Umweg des Herzens
© Tommy Lachmann
"Erinnert Ihr euch noch an diesen Jochen Reuter?" Anja rührte in ihrer Tasse. "Na logo", sagte Biggi, "du warst doch ganz verrückt nach ihm!" - "Wer nicht", schmunzelte Claudia, die dritte der fünf Freundinnen, "fass dir mal an die eigene Nase, Biggi, du warst doch selbst ganz heiß auf ihn!"
Die fünf Mädchen hielten nach dem Abi noch immer Kontakt und trafen sich wöchentlich mindestens einmal im "Café am Schlosspark". Kerstin lachte: "Gebt es zu, Kinder, wir waren doch alle in ihn verknallt!" - "Aber keine Frau hatte bei diesem Typen eine Chance, an jeder fand er was zu nörgeln", ärgerte sich Iris noch nachträglich. ""Ja, bei dir war es nur deine Brille, die ihn störte", erklärte Anja, "aber ich war ihm viel zu dick". - "Dafür war ich ihm
zu mager", winkte Biggi ab, "dieser Kerl war doch sowieso total ausgerastet." - "Ein absoluter Hörni", nickte Kerstin." - "Ja, das war wirklich geschmacklos", grollte Iris, "aber was fand er eigentlich an dir so abartig?" - "Na was wohl? Meine große Nase!" Alle lachten und Claudia schüttelte den Kopf: "Und wir waren alle so blöd, diesem Kerl schöne Augen zu machen. Dabei hatte der doch selbst gar nichts zu bieten". - "Na komm, immerhin
sah er megatoll aus", stellte Anja fest, "sonst wären wir doch nicht alle so tierisch auf ihn abgefahren."
"Ja, aber es ist auch megacool", frohlockte Biggi, "dass dieser Supermann später von einer anderen Frau unheimlich verschaukelt wurde. - Kennt ihr diese Story etwa noch nicht?" - "Nee, echt?" Die anderen Mädels hatten nie mehr was von Jochen gehört.
"Mein Bruderherz Oliver und Jochen studierten doch zusammen Pädagogik", erklärte Biggi, "und Olli hat mir einen heißen Song über Jochen gesungen!" - "Los, berichte mal", baten die vier Freundinnen gespannt. "Klar", lachte Biggi, "diese Story ist richtig ätzend, aber Rache ist süß!"
XXX
Jochen war echt ein seltsamer Vogel und Biggis Bruder Oliver hatte alles hautnah miterlebt. Kein Mädchen war Jochen gut genug, denn er setzte eine Menge voraus und stellte zu viele und zu hohe Ansprüche an die Damenwelt. "Logo", hatte Olli ihm geflüstert, "wenn du auf diesem Trip noch lange bleibst, endest du als elender Single! Wetten?"
Aber die große Party in der Mensa brachte die Wende. Der Anblick Steffi Krolls, einer Klassefrau, die plötzlich mit am Tisch saß, hatte Jochen umgehauen. Niemand wußte, woher sie gekommen war. Diese Frau war wirklich einsame Spitze und hatte alles aufzuweisen, wovon Jochen seit langem träumte. Er war fasziniert von ihr. Bald schlichen Steffi und er nur noch gemeinsam aufs Parkett, aber von Tanzen keine Spur. Reglos standen sie da und probten die Mund-zu-Mund-Beatmung.
Dass Steffis Ohren eigentlich für Jochens Begriffe ein wenig zu groß geraten waren und auch ihre hübschen grünen Augen viel zu eng nebeneinander standen und ihre Nase etwas zu spitz hervorragte, störte ihn diesmal nicht. An Steffi war für ihn alles begehrenswert, selbst wenn ihre Ohren doppelt so groß gewesen wären...
Den gemeinsamen Heimweg traten die beiden Verliebten als Fußgänger an und dieser Marsch dauerte eine Ewigkeit, denn er führte sie durch die verschwiegensten dunklen Ecken und Winkel der Stadt.
"Tritt ein, bring Glück herein", sagte Steffi verheißungsvoll, als sie später endlich ihre Wohnungstür geöffnet hatte. In ihrer herrlichen Altbauwohnung aber stellte Jochen dann doch gleich zwei Fehler fest, die nicht von der Hand zu weisen waren. "Wer ist denn dieses kleine Mädchen und der Mann", zeigte Jochen misstrauisch fragend auf das Foto an der Wand. - "Das wollte ich dir gerade erzählen", sagte Steffi rasch, "das ist mein Verflossener mit unserer kleinen Grit. Aber mach
dir darüber keinen Kopf", schmiegte sie sich an ihn, "diese Zeit ist längst vorbei. Grit ist meistens bei ihrer Oma und mein Mann lebt seit zwei Jahren in Heidelberg."
Jochen bekam die Krise: "Aber ich dachte..." - "Keine Sorge, du Dummkopf", sagte sie zärtlich, "Rolf hat in Heidelberg einen Lehrstuhl als Professor und ich bin froh, dass zwischen uns alles vorbei ist. Die Scheidung wird in den nächsten Tagen amtlich ausgesprochen". Steffi kraulte zart Jochens Haar und als er trotzdem weiter stumm auf das Bild glotzte, flossen ihre Tränen und sie schluchzte: "Magst du mich denn jetzt wirklich nicht mehr?"
Steffi verstand es großartig, Jochens Bedenken auszuräumen und war dadurch bald, bis auf die wenigen Stunden, die sie mit Töchterchen Grit verbrachte, zu seinem vollkommenen Lebensinhalt geworden. Wenn Jochen während der nächsten Wochen zeitweise aber doch die Hoffnung auf eine baldige Scheidung zu verlieren schien, gurrte sie zärtlich: "Du kennst doch die Mühlen des Gesetzes. Bitte vertraue mir! Glaubst du wirklich ich könnte dich belügen? Ich liebe dich so sehr, wie ich noch keinen Mann zuvor geliebt habe!"
Nach solchen heroischen Worten war immer die große Leidenschaft angesagt und Jochens Glück kannte keine Grenzen.
Die Bindung des in Heidelberg lebenden Herrn Prof. Dr. Kroll aber reichte trotz der Trennung zu seiner Frau noch soweit, dass Steffis Wohnung eines schönen Tages ratz-fatz aufgelöst wurde. Bevor Jochen es richtig begriffen hatte, war seine Geliebte in den extra aus Heidelberg angerollten Möbeltransporter gestiegen und samt Tochter Grit ins neue Domizil ihres Ehegatten an den Neckar entschwunden. Fassungslos hatte Jochen dann noch wochenlang allabendlich auf der Straße vor dem Portal des alten Eckhauses gestanden
und sehnsüchtig auf die großen leeren Fenster gestarrt, die jetzt mitleidlos auf ihn herabsahen. Für ihn war eine Welt zusammengebrochen.
XXX
Die fünf jungen Damen im "Schloß-Café" hatten sich über Jochens Reinfall köstlich amüsiert. "Wer den Schaden hat...." spottete Claudia. - "Jeder bekommt was er verdient", freute sich Kerstin und Anke fragte: "Hat denn dein Bruder Olli noch immer Kontakt zu Jochen? Es wäre doch interessant zu erfahren, wie er sein Leben ohne uns weiter gestaltet." - "Aber rachsüchtig und schadenfroh bist du gar nicht, oder," spottete Claudia. - "Nein", antwortete Biggi
auf Ankes Frage nach einer Weile, "leider hat auch Olli keinen Kontakt mehr zu ihm, ich weiß nur, dass sich Jochen, unser großer Schwarm, später zum Gespött seiner ganzen Freunde machte, weil er gelitten hat wie ein Hund und völlig durchgedreht war. Überall hat dieser Trottel offen und weinerlich über seine peinliche Abfuhr berichtet! Er hat diese Sache wohl nie ganz verkraftet. Irgendwann ist er dann aber in eine andere Stadt gezogen und die Jungs haben sich auch völlig aus den Augen verloren".
XXX
Petra Bruhns saß auf dem Rand des großen Springbrunnens in der Sonne und las ein Buch. Sie liebte diesen idyllischen Marktplatz ihres kleinen Städtchens. Der Brunnen war auch ein beliebtes Ausflugsziel vieler Mütter deren Kinder gern mit ihren kleinen Schiffchen im vollen Wasserbecken planschten. Petra genoss diesen wonnigen Tag, das Plätschern des Wassers und ihre Lektüre. Plötzlich aber hockte dieser Irre neben ihr und baggerte sie an: "Na, hat es dich jetzt in die Kleinstadt verschlagen?" Petra sah
erstaunt auf, schüttelte lange ihren hübschen Kopf und fragte: "Wie bitte? Meinen Sie etwa mich?" - "Das darf ja wohl nicht wahr sein", höhnte der Typ, "du bist ja noch viel abgebrühter als ich dachte!" Als ihn Petra verständnislos ansah, fauchte er gefährlich: "Deine verlogenen Liebesschwüre und die Nächte im Bett mit mir hast du wohl auch vergessen, oder?" - "Sie sind ja wohl nicht ganz dicht", sagte Petra ärgerlich, "lassen Sie mich jetzt endlich zufrieden!"
Böse hielt sie ihren Blick auf ihn gerichtet, was diesen Flegel nun sichtlich irritierte. "Ja, - sind Sie wirklich nicht - - - Steffi? Steffi Kroll? - - - Dann entschuldigen Sie vielmals, aber......" - "Steffi Kroll", wurde sie etwas aufgeschlossener, "woher kennen Sie denn die Steffi?" Genau genommen machte dieser Junge hier gar keinen so üblen Eindruck. Sie wurde neugierig, was hinter dieser Sache steckte. "Ihre Augen haben mich unsicher gemacht", sagte der junge Mann
nun sehr freundlich, "denn Steffis Augen sind grün und wie ich jetzt sehe, sind Ihre Augen blau". - "Und sie haben zudem einen kleinen Farbfehler, stimmt` s?" - "Richtig", sagte er, "diese kleine graue Ecke im rechten Auge, als habe man ein Stückchen herausgebrochen. Das wäre mir an Steffi bestimmt sofort aufgefallen. Aber es steht Ihnen echt gut", fügte er schmeichlerisch hinzu, "sonst jedoch sind Sie Steffi wie aus dem Gesicht geschnitten. Ja - Steffi", sagte
er versonnen, "das liegt nun schon über vier Jahre zurück". - "Eine gewisse Steffi Kroll ist nämlich meine Cousine und wir sehen uns wirklich sehr ähnlich", klärte Petra ihn jetzt auf, "das behaupten jedenfalls viele. - Ja, aber die Steffi wohnt schon lange in Heidelberg".
"Das weiß ich nur zu gut", knirschte Jochen, "deshalb wunderte ich mich ja eben, Steffi hier so unerwartet zu treffen". Und dann erzählte er wieder seine traurige Story. "Aber was machen Sie als Steffis Cousine denn ausgerechnet hier in dieser Kleinstadt", wollte er anschließend wissen. - "Ganz einfach, ich bin hier geboren", lachte sie, "und was machen Sie in unserem schönen kleinen Städtchen?" - "Ich habe hier nach meinem Examen gerade eine Stelle als Lehrer
bekommen", und um ihr eine kleine Freude zu bereiten fügte er hinzu, "es ist wirklich ein wunderschönes Städtchen, es gefällt mir hier großartig". - "Das freut mich", nickte sie, "aber dann stammen Sie aus Kiel?" - "Ja, genau wie Steffi", bestätigte er. - Tja." - Petra schwieg einen Moment. "Aber die Steffi ist wirklich das schwarze Schaf in unserer Familie", brachte sie die Sache dann wieder auf den Punkt, "direkten Kontakt haben wir zwar nicht
mehr, aber mein Vater hört öfter mal von seinem Bruder die tollsten Sachen über Steffi. Richtig müsste sie ja heißen: Steffi Kroll, geborene Bruhns, geschiedene Lehmann". - "Bitte? - Wieso denn das", verstand er sie nicht. - "Steffi hatte schon zwei honorige Ehemänner aus Akademikerkreisen, denn ihr erster Mann war ein gewisser Staatsanwalt Dr. Lehmann. Aber von den Studenten konnte sie trotzdem nie ihre Finger lassen. Deshalb ging ihre erste Ehe ja ziemlich rasch wieder in die Brüche. Treue
war nie ihr Ding."
Die Neuigkeit mit dem Staatsanwalt, diesem Dr. Lehmann, hatte Jochen geschockt, aber nach einer Pause brachte er trotzdem charmant rüber: "Warum hat mir Steffi damals eigentlich nicht gesagt, dass sie eine so tolle Cousine hat?" - "Die Steffi hat Ihnen sicher vieles nicht gesagt", packte Petra aus, "hat sie Ihnen etwa gesagt, dass sie aus erster Ehe von diesem Dr. Lehmann schon einen Sohn namens Christof hat, der bei seinem Vater lebt? Oder dass ihr zweiter Mann, Professor Kroll, nicht
etwa zwei Jahre, sondern höchstens ein paar Wochen vor ihrem Umzug zunächst allein nach Heidelberg gegangen war, bis er eine passende Wohnung für seine Familie gefunden hatte?" - "Nein", fiel Jochen aus allen Wolken, "darauf wäre ich nie gekommen und um ehrlich zu sein, es haut mich wirklich um."
Er schien sich jetzt aber trotzdem auf dem Brunnenrand neben Petra sehr wohl zu fühlen und dachte offenbar nicht an einen raschen Abmarsch. "Ich heiße übrigens Jochen, Jochen Reuter und wie darf ich......" - "Petra, ich bin Petra Bruhns", fiel sie ihm lachend ins Wort. - "Darf ich Sie wenigsten zu einem Eis einladen, nachdem ich erst so blöd rumgemotzt habe", grinste er fröhlich und setzte scheinheilig nach: "Oder wird Ihr Freund dann eifersüchtig?" - "Nöh", sagte
Petra nach kurzem Zögern, "auch ich hatte nicht nur Glück mit den Herren der Schöpfung und bin zur Zeit solo. - Aber die Einladung zum Eis ist o.k. und", fügte sie scherzhaft hinzu, "es bleibt ja wohl alles irgendwie in der Familie!" Beide lachten vergnügt. "In Ordnung", sagte Jochen, "glauben Sie eigentlich an Zufälle?" - "Nein", sagte Petra bestimmt und hielt ihm ihr Buch vor die Nase. "Reise durch die Unendlichkeit" stand darauf zu lesen. - "Ach,
Columbus-Verlag, die dritte Auflage", sagte Jochen, "ja, ein tolles Buch, ich habe es schon zweimal gelesen!"
Natürlich blieb es nicht bei dem einen Eis, es folgten auch nicht nur viele gemeinsame Besuche im Eiscafé, denn Petra und Jochen waren bald unzertrennlich geworden. Es wurde die große Liebe und nach elf weiteren wunderbaren Monaten standen beide, in guter Hoffnung auf das bevorstehende "freudige Ereignis", vor dem Standesamt...
Das freilich haben die fünf Freundinnen aus dem "Schloß-Café" nie erfahren.
Eingereicht am 16. Oktober 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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