hatte, standen sich zunächst Fremde gegenüber. Beide Seiten versuchten, dieses Fremdeln zu ignorieren. Wir taten so, als hätte es Krieg, eine Teilung des Landes, Trennung des Volkes nie gegeben. Ich, immer betont fröhlich. Zur Lustigkeit trieb mich die große Hoffnung, dass sie mir nicht anmerkten, wie froh ich jedes Mal war, diesen Käfig wieder verlassen zu können. Die DDR war mir als Nachkriegskind nur als ein Land bekannt, das man in Anführungsstrichen schrieb, wo man Pakete hinschickte, in die man so komische Dinge wie Kokosraspeln und Kakao packte und von wo zu Festtagen Karten kamen, die eigenartig einfach bemalt waren. Später lernte ich dann in der Schule, dass Willy Brandt mit seinen Ostverträgen die Lage entspannt hätte und dass das gut war. Zuhause schimpften sie darüber. Mein Vater, ein ehemaliger Brandenburger, hat nach Gründung der DDR dieses Land nie mehr betreten. Bis zu seinem Tode nicht. Und Brandt war für ihn auch erledigt. Dann zog ich nach Berlin; und die Grenze, die die Welt in zwei Teile teilte, war gleich nebenan. Ich war neugierig. Neugierig auf das Land, das mein Vater verlassen hatte; und wenn er sich schon nicht mehr hierher traute, dann wollte ich es tun. Vielleicht für ihn, vielleicht auch nur für mich. Auf Spurensuche nach meiner Vergangenheit stolperte ich über Friedhöfe im Ruppiner Land und sah mir die Klingelschilder an Neuruppiner Häusern an. Ganz in der Nähe des Sees sollte ich suchen auf ausdrückliche Anweisung meines Vaters. Denn da hätten sie gewohnt, die Menschen, die mit uns verwandt waren. Und ich suchte, stieg krumme Steintreppen empor, sah den Leuten nach, die aus den Türen kamen, und wagte mich sogar einmal, eine Frage an sie zu richten. Aber ich fand sie nicht, die von damals, die Menschen, die für meinen Vater einmal wichtig waren. Die Grabsteine auf den verwilderten Plätzen rund um die Dorfkirche und alle handgeschriebenen Namen an den Mietshäusern, nah am Wasser, gaben ihre Geheimnisse nicht preis. Vielleicht wohnten hier irgendwann einmal Verwandte. Jetzt gab es niemanden mehr. "Er sitzt da, ganz hoch, auf seinem Thron", hatte mein Vater gesagt und meinte damit den großen Fontane. Tatsächlich, der saß noch immer dort, inmitten eines Platzes auf sandigem Boden und guckte über alle Maßen erhaben in die ungewohnte sozialistische Umgebung. Und sein Blick schweifte in die Ferne und schien zu sagen, er beteilige sich erst wieder am Weltgeschehen, wenn dieser Irrsinn hier in Deutschland endlich vorbei sei. Ich hatte mich auf die Steinstufen des Denkmals, gleich unter ihm platziert, ließ meine Blicke schweifen und sah zur Sonne hoch. Fremd war es mir hier. Fremd und ungewohnt. Welch feiner Herr, dachte ich über den Dichter aus Stein und fragte ihn, ob er vielleicht die Familie Wiesner kenne, die ich hier überall suche. Aber Fontane antwortete nicht. Er zog es vor, arrogant zu blicken und abzuwarten. Ein Brautpaar kam aus einem offiziellen Haus mir gegenüber. Hier heiratete man also samstags, dachte ich. Die Braut in Weiß, ein Nelkensträußchen schwenkend, hielt sich an ihrem Mann fest. Sie war unübersehbar schwanger. Eine kleine Hochzeitsgesellschaft folgte den beiden. Jemand schob einen Kinderwagen als Geschenk vor sich her. Man jubelte und machte Fotos. Ganz wie im Westen, nur weniger üppig. Ich löste mich von der ideologisch sicher einwandfreien Zeremonie, stand auf, ohne ein weiteres Ziel zu haben, klopfte mir den märkischen Staub vom Kleid und ging in Richtung Löwen-Apotheke. Wenn der große Sohn dieses schönen Ländchens mir schon nicht helfen wollte, so konnte ich seiner Apotheke dennoch einen Besuch abstatten. Mit einem Foto meines Vaters bewaffnet besuchte ich später ein weiteres Dorf ganz in der Nähe und siehe da, der Zufall - oder war es doch des Neuruppiner Dichters geistige Unterstützung - schickte mir urplötzlich eine entfernte Verwandte über den staubigen Dorfweg. Sie erkannte das Foto, sah Familienähnlichkeiten in meinem Gesicht und war so laut, dass einige der älteren Dorfbewohner sich genötigt sahen, aus ihren Fenstern zu blicken. Dann zog mich die Tante in ihr Haus, erzählte, dass es nur Weihnachten Orangen gab, für jeden genau eine und dass es mit der Verteilung der Bananen genauso wäre. Sie wollte nicht viel von mir wissen, erklärte mir eher ihren Versorgungszustand; und als ich wieder ging, nahm ich mir vor, nun auch Päckchen zu packen mit Kokosraspeln, Kakao und Kaffee. Und dann schickte ich alles in diesen kleinen Ort ins Brandenburgische und fragte mich, was Fontane dazu wohl gesagt hätte. Sie wollen wissen, wie diese Geschichte weitergeht?
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