In Nächten wie dieser
© Deborah Wolf
Wenn die Bäume zum Leben erwachen, um sich die uralten Weisheiten der Welt zuzuflüstern; wenn Wahrheit und Lüge nur noch Worte sind; wenn Liebe und Hass verschmelzen; wenn die Ewigkeit erneut geboren wird und in ihr alles nichtig ...
Solche Nächte sind äußerst selten. Und nur wenige vermögen zu spüren, wenn eine von ihnen gekommen ist. Aber das Wissen um sie ist nie verloren gegangen, es wird von Generation zu Generation weitergegeben. So bleibt Weisheit bestehen und wird es bis bleiben, bis die Zeit aufhört, fortzulaufen. Doch bis zu jenem verhängnisvollen Tag am Ende der Geschichte, wird in solchen Nächten immer wieder die Welt verändert werden. Denn in Nächten wie diesen lebt die Magie wieder auf.
So auch jetzt, in diesem Moment, am anderen Ende der Welt. Die uralten Bäume wiegen sich im sanften Wind. Sie flüstern sich Geheimnisse zu. Nur sie kennen die Lösung des ältesten Rätsels. Nur sie überwanden den Tod. Nur sie wissen über das Leben. Niemand kann sie verstehen, und wer ihnen lauscht, der wird sich in dem Wispern verlieren, er wird ihm ganz verzückt lauschen, bis er diese Erde verlässt.
Wir sitzen unter jenen Bäumen, du liegst in meinen Armen. Ich glaube, ich muss vor Schmerzen sterben, wenn ich in deine Augen sehe. Denn dann erkenne ich, dass deine Liebe zerbrochen ist. Wieso?, geht es mir durch den Kopf. Wieso? Wieso ist das kleine Licht der Liebe erloschen? Der zarte Schimmer von Hoffnung, der noch geblieben war? Er war so klein, und doch konnte es all meine Wege erleuchten.
Sag, brauchst du etwas Zeit allein? Ich kann das verstehen, ich kenne dieses Gefühl. Ja, ich kann es verstehen. Ich kann die vergeben. Aber ich kann nicht vergessen. Denn der Schmerz bleibt. Weil der Schmerz stärker ist als wir, weil er stärker als die Vernunft ist, sogar stärker als ein Gefühl.
Die alte Eiche legt langsam ihr dunkelgrünes Gewandt ab, ein trockenes Blatt segelt auf uns herab. Es landet in meinem schwarzen Haar. Zärtlich ließt du es hinaus und lächelst dabei so lieblich. In deinen blauen Augen glänzt wahre Liebe. Aber die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge verschwimmt in dieser Nacht. Ich hätte es wissen müssen: Nichts hält für immer, Gefühle kommen, Gefühle gehen. Nichts ist erhaben. Nichts als der Schmerz.
Deine Blicke, sie sagen so viel. Sie verraten mir, dass auch du leidest. Weil du mir wehtun musst.
Was ist das bloß für eine Welt?! So trostlos .
Allein in einer Welt ohne Trost, wie soll ich das bloß überstehen?
Und es beginnt zu regnen: Der Himmel scheint um uns zu weinen. Seine Tränen spenden Leben, so wie es auch unsere tun. Wir hören die Tropfen auf das dichte Blätterdach fallen. Immer heftiger in einer geheimnisvollen Melodie. Auch zu uns dringen sie durch und befeuchten unsere Kleider, unsere Haut, unser Haar. Ich genieße es, denn bald wird es kein "unser" mehr geben.
Weiß sie es nicht? Kann sie es denn nicht spüren? Oh, meine Liebe, ich fühl' mich doch genauso. Ich bin doch ebenso verzweifelt, ich weiß doch auch nicht weiter! Denkst du, ich wolle gehen? Oh, wir hätten es wissen müssen! Wissen wollen. Dass es nichts Perfektes auf dieser Erde gibt. Das Paradies ist so fern, obschon es so nah erscheint, wenn ich in deinen Armen liege. Der Himmel ist weit weg, Liebling - er ist unerreichbar für uns Menschen. Wir sind keine Engel, uns fehlen doch die Flügel! Und Engel fühlen nicht.
Gehörten wir doch bloß zu ihnen! Hätten wir doch wenigsten die Gewissheit, dass wir welche werden würden. Aber es ist nicht mal sicher, dass es welche gibt. Selbst wenn, wer soll uns zu Engeln machen? Wer liebt die Schwachen genug? Wer vermag den Schmerz zu besiegen? Die Liebe ist es nicht.
Du küsst mich ein letztes Mal auf den Mund. Und in dem Kuss kann ich dein unterdrücktes Weinen schmecken. Meine Augen werden feucht, wie könnte ich die Tränen noch länger zurückhalten?!
"Weine nicht!", sagst du. "Denk daran, es gibt noch einen Himmel über uns!" Dann gehst du, ohne dich noch einmal umzuwenden.
Es ist vorbei! Der Weg aus dem Sinn des Lebens endet hier, wir müssen uns so durchs Gebüsch schlagen. In tausend schlaflosen Nächten. In Nächten wie dieser, wenn die Bäume zum Leben erwachen, um sich die uralten Weisheiten der Welt zuzuflüstern; wenn Wahrheit und Lüge nur noch Worte sind; wenn Liebe und Hass verschmelzen; wenn die Ewigkeit erneut geboren wird und in ihr alles nichtig ...
In Nächten wie dieser …
Deborah Wolf
Wenn die Bäume zum Leben erwachen, um sich die uralten Weisheiten der Welt zuzuflüstern; wenn Wahrheit und Lüge nur noch Worte sind; wenn Liebe und Hass verschmelzen; wenn die Ewigkeit erneut geboren wird und in ihr alles nichtig ...
Solche Nächte sind äußerst selten. Und nur wenige vermögen zu spüren, wenn eine von ihnen gekommen ist. Aber das Wissen um sie ist nie verloren gegangen, es wird von Generation zu Generation weitergegeben. So bleibt Weisheit bestehen und wird es bis bleiben, bis die Zeit aufhört, fortzulaufen. Doch bis zu jenem verhängnisvollen Tag am Ende der Geschichte, wird in solchen Nächten immer wieder die Welt verändert werden. Denn in Nächten wie diesen lebt die Magie wieder auf.
So auch jetzt, in diesem Moment, am anderen Ende der Welt. Die uralten Bäume wiegen sich im sanften Wind. Sie flüstern sich Geheimnisse zu. Nur sie kennen die Lösung des ältesten Rätsels. Nur sie überwanden den Tod. Nur sie wissen über das Leben. Niemand kann sie verstehen, und wer ihnen lauscht, der wird sich in dem Wispern verlieren, er wird ihm ganz verzückt lauschen, bis er diese Erde verlässt.
Wir sitzen unter jenen Bäumen, du liegst in meinen Armen. Ich glaube, ich muss vor Schmerzen sterben, wenn ich in deine Augen sehe. Denn dann erkenne ich, dass deine Liebe zerbrochen ist. Wieso?, geht es mir durch den Kopf. Wieso? Wieso ist das kleine Licht der Liebe erloschen? Der zarte Schimmer von Hoffnung, der noch geblieben war? Er war so klein, und doch konnte es all meine Wege erleuchten …
Sag, brauchst du etwas Zeit allein? Ich kann das verstehen, ich kenne dieses Gefühl. Ja, ich kann es verstehen. Ich kann die vergeben. Aber ich kann nicht vergessen. Denn der Schmerz bleibt. Weil der Schmerz stärker ist als wir, weil er stärker als die Vernunft ist, sogar stärker als ein Gefühl.
Die alte Eiche legt langsam ihr dunkelgrünes Gewandt ab, ein trockenes Blatt segelt auf uns herab. Es landet in meinem schwarzen Haar. Zärtlich ließt du es hinaus und lächelst dabei so lieblich. In deinen blauen Augen glänzt wahre Liebe. Aber die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge verschwimmt in dieser Nacht. Ich hätte es wissen müssen: Nichts hält für immer, Gefühle kommen, Gefühle gehen. Nichts ist erhaben. Nichts als der Schmerz.
Deine Blicke, sie sagen so viel. Sie verraten mir, dass auch du leidest. Weil du mir wehtun musst.
Was ist das bloß für eine Welt?! So trostlos …
Allein in einer Welt ohne Trost, wie soll ich das bloß überstehen?
Und es beginnt zu regnen: Der Himmel scheint um uns zu weinen. Seine Tränen spenden Leben, so wie es auch unsere tun. Wir hören die Tropfen auf das dichte Blätterdach fallen. Immer heftiger in einer geheimnisvollen Melodie. Auch zu uns dringen sie durch und befeuchten unsere Kleider, unsere Haut, unser Haar. Ich genieße es, denn bald wird es kein "unser" mehr geben.
Weiß sie es nicht? Kann sie es denn nicht spüren? Oh, meine Liebe, ich fühl' mich doch genauso. Ich bin doch ebenso verzweifelt, ich weiß doch auch nicht weiter! Denkst du, ich wolle gehen? Oh, wir hätten es wissen müssen! Wissen wollen. Dass es nichts Perfektes auf dieser Erde gibt. Das Paradies ist so fern, obschon es so nah erscheint, wenn ich in deinen Armen liege. Der Himmel ist weit weg, Liebling - er ist unerreichbar für uns Menschen. Wir sind keine Engel, uns fehlen doch die Flügel! Und Engel fühlen nicht.
Gehörten wir doch bloß zu ihnen! Hätten wir doch wenigsten die Gewissheit, dass wir welche werden würden. Aber es ist nicht mal sicher, dass es welche gibt. Selbst wenn, wer soll uns zu Engeln machen? Wer liebt die Schwachen genug? Wer vermag den Schmerz zu besiegen? Die Liebe ist es nicht …
Du küsst mich ein letztes Mal auf den Mund. Und in dem Kuss kann ich dein unterdrücktes Weinen schmecken. Meine Augen werden feucht, wie könnte ich die Tränen noch länger zurückhalten?!
"Weine nicht!", sagst du. "Denk daran, es gibt noch einen Himmel über uns!" Dann gehst du, ohne dich noch einmal umzuwenden.
Es ist vorbei! Der Weg aus dem Sinn des Lebens endet hier, wir müssen uns so durchs Gebüsch schlagen. In tausend schlaflosen Nächten. In Nächten wie dieser, wenn die Bäume zum Leben erwachen, um sich die uralten Weisheiten der Welt zuzuflüstern; wenn Wahrheit und Lüge nur noch Worte sind; wenn Liebe und Hass verschmelzen; wenn die Ewigkeit erneut geboren wird und in ihr alles nichtig ...
Eingereicht am 08. Mai 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin.
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