Das war jetzt nicht sein Tag. Gekündigt, abserviert, und der Donut mit Schokofüllung schmeckte nach drei Tagen aggressiver Aufbewahrung.
Für ihn gemacht. Natürlich.
Er zog in Erwägung, die Bäckerei nochmals aufzusuchen, war nicht weit, er saß auf einer Bank direkt hinter dem Rathaus, gleich links ein Stück daneben war die.
Ofenfrisch. Von wegen.
Er sollte sich beschweren, überhaupt sollte er sich über alles beschweren, über Melanie und seinen Vater, über Köttelschwanz, seinen Lateinlehrer, über Köppen, der nur drei Mal hockam, über das Wetter und Kriege, über seine Mutter, die immer diesen gelben Fleecepullover trug, wenn sie sagte: „Mein Gott, Junge!“
Er überlegte, sich drüben im Tabakladen eine kleine Flasche zu kaufen, so was darf man machen, auch vormittags, wenn man ansonsten nichts zu tun hat, aber diese Fliege störte ihn, er wollte klar denken. Ging nicht.
„Hau bloß ab!“
„Meinst du mich?“
Da hatte sich denn unbekümmert jemand neben ihn auf die Bank gesetzt, grinste, graue Zähne, Pulle in der Hand.
„Nein. Die Fliege.“
„Ach? Schlückchen?“
„Danke.“
„Ich habe ein Loch in der Hose.“
„Ach was.“
Er trank aus der Flasche, wischte zuvor diskret den Hals mit dem Jackenärmel ab und dachte an tödliche Spucke. Gleichzeitig fiel ihm wieder Melanie ein, die viel kleiner und blöder war als er. Trotzdem hatte sie ihn am Genick gepackt. Noch geschickter als sein Chef, und das mit ihren winzigen Pfoten. Mama, dachte er, mach mir Hühnersuppe. Zigaretten brauch ich auch.
„Ich habe ein Loch in der Hose.“
„Hast du was zu rauchen? Zahl ich.“
„Klar, Mann. Ich habe ein Loch in der Hose.“
Er saß da nun und dachte, gut, fein, wenn dich jetzt jemand sieht hier, egal, verdammt, du sitzt friedlich mit dem da und der Fliege und diesem Loch und trinkst Fusel. Die Gestopfte nahm er, sah gelb aus, wie mit Urin durchtränkt. Ja, nun. Er rauchte, stellte sich Melanie und seinen Chef nackt auf dem Schreibtisch vor, knallte sie ab und ging zum Tee.
„Wo?“
„Was?“
„Das Loch.“
Er dachte, etwas Konversation schadet nicht.
„Ist weg. Guck.“
Der neue Freund strahlte.
„War ein Brandloch. Hab ich Klebe drauf gemacht. Jetzt sitzt da die Fliege. Die kommt da nicht mehr weg.“
Er starrte auf die Khakihose, tatsächlich, da zuckte die Fliege auf dem Knie, wohl ratlos.
„Gut gemacht.“
Der Tag konnte nur besser werden.
Warum wünscht sich ein Mädchen in einer Leichenhalle zu liegen und aufzuwachen
in einem weißen Nachthemd aus Spitze, das dem Totenhemd ihrer Tante ähnelt?
Wer ist der Tote Mann auf dem Bett, in dessen Hals ein Schraubenzieher steckt?
Wem gehört der Ring, der im Garten unter einer Zeder vergraben wurde? Kann ein
harmloser Teddybär zum Mörder werden? Warum kann es verhängnisvoll sein, ein
Einmachglas fallen zu lassen oder als Kind an seinem Zeh zu lutschen? Wer waren
die Personen, die auf dem alten Gemälde ohne Augen dargstellt sind und was ist
ihr Geheimnis? ...
Karin Reddemanns Geschichten erwecken alltägliche Ängste und düstere Bilder und
entführen den Leser in eine verstörte und verstörende Welt.