Geflunker
© Katy Westwood
Ich lernte Alek während eines Winterspaziergangs kennen. Schneeflocken tanzten wie Federn in der Luft und verzauberten in ihrer Schönheit den Hamburger Park. Ein auffrischender Wind zerrte an meinen Kleidern und ließ mich frösteln. Ich rieb mir die Hände, trat in den Windschatten einer Telefonzelle und hörte folgendes. "…jeden Tag 30 Grad … hab Sonnenbrand… Palmen? …Ja, Dutzende, direkt vor der Zelle…"
Ich starrte den Lügner an. Sein Harr war grau meliert. Die Finger steckten in ledernen Handschuhen und den Schal hatte er in einer Art gebunden, wie ihn die Hamburger gerne trugen. Gerade wollte ich sein Alter schätzen, als er das Gespräch beendete und aus der Zelle trat.
"Darf ich Ihnen meine Sonnencreme leihen?"
"Wie?" Er hielt in der Bewegung inne und schaute mich verwirrt an. Am liebsten hätte ich losgebrüllt, stattdessen unterdrückte ich den Reflex zu lachen und setzte dem noch eins drauf: "In der Lagune habe ich das Sonnenöl, gleich hinter den Palmen." Ich zeigte mit dem Finger auf die zugefrorene Alster und erntete ein säuerliches Lächeln.
"Wissen Sie eigentlich, dass man fremde Gespräche nicht belauscht?"
"Ich habe nicht gelauscht!" Trotzig reckte ich das Kinn, worauf mich sein Blick durchbohrte, wie der Stachel eines Skorpions, und so fügte ich kleinlaut hinzu: "Vielleicht ein wenig."
Er lächelte, dann verschwand seine Strenge und machte einer Sanftheit Platz, die sehr angenehm auf mich wirkte.
"Darf ich Sie zum Kaffee einladen?", fuhr er fort. Damit hatte ich nicht gerechnet, außerdem überwog mein Argwohn und so konterte ich: "Nicht, wenn Sie Ihr schlechtes Gewissen bei mir abladen wollen."
"Sie kleiner Naseweis, wenn Sie so weiter machen, versohle ich Ihnen den Hintern!"
Ich fand den Vorschlag reizend, dennoch entschied ich mich für den Kaffee.
Als er im Restaurant seinen Mantel ablegte, kam ein kräftiger Mann mit Bauchansatz zum Vorschein.
"Starren Sie mich ruhig weiter an. Ich könnte vom Alter her Ihr Vater sein, aber vielleicht sehen Sie das anders?"
Er grinste, dann bestellte er zwei Cappuccino und ich hatte alle Mühe meine Verlegenheit zu überspielen.
"Mein Name ist Alek Baumann", fuhr er fort.
"Ich bin Anwalt."
"Aha!"
"Was heißt, Aha?"
"Als professioneller Tatsachenverdreher ist es natürlich leichter anderen einen Bären aufzubinden."
"Sie urteilen über mich, ohne meine Geschichte zu kennen, gehen aber mit mir Kaffe trinken, warum?"
Wieder fixierten mich seine Augen mit einer Intensität, die mich verunsicherte.
"Ich weiß nicht."
"Oh doch, das wissen Sie!"
Seine Selbstsicherheit brachte mich aus der Fassung. Er nahm es wahr, ließ sich aber nichts anmerken. Stattdessen berichtete er mir vom Telefonat.
"Ein Geschäftspartner schenkte mir ein Ticket nach Barcelona. Ich verpasste den Flieger."
"Und deshalb riefen Sie an und erzählten, wie schön es in Spanien sei?"
"Finden Sie das ungehörig?" Er beugte sich vor und war mir auf einmal so nahe, dass ich nicht mehr wusste, was er mit dieser Frage meinte.
Ich schaute ihm in die Augen und da passierte es. Ohne Vorwarnung küsste ich ihn.
"Das haben Sie jetzt davon", sagte ich, als sich meine Lippen von ihm lösten.
"Wovon?" Er war immer noch völlig perplex."
"Sie schauen mich die ganze Zeit an, als hätten Sie alles im Griff."
"Und Sie kleiner Teufel wollen mich vom Gegenteil überzeugen?"
"Habe ich das nicht schon?"
"Wenn Sie mich noch mal küssen, verrate ich es Ihnen"
Und so küsste ihn, mit dem Gefühl, das diejenigen kennen, die die Liebe und das Leben genießen, als gäbe es nichts Schöneres auf Erden.
Eingereicht am 27. Mai 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin.
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