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Fünf Jahre

© Marc Hecht


Es wurde Herbst, er war durch die Stadt gegangen. Die kleine Stadt, kaum etwas hatte sich verändert. Drei Taxen hatten vor dem Bahnhof gewartet. Zwei der Fahrer standen zusammen und unterhielten sich, der dritte Fahrer saß im Auto und las eine Zeitung.
Er vorbei an den Taxen, in den Wartesaal des Bahnhofes. Seine Schritte hallten nach, die weißgekalkten Wände hinauf. Hier hatte er oft gesessen, war er oft auf und ab gegangen. Als Kind - und auch später noch. Hier hatte er oft gewartet.
Er ging umher, die Schritte hallten nach.
Eine Tür - sie führte vom Wartesaal in den Gasthof - die Tür öffnete sich, die Stimmen dahinter wurden lauter und ein Mann trat heraus. Der Mann schüttelte den Kopf und schmunzelte, seine Augen waren dabei fast geschlossen, vielleicht hatte man ihm ein Scherzwort hinterhergerufen, oder der Mann selbst hatte sich mit einem Scherz verabschiedet. Jedenfalls schmunzelte der Mann noch, mit halb geschlossenen Augen, als er die Tür hinter sich schloss. Die Stimmen wurden leiser. Der Mann blickte auf. Er stand dicht vor ihm. Der Mann erschrak, fing sich jedoch, grüßte stumm und verschwand.
Er ging auf und ab, im Wartesaal, die Schritte hallten nach.
Jetzt aber liegt die Stadt hinter ihm - und hier draußen ist es wunderbar.
Der alte Weg durch die Felder.
Vertraut, weil nun dort, also gerade dort, diese oder jene Birke steht. Und alle Birken leuchten in der Sonne.
Das Gatter im Zaun ist noch immer abgeblättert. Dahinter liegt eine Kuh.
"Kennst mich noch?"
Nein, sie blickt nur stumpf.
Trotzdem sagt er, dass sie eine gute, eine kluge Kuh ist, ganz erfüllt von ihrer massigen Gegenwart, von der frischen Luft und der Weite ringsumher.
"So ist das", sagt er zur Kuh, "da bin ich wieder ..."
Er weiß nicht, was nun werden soll. Fünf Jahre - ein halbes Jahrzehnt. Mit einer Frau. Ein Kapitel. Es sollte ein ganzes Buch werden. Aber jetzt war sogar das Kapitel weg, abgeschlossen, im Tresor. Und der Schlüssel für den Tresor ist eingeschmolzen oder versenkt im Atlantik - unwiederbringlich weg.
Der Tresor, das Ungetüm, stählernschwer und verschlossen. Man will ihn noch nicht ganz aus den Augen verlieren, will noch den kalten Stahl spüren - wenn man auch keinen Schlüssel mehr hat. Wann ist der Schlüssel ins Meer gefallen? In den Schmelzofen? Hätte man ihn nicht packen und sicher in die Tasche stecken können? Nicht nach vorn blickt man also, sondern zurück, immer zurück.
"So ist das", sagt er noch einmal zur Kuh, "Marie wohnt jetzt wieder bei ihren Eltern..."
Die Kuh blickt träge an ihm vorbei.
"...allein bleibe ich nicht in der Wohnung..." er starrt über die Felder, "die Möbel, ok...darüber haben wir noch gar nicht gesprochen", er blickt jetzt auf die Kuh, als hätte die ihn nach den Möbeln gefragt: "...darüber haben wir noch gar nicht gesprochen..."



Eingereicht am 10. April 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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