Ihre lustigen Lachfältchen waren zu meinem Vergnügen verschwunden. Ich korrigiere. Wahre Freude empfand ich nur bedingt, als ich sie dort unten liegen sah, skurril verdreht wie eine hässlich gekleidete Gummipuppe in ihrem getupften Kittelkleid, der man die Beine um den Hals hätte knoten können, ohne dass sie aufmuckt. Ich war nicht spontan zufrieden, ich war besorgt um mich. Es wäre durchaus möglich gewesen, dass sie noch lebt, ihre kaputten Knochen ignoriert und mich frech anglotzt, herumkeift und geifert. Das wäre die Hölle gewesen, ich hätte widerwillig das Handtuch benutzen müssen, das ich in meinen Rucksack gestopft hatte. Nur für den Fall. Aber Grete Schnieder brauchte nicht erstickt zu werden, das blieb ihr erspart, gottlob für uns beide, ich bin auf dem Gebiet recht ungeübt, und es hätte mir nicht gut getan, mich noch weiter mit ihrem korrekten Ableben beschäftigen zu müssen.
Margarete Elsbett Schnieder, geborene Beringhoff, kinderlos, mittlerweile verwitwet und aktuell tot, spindeldürr und von Natur aus wenig herzlich. Ich mochte sie nicht, ehrlicher wohl, ich hatte Angst vor ihr, seitdem sie meinen Turnbeutel konfisziert hatte, in dem neben meinen grünen Shorts, den zusammengeklumpten Socken und einer leeren, platt gefalteten Tüte Caprisonne drei, vier Dutzend Kastanien steckten, hastig aufgeklaubt von mir auf dem Nachhauseweg von der Warenweggrundschule. "Du hast auf unserem Grundstück nichts verloren. Das sind unsere Kastanien. Darüber spreche ich mit deiner Mutter."
Vor dem grauen Mietshaus der Schnieders gleich neben der kleinen Heißmangel, über der wir alle wohnten, bis sie dicht machte und mein Vater die engen Räume zusätzlich für uns Kinder anmietete - das war Luxus, aber wir waren viele, wurden geliebt und brauchten Platz, den wir mit kindlichem Egoismus für selbstverständlich hielten -, befand sich ein akribisch gepflegter Vorgarten mit englisch gestutztem Rasen. Und eben vor diesem, getrennt vom Bürgersteig, direkt an unserer Straße, stand eine von insgesamt vier riesigen alten Kastanien. Die vor Horstmar und Grete Schnieders Haus war für meine Geschwister und mich die am günstigsten gelegene, im Herbst sammelten wir dort säckeweise, um unsere Beute stolz auf kürzestem Weg nach Hause zu tragen. Meine Mutter schien sich stets diebisch über unsere Schätze zu freuen, von denen nur ein Bruchteil zum Basteln diente. Der Rest wanderte in den Kohlenkeller und schrumpelte still vor sich hin, bis mein Vater ihn genauso still entsorgte, um auf den nächsten Herbst und auf neue Kastanien zu warten. Darüber wurde kein vernünftiges Wort verloren, unsere Leidenschaft legte sich eh mit den Jahren wie auch die Freude an Gänse- und Butterblümchen, die wir für unsere Mutter pflückten, die das Gestrüpp tapfer in mit Leitungswasser gefüllte ausgediente Senfgläser steckte, um es liebevoll auf den Fensterbänken zu platzieren wie Baccararosen. Natürlich war das geheuchelt. Sehr viel später habe ich sie mal gefragt, warum sie uns nicht einfach gesagt hatte, sie wolle das ganze unnütze Zeug nicht, aber da lachte sie nur. "Hab' du mal selbst Kinder!" Seitdem ist mir klar, dass mein Vater nicht wirklich geglaubt hat, dass ich auf der Spur eines Nobelpreisträgers bin, weil ich bereits mit viereinhalb ohne Stützräder Fahrrad fahren konnte. Aber er schaffte es damals hervorragend, dass ich mich wie der zukünftige Präsident fühlte, zumindest aber in absehbarer Zeit die Kirschkerne so weit spucken würde wie Friedwart Kesselmann, der auf dem Holzbänkchen in unserem Hinterhof mit meinem Vater Bier aus braunen Flaschen mit Metallverschluss trank und so laut rülpste, dass der Hund vor Schreck den Schwanz einzog.
Der Hund, nicht mein Turnbeutel mit den Kastanien aus Schnieders Vorgarten, war Auslöser für Gretes tragischen Treppensturz mit unweigerlicher Todesfolge. Es war nicht Blacky. Die kleine fette Schwarze mit ihrem unbändigen Lebenshunger war mit siebzehneinhalb gestorben, weil sie den Kaninchen auf dem Friedhof direkt am Hohlweg, der unser Haus von den Gräbern trennte, die vergifteten Köder weggefressen hatte. Sie war unersättlich und ausgesprochen eigenwillig. Befand ich mich auf dem rechten Gehweg, marschierte sie links und kackte unbekümmert auf Schnieders englischen Rasen. Damals gab es diese Plastiktütchen für Hundekot noch nicht, zumindest nicht offiziell, und da mein Großvater ihn als perfekten Dünger bezeichnete, nahm ich die Angelegenheit nur am Rande wahr. Horstmar Schnieder nicht. Damals noch aktiv als Anwalt tätig und bekannt als bissiger Wolf drohte er meinem Opa Peter, allseits beliebt als Franzosen-Pittschke wegen seiner lodengrünen Baskenmütze, mit Folter und mindestens lebenslänglich. Gott, wie wir lachten.
Auf Blacky folgte Timmy, eine anstrengende Mixtur aus Terrier und Schäferhund. Bildschön, aber stur und ausgesprochen frech. Schnieders Wiese war seine Toilette. Ich zankte mit ihm, studierte mittlerweile, war schwer verknallt und hatte prinzipiell andere Interessen als einen am falschen Ort zur falschen Zeit kackenden Köter unflätig zu beschimpfen. Zumal mir die Schnieders gehörig auf den Senkel gingen, seitdem sie mir meinen Beutel geklaut hatten mit den schönen Kastanien. Ein Vergehen, das mir meine Eltern sofort verziehen haben. Damals.
Nach Timmy kam Donald, ein rundum liebenswerter Collie, Geschenk von meinem Vater an mich. Donald lebt noch, Grete nicht. An dem Tag, als mein Mann starb und meine Mutter wieder ins Krankenhaus sollte, an diesem Tag, als ich wusste, dass es erneut Zeit für den Psychiater sein würde, als es regnete und ich nicht mehr erkennen konnte, ob es Tropfen von oben oder aus meinen Augen waren, die mein Gesicht nass werden ließen ... an dem Tag, der so schwarz für mich war, der mich aber trotzdem meine Pflicht erfüllen ließ, mit Donald Gassi zu gehen, starb die Schnieder. Sie hatte oben aus dem Fenster gebrüllt, ich solle meinen blöden Köter aus ihrem Garten fernhalten. Ich bin nach Hause gegangen, habe das Handtuch in den Rucksack gesteckt, ging zurück, klingelte. Und dann fiel sie die Treppe hinunter. Ich habe ihr vermutlich zu fest die Hand gedrückt und sie dabei versehentlich die Stufen hinunterkullern lassen. Für sie war es der falsche Tag.
Warum wünscht sich ein Mädchen in einer Leichenhalle zu liegen und aufzuwachen
in einem weißen Nachthemd aus Spitze, das dem Totenhemd ihrer Tante ähnelt?
Wer ist der Tote Mann auf dem Bett, in dessen Hals ein Schraubenzieher steckt?
Wem gehört der Ring, der im Garten unter einer Zeder vergraben wurde? Kann ein
harmloser Teddybär zum Mörder werden? Warum kann es verhängnisvoll sein, ein
Einmachglas fallen zu lassen oder als Kind an seinem Zeh zu lutschen? Wer waren
die Personen, die auf dem alten Gemälde ohne Augen dargstellt sind und was ist
ihr Geheimnis? ...
Karin Reddemanns Geschichten erwecken alltägliche Ängste und düstere Bilder und
entführen den Leser in eine verstörte und verstörende Welt.