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Fast ein Tag wie jeder andere – Von Manfred Schröder. Für den Vagabunden, der sich in Paris herumtreibt, ist es ein Tag - fast - wie jeder andere.

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Buch

Dez
01
Fast ein Tag wie jeder andere
© Manfred Schröder

Die Abendglocken der Kapelle Sainte-Chapelle klangen verhalten zum Pont Neuf herüber. Der Tag war heiß gewesen und die Touristen hatten sich müde und verschwitzt von einer Sehenswürdigkeit zur anderen geschleppt. Jetzt, im rötlichen Licht der untergehenden Sonne hatten sich Wolken angesammelt und ein angenehmer Wind machte die Luft kühl und erträglich.

Auch ich war müde. Der Tag war nicht gut gelaufen. Hatte mich stundenlang im Gare du Nord aufgehalten. Doch die Ausbeute war gering. Nur wenige Touristen waren auf den Trick hereingefallen: "Können Sie nicht einem armen Landsmann aus der Klemme helfen? Habe mein Geld verloren und brauche ein paar Euro, um meinen Koffer, der sich schon über der Zeit im Schließfach befindet, herauszubekommen."

Die meisten kannten den Trick. Andere brauchten ihr Geld selbst.

Schade, dass heute keine Amerikaner da waren. Die waren lockerer und großzügiger. An Franzosen machte ich mich nicht heran. Man konnte nie wissen, ob man nicht an einen Zivilbeamten kam. Ein Flic war meistens freundlich. Doch bei denen im Zivil wussste man nie. Zum Glück hatte es für ein Essen bei Ali gereicht und für eine Flasche Wein. Seit einigen Nächten musste ich nicht mehr draußen schlafen. Derreck, ein alter Amerikaner mit dem Aussehen und Fluchvokabular eines Bukowski, der schon lange in Paris lebte, hatte einen leeren Kleinlaster mit Plane ausfindig gemacht, der wohl schon längere Zeit ungenutzt am Seineufer stand. Wir ließen auch tagsüber unsere Schlafsäcke dort. Ein kleines Risiko, das man eingehen musste. Ich hatte Derreck in der La Santé kennengelernt, und wir wurden am selben Tag entlassen. Viele denken dabei übrigens an ein Krankenhaus. Ich habe Derreck nie gefragt, warum er gesessen hatte. Und über mich möchte ich nicht sprechen. Er kannte Paris ziemlich gut und kannte Quellen, die man anzapfen konnte. Doch ich wollte lieber meine eigene Tour drehen. Wir trafen uns meist nach getaner Arbeit am Pont Neuf.

An diesem Abend hatten sich ein paar Touristen eingefunden. Doch ich hatte keine Lust und war zu müde, Opfer ausfindig zu machen. Eine noch ziemlich junge Amerikanerin in Begleitung eines älteren Herrn blickte öfters zu mir herüber. Sie hätte mir gefallen. Doch ich wagte nichts zu unternehmen. Wegen ihrer Begleitung und weil ich heute nicht gut roch. Ich wollte morgen am Gare du Nord eine Dusche nehmen und das Unterzeug und Hemd wechseln. Den Koffer hatte ich im Ali untergestellt.

Es war schon zehn Uhr, als Derreck kam. Die meisten Touristen waren schon gegangen und einige Clochards hatten sich zum Schlafen niedergelegt. Derreck war nicht alleine. In seiner in Begleitung befand sich ein junger Amerikaner mit einer Guitarre über der Schulter, der einen Platz für die Nacht suchte. Derreck stelle ihn mir als John vor. Ich war nicht begeistert. Denn bald würden noch mehr Leute von dem leeren Lastwagen wissen und die Gefahr der Entdeckung war groß.

Derreck beruhigte mich. "Nur für eine Nacht."

Er hatte zwei Flaschen Wein mit sich. Ich hoffte, dass er nicht zu viel trank. Denn dann kam meist der wahre Derreck zum Vorschein. Seine schmutzigen Witze, sein wildes Fluchen und seine Aggressivität.

Auf einmal kam mir der Gedanke, könnte Derreck homosexuell sein . Ich konnte das nicht so recht begründen. Mich hatte er nie belästigt. Allerdings ich hatte ihn noch nie mit einer Frau gesehen. Aber die Art, wie er John ansah und ihn manchmal berührte.

Ich fasste den Entschluss, mich von Derreck zu trennen. Zumal er mir in der letzten Zeit sowieso auf die Nerven ging. Einfach zum Lastwagen gehen, den Schlafsack nehmen und für die Nacht einen anderen Platz suchen. Ich stand auf und sagte nur, dass ich gleich wiederkäme. Derreck nickte nur. Vielleicht ahnte er mein Vorhaben und war froh mit John alleine zu sein.

Als ich vom Pont Neuf in den Quai de l´Horloge einbog, stand plötzlich die Amerikanerin vor mir. Sie lächelte. "Will yoy came with me", sagte sie nur. Und als ich schwieg, fügte sie hinzu. "I'm not what you may think. My name is Sarah."

Ich dachte auch nicht daran und es war mir auch egal. Ich dachte daran, dass ich nur ein paar Euro in der Tasche hatte und die Notreserven nicht anbrechen wollte. Und dass ich neue Unterwäsche und ein anderes Hemd brauchte.

Ich erklärte ihr meine Situation. Sie lachte nur. "Allrigth."

Sie winkte ein Taxi heran und wir fuhren zum Ali.

Ich schätzte Sarah auf dreißig Jahre. Sie war ziemlich schlank und hatte rote, kurz geschnittene Haare. Ich tippte auf irische Vorfahren. Vielleicht war sie eine von den Amerikanerinnen, die hier in Paris ihre geheimen Wünsch auslebten und daheim wieder die gute Ehefrau und Mutter spielten. Oder auch nur die Tochter aus reichem Hause, die sich mit Hilfe von Daddys Geld vergnügte. Auch das war mir egal. Endlich ein weiches Bett für dies und das andere.

Wir schwiegen im Taxi und als wir beim Ali ankamen, sagte sie nur: "Go to get your suitcase. I shall wait here."

Ali hatte Lust, mit mir zu schwatzen, doch ich vertröstete ihn auf ein andermal. Ich holte nur schnell den Koffer und ging zum Taxi zurück. Wir fuhren zur Rue de la Huchette, wo sie in einem kleinen Hotel untergebracht war. Sie sprach mit der Frau an der Reception einige Worte, die nur lachte und uns bonne nuit wünschte.

Zwei Tage war ich mit Sarah zusammen. Wir besuchten Museen und aßen in guten Restaurants. Sie bezahlte alles, weil sie das Geld hatte.

Am dritten Tage sagte sie nur lächelnd: "Take your grip. The party is over."

Ich kannte solche Situationen. Nahm meinen Koffer und fuhr zum Ali.

In der Zeitung las ich, dass man die Leiche eines jungen Mannes in einem abgestellten Lastwagen am Ufer der Seine gefunden hatte. Anscheinend zuerst missbraucht und dann getötet.

Von Derreck habe ich nie mehr etwas gehört.

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