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Dez
01
Ewige Liebe
© Thara

Wir sind alte Seelen - alte Seelen, die immer wiederkehren, jedes Jahrhundert einmal.

Wir treiben im Strom der Zeit, in einem Meer der Ereignisse und Begegnungen, mehr oder weniger bedeutend für unser jeweiliges Leben.

Jedes Mal sind wir erneut auf der Suche - nach Glück, Erfolg, aber vor allem nach Liebe. Der großen, der einzig wahren Liebe.

Wir finden sie einmal und sind dann auf ewig dazu verdammt, sie in jedem Leben wieder zu suchen. Manchmal gelingt es, manchmal nicht.

Auch ich suche beständig nach ihr - der einen Frau, die ich lieben werde bis ans Ende der Zeit.

Ich fand sie früh, als die Welt noch so jung war wie unsere Seelen. Die Zeitrechnung der Menschen hatte noch nicht begonnen, als wir uns das erste Mal liebten.

Ich begegnete ihr wieder in Griechenland, als stolzer Hellene. Sie wurde auf einem Sklavenmarkt zum Verkauf feilgeboten. Ein Blick in ihre Augen, und ich wusste, wer sie war. Zurückgekehrte Seelen erkennen sich wieder.

Ich kaufte sie und ließ sie in meinem Haus für mich arbeiten - unsere Liebe musste geheim bleiben, denn ich war schon verheiratet - mit einer Frau, für die ich nichts empfand, an die ich dennoch gebunden war. Doch uns konnte nichts trennen.

Dann wartete ich ein ganzes Leben lang auf sie. Ich war ein Germanenfürst - reich, mächtig, Führer mehrerer Stämme - doch ohne Glück. Erst auf meinem Totenbette sah ich sie wieder. Sie war die Tochter eines benachbarten Fürsten, die meinem ältesten Sohn versprochen war. Ihr Tross kam an, als ich im Sterben lag. Sie trat an mein Bett, nahm meine Hand und versprach mir flüsternd ewige Liebe - sowie ein Wiedersehen in unserem nächsten Leben. Ich starb, lächelnd, denn ich fühlte die Berührung ihrer Hand auf meiner.

Ich kam als Ritter auf eine Burg, deren Herrin sie war. Stolz und schön, glich sie einem Jagdfalken; entsprechend tödlich war ihre Liebe. Ich nahm mir ihren Körper, als ihr liebloser Gemahl beim König weilte; in dieser Zeit sollte ich für ihre Sicherheit garantieren. Der Sohn, den sie gebar, war ein Bastard. Ihr Mann erkannte, wessen Kind es war und erschlug uns beide in seiner Eifersucht. Möge sein eigenes Schwert ihn durchbohren.

Ich war Bäcker - mein Laden lag in der Nähe des Marktplatzes einer französischen mittelalterlichen Stadt. Ich arbeitete hart, um meine Familie zu ernähren. Meine Frau war erschöpft und ausgezehrt von den alltäglichen Arbeiten und den Geburten unserer acht Kinder, von denen zwei das erste Jahr nicht überlebt hatten.

Ich traf sie auf dem Marktplatz; rotes, flammendes Haar, grüne Augen, ein herausfordernder Blick. Sie sah mich und hielt in ihrer Bewegung inne, sekundenlang. Wortlos, nur durch einen einzigen Blick des Einverständnisses beschlossen, drehte ich mich um und wählte den Weg aus der Stadt auf die Felder. Sie folgte mir.

Wir sanken eng umschlungen zwischen hochstehenden Ähren nieder, jeder der Halt des anderen. Mehrmals liebten wir uns, bis wir uns traurig trennten. Wir trafen uns von diesem Zeitpunkt an jeden Tag, bis meine Geliebte als Hexe angeklagt wurde - von ihrem eigenen Mann, der von unserer Liebe erfuhr.

Ich sah sie brennen, in den schwarz-rot lodernden Flammen stehen und schreien und konnte nichts dagegen tun. Mit ihr zusammen starb mein Herz, von da an ein eiskalter Klumpen. Ich wartete sehnlichst auf meinen eigenen Tod. Ein herabstürzender Ast während eines Sturmes erfüllte mir schließlich meinen Wunsch.

Europa ertrank im Blut tausender Menschen, ich war Soldat im Dreißigjährigen Krieg. Sie war meine Verlobte, die dem Heer folgte bis in die letzte Schlacht. Als ich unter der Hand eines Schweden starb, nahm sie mein zerbrochenes Schwert und stürzte sich hinein. Seite an Seite lagen wir tot auf dem Schlachtfeld, Seite an Seite wurden wir begraben.

Ich wurde im ausgehenden Ancien Régime als Sohn eines Handwerkers geboren; sie war eine Adelige, eine Hofdame der Königin. Ich gehörte in der Französischen Revolution zum Dritten, sie zum Zweiten Stand. Wir begegneten uns, als ich eine Bestellung am Hof von Versailles ablieferte. Ein Blick in ihre Augen und ich wusste, ich hatte sie für dieses Leben wiedergefunden.

Sie floh des Nachts vom Hof und kam zu mir, einem einfachen Handwerker. Ich nahm sie mit in meine Werkstatt in den engen Gassen von Paris. Wir lebten tagelang nur für unsere Liebe, bis wir unbeabsichtigt in Straßenkämpfe verwickelt wurden. Beide wurden wir festgenommen, doch sie konnte fliehen, kurz vor der standrechtlichen Erschießung. Mein Kopf explodierte unter der Wucht einer Gewehrkugel.

Meine Eltern nahmen sich ihrer an; beide liebten sie und unseren Sohn, der neun Monate später geboren wurde, bedingungslos.

Ich fand sie wieder, im London Queen Victorias. Sie war eine Hure, verkaufte ihren Körper für Geld an jeden dahergelaufenen Säufer. Ich kam regelmäßig zu ihr, wollte sie später heiraten.

Eines Nachts kam sie nicht wie verabredet zu meiner Wohnung, in die ich sie bestellt hatte. Ich suchte nach ihr; zur dunkelsten Stunde irrte ich durch die dreckigen, nebligen Gassen von Whitechapel, einem Viertel voller Gesindel. In einem Hinterhof fand ich sie, verkrümmt und verstümmelt, tot, auf dem regennassen Pflaster, ein Opfer Jack the Rippers.

Ich betrat eine Disko, Rock'n'roll schlug mir entgegen. Sie stand an der Theke, blonder Pferdeschwanz, weißes Kleid über einem Spitzenpetticoat. Ich bezahlte ihr einen Milchshake und wir tanzten die ganze Nacht.

Ich küsste sie, als ich sie in meinem Auto nach Hause fuhr. Der weiße Mond schien durch die Scheiben auf ihre helle Haut.

Wenige Monate später waren wir verlobt und heirateten in einer kleinen Kirche. Ihr weißes Brautkleid erinnerte mich an das Kleid, das sie bei unserem ersten Treffen getragen hatte.

Ich war erfolgreich in meinem Beruf, sie eine glückliche Hausfrau und Mutter. Wir starben beide als alte Leute, im Kreise unserer Kinder und Enkel.

Nun warte ich darauf, sie wieder zu sehen, sie erneut zu suchen.

Ich warte darauf, mich wieder in den Fluss der Zeit zu werfen, darin zu treiben, bis ich wieder an ein Ufer gelange - das Ufer unserer Liebe.

Wir sind alte Seelen-Wanderer, die durch die Zeit irren und nicht immer an ihr Ziel gelangen. Wenn wir ankommen, dann wollen wir alles festhalten, was wir erreicht haben - selten gelingt es. Das Schicksal wirft uns Steine in unseren Weg, die wir überwinden müssen oder an denen wir scheitern. Manchmal sind sie klein wie Kiesel, manchmal mächtig wie Berge - wir werden nicht gefragt, genauso wenig wie wir gefragt werden, wer wir sein wollen oder was wir durchleiden wollen - wir müssen tun, was uns bestimmt ist.

Wir haben keine Wahl - wir können nicht entscheiden, was das Schicksal für uns bereithält, wen es für uns bereithält.

Es liegt nicht an uns zu entscheiden, wen wir lieben.

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