Höllenbrand und Liebesfeuer
© Tommy Lachmann
Dirk hatte einen guten Job als Hotelfachkraft in einem Vier-Sterne-Hotel in Braunschweig. Aber seine Regina hatte ihn vor einem halben Jahr ganz überraschend verlassen und er litt noch immer schwer unter diesem Verlust.
"He, Alter, mach hier nicht den Gequälten", knurrte Tomas der Chefkoch, "sei froh, dass du diese Tussi los bist". - "Mach mich nicht an, Tom, lass mich zufrieden und halte einfach dein Maul. Klar?" Dirk war gereizt.
"Es gibt Tausende anderer Frauen, die auf dich warten," ließ Tomas nicht locker, "sieh dir die Welt an und geh auf einen Musikdampfer, da hast du gleich zehn Superflammen am Hals!" Dirk stutzte und war schlagartig begeistert: "Tom, alter Suppenkasper, ich könnte dich küssen! Das ist die größte Idee, auf die du je gekommen bist!" - "Das mit der Küsserei heb´ dir für die Weiber auf", lachte Tomas, "ich bin schon versorgt! Du bist ein heißer Typ und wärst auf einem Luxusliner
echt ein Supersteward!" - "Wieso bin ich eigentlich nicht selbst auf diesen Gedanken gekommen?" Dirk griff sich an die Stirn. - "Weil bei dir seit deiner Trennung dein Verstand total im Eimer ist", erklärte Tomas trocken.
Dirk schrieb einige Bewerbungen und bekam bald ein tolles Angebot von der "Hanseatic", einem der damals großen Kreuzfahrschiffe. Sofort heuerte er an und nach einer amtsärztlichen Untersuchung stand der Seefahrt nichts mehr im Weg. Gespannt und voller Erwartungen begann er seinen Dienst an Bord.
XXX
Merve, eine der hübschen Friseusen, stand nach dem Ablegen traurig hinter ihrem ersten Kunden und verpasste ihm routiniert eine neue Frisur. Der Kunde sah nicht die Tränen, die ihr unaufhörlich von ihrer hübschen Nasenspitze tropften.
Seit einem knappen Jahr fuhr sie als Friseuse zur See. Merve hatte sich auf der "Hanseatic" wohl gefühlt, doch nun war sie total frustriert, denn der erste Offizier, Peter Möller, war heute nicht wieder an Bord gekommen. Als Merve vorhin an Peters Kabinentür klopfte, hatte ihr ein fremder Offizier geöffnet. - "Nein, Herr Möller fährt nicht mehr", hatte der arglos gesagt, "er hat gerade seine neue Position an Land angetreten. Der Glückliche heiratet doch in drei Wochen".
Das war für Merve ein Hammerschlag und sie war auf ihrer Kabine weinend zusammengebrochen. Dabei hatte vor drei Monaten alles so schön angefangen. Draußen an der Reling hatte sie gelehnt und der stattliche Offizier war lachend auf sie zugekommen, als der Wind gerade ihre schöne Frisur zerzauste. "Na, "Struppi", hatte er fröhlich gesagt, "der Wind meint es aber gar nicht gut mit uns, nicht war?"
Merve Hülscher und Peter Möller hatten sich danach oft an Deck getroffen und es war bei dem Namen "Struppi" auch unter ihren Kollegen geblieben. Wie es wirklich um die beiden stand wusste niemand an Bord, nicht einmal Merve selbst. Als Peter das Schiff vor drei Tagen in Cuxhaven verlassen hatte, war er noch zu ihr gekommen, hatte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn gedrückt und gesagt: "So, kleine "Struppi", halt die Ohren steif bis übermorgen - - man sieht sich!" Das war so
üblich zwischen ihnen. Und nun dieses böse Erwachen...............
XXX
Dirk hatte an Bord sofort alles gecheckt, besonders was das weibliche Personal betraf. Noch vor seinem Dienstantritt hatte er sich im Frisiersalon bei den hübschen Damen eine neue Frisur machen lassen. Dirk war begeistert von diesem Luxusliner und die tollen Mädels der Crew hatten ihn mächtig angetörnt. Er hoffte auf die schnelle Eroberung einer solchen Prinzessin, doch es kam ganz anders.
Gleich sein erster Atlantiktrip nach New York wurde für ihn die Hölle. Das Meer zeigte sich von seiner schlimmsten Seite und diese Urgewalten machten einer Landratte wie Dirk schwer zu schaffen. Die "Hanseatic" stampfte, schlingerte und ächste aus allen Fugen als würde sie jeden Moment auseinder brechen. Die tosenden Wassermassen des Ozeans formten sich zu hohen Gebirgen und tiefen Tälern in raschem Wechsel. Auf dem Sonnendeck waren zur Sicherheit dicke Taue gespannt, doch kein Passagier ließ sich sehen.
Die meisten lagen stöhnend in ihren Betten, weil die Seekrankheit sie schüttelte und erbrechen ließ. Dirk fühlte sich unaufhörlich von einer riesigen Faust kraftvoll in den grauen, wolkigen Himmel gehoben und sofort wieder in den tiefen Abgrund des Meeres gestoßen. Panik war angesagt. Dirk, der neue Steward, hatte schon mehrfach geopfert und schon jetzt mitten auf dem Ozean die Nase von der Seefahrt gestrichen voll.
Aber es kam noch viel schlimmer, denn an Bord entstand am Morgen nach der Ankunft in New York das große Feuer, der historische Brand, der die "Hanseatic" für immer vernichtete. Die gesamte New Yorker Feuerwehr war angerückt und dicke schwarze Rauchwolken umhüllten das Traumschiff. "Der Dampfer wird nie mehr in See stechen", hörte Dirk einige Leute der Besatzung sagen, als sie alle gemeinsam an der Pier standen, weil sie schnell das Schiff verlassen mussten. Und den Traum vom neuen Liebesglück?
Den konnte Dirk getrost in den Wind schreiben, denn die bezaubernden Damen vom Personal waren längst anderweitig heiß begehrt und warteten nicht auf eine seekranke Landratte aus der Provinz. Nein, es hätte schon mit dem Teufel zugehen müssen. Aber der Teufel hatte das schöne Schiff ja gerade abgebrannt.
XXX
Eine Chartermaschine aus Deutschland war am Vormittag gelandet und sollte nun leer zurückfliegen. Die Reederei reagierte sofort und der größte Teil der Schiffbrüchigen konnte daher noch am Abend Amerika verlassen. Dirk freute sich, auf diese Art einer stürmischen Rückfahrt auf See zu entkommen.
Regen und Sturmböen aber bedrückte auch die Wartenden auf dem Kennedy-Airport, denn das Wetter konnte miserabler nicht sein. Dirk verfluchte den Tag, an dem er das Schiff betreten hatte. Als er besorgt an eines der Fenster trat, lehnte sich plötzlich zaghaft ein junges Mädel an ihn. Erstaunt erkannte er die hübsche Friseuse, die ihm während der Abfahrt in Cuxhaven seine Haare geschnitten hatte. Sie zitterte ein wenig und Dirk sah Tränen auf ihrer niedlichen Wange, als sie leise schluchzte: "Diese verdammte
Reise! Erst die schreckliche Überfahrt und da draußen das Flugzeug sieht auch schon wieder so gefährlich aus!" Dirk wußte nicht, welches Flugzeug sie meinte, denn auf dem Rollfeld standen einige Maschinen herum. "Keine Sorge", versuchte er sie zu trösten, doch auch ihn quälte die Angst bei diesem Sauwetter, "es wird schon gut gehen", sagte er. "Fliegen Sie denn zum ersten Mal?" - "Ja", nickte sie kleinlaut, "ich wollte, ich wäre diesmal gar nicht mehr mitgefahren.
Aber es war zu spät. Bei mir geht seit einer Woche nämlich alles schief." Bevor Dirk weiter fragen konnte, war sie wieder in der Menge der Wartenden untergetaucht Plötzlich wurden die "Schiffbrüchigen" der "Hanseatic" aufgerufen. Jeder stürmte zu seinem Handgepäck, das irgendwo auf den Bänken lag. Dann schob sich Dirk in der langen Schlange mit gemischten Gefühlen auf das Vorfeld und sah erst jetzt erschrocken, um welch ein Flugzeug es sich handelte. Eine alte, eigentlich längst ausgemusterte
Propellermaschine, eine DC 7 - C der "Südflug" stand bereit und die ersten Kollegen waren schon oben auf der Treppe. Er spürte eine ungeheure Angst und ein innerliches Zittern, das er nicht in den Griff bekam. Dann war auch er oben angekommen und bestieg den Flieger. Ergeben setzte er sich links in einen der Sessel, schloss seine Augen und betete.
Endlich rollte die Maschine an den Start. Erst jetzt beugte Dirk sich nach links, um einen letzten verängstigten Blick nach draußen zu riskieren und war überrascht, als er neben sich diese hübsche Friseuse erblickte. "Ach, wie nett", lächelte sie ihn an, legte zutraulich ihren Kopf an seine Schulter und griff nach seiner linken Hand. Das tat gut, denn ein Nachtflug bei Sturm und Regen über den tosenden Atlantikin in einer solchen alten Maschine nach einer Schiffskatastrophe verbindet ungemein. Bald
wurden sie beim Start in ihre Sitze gedrückt und dann schraubte sich die DC 7-C gemächlich in den regnerischen Nachthimmel Amerikas.
Langsam entspannte man sich nach den Schrecken dieses langen Tages. "Struppi" suchte die Geborgenheit und hatte es sich bequem gemacht. "So fühle ich mich richtig wohl", hatte sie lächelnd geschnurrt. - "Wunderbar", hatte sich Dirk gefreut. - "Ich habe dich nicht oft an Bord gesehen", fuhr sie fort, "aber könnte es sein, dass ich dir neulich die Haare geschnitten habe?" - "Du hast ein gutes Gedächtnis! Und nie zuvor habe ich einen Haarschnitt so genossen",
schmeichelte er ihr charmant und freute sich über ihr vertrauliche "Du" in der Anrede. Wieso zum Teufel, dachte er, musste es für diese wunderbare Vertraulichkeit erst zu einer Schiffskatastrophe kommen. Doch beide waren nach diesem aufregenden Tag übermüdet und eng aneinander gekuschelt schliefen sie bald ein.
XXX
Die Sonne schien zum Fenster hinein und es mussten einige Stunden vergangen sein. Ein Blick hinaus über die Tragfläche ließ Wolken und Meer erkennen. Der Flug war ruhig und "Struppi" hatte Dirk beim Erwachen liebevoll angelächelt. Drei Viertel der Strecke lagen hinter ihnen. "Na, gut geschlafen," fragte sie. - "Ja, aber nicht ausgeschlafen", antwortete Dirk. Rasch ergriff er ihre Hand und sie erwiderte seinen Druck. Plötzlich deutete sie aus dem Fenster und sagte: "Sieh mal,
dort ist Land!" Sie überflogen Südengland. Dann hielten sie sich bei den Händen und schwiegen. Es blieb ihnen wenig Zeit, denn eine gute Stunde später setzte die Maschine bei herrlichstem Wetter auf dem Flughafen in Hamburg-Fuhlsbüttel auf.
Die meisten Kollegen riefen schon am Airport "tschüß", und nur ein kleiner Rest der Besatzung fuhr weiter zum Hauptbahnhof. Jeder musste in eine andere Richtung und die kleine Friseuse wohnte in Emden. Ihr Zug stand schon zur Abfahrt bereit. Hastig umarmte sie Dirk, dann war sie verschwunden. Zum Austausch der Adressen, das stellte Dirk hinterher betroffen fest, war es bei dieser Hektik gar nicht mehr gekommen.
Dirk war schnell zurück in Braunschweig und sehnte sich nach seiner kleinen Friseuse. Er hatte sich in sie verliebt, aber kannte weder Namen noch Adresse. Nur, dass man sie "Struppi" gerufen hatte wusste er. Doch mit diesem Spitznamen allein konnte die Reederei, an die sich Dirk hilfesuchend gewandt hatte, nichts anfangen.
XXX
Mehrere Hochseeschlepper hatten die ausgebrannte "Hanseatic" Wochen später über den Atlantik zurückgebracht. Sie lag jetzt in Altenwerder auf dem Schrottplatz und war für mehrere Tage zur Besichtigung freigegeben. Eine Völkerwanderung hatte eingesetzt zum letzten Liegeplatz dieses einst so stolzen Schiffes. Die beiden berühmten Schornsteine mit den weißen Malteserkreuzen reckten sich noch immer trotzig in die Höhe, als könnten sie dadurch das unrühmliche Ende des Schiffes verhindern. Tausende von Schaulustigen
mit einem Billigticket vom Schrottplatz in der Hand, wälzten sich wie Würmer treppauf, treppab durch den gesamten Schiffskörper. Von den Planken des Wintergartens, der sich an back - und steuerbord entlang zog bis hinein in die einst prachtvollen Räume und Säle im Inneren der "Hanseatic" quoll die zähe Masse der Besucher.
Auch Dirk war aus der Provinz nach Hamburg gekommen, um Abschied zu nehmen. Schließlich zählte er sich jetzt stolz zur ehemaligen Crew. An Bord aber tobte das Chaos. Dirk konnte kaum einen Fuß vor den anderen setzen und die drängenden Menschenmassen zogen ihn langsam mit sich fort. So erreichte er endlich den Frisiersalon, wo ihm Merve damals die Haare gestylt hatte! Sein Herz schlug heftig, denn er malte sich nun aus, wie schön es jetzt an Bord mit "Struppi" noch hätte werden können, wenn nicht der
Teufel.......
XXX
Trotz der dicken Menschentraube, die Dirk umgab, hatte Merve ihn entdeckt. "Hallöchen", rief sie aufgeregt von weitem, aber .... er reagierte nicht. "Na, so ein Zufall", rief sie noch lauter, doch Dirk schien es nicht zu hören. "Dummkopf", schrie sie jetzt erbost, "hörst und siehst du denn überhaupt nichts?" Wohl mehr aus Reflex drehte Dirk jetzt seinen Kopf zur Seite und sah in ihr freudestrahlendes Gesicht. Sein Herz setzte aus. "Ist es denn zu fassen - "Struppi!
Hast du etwa hier nach mir gesucht?" - Erst jetzt schien er zu begreifen, daß Merve kein Traumgebilde war. "Was möchtest du denn jetzt hören", rief sie zurück und streckte ihm mühsam ihre Hände entgegen, die Dirk sofort ergriff, als habe er Angst, sie wieder zu verlieren. Langsam wühlten sie sich durch die Massen zueinander. "Ja wirklich", sagte sie und es klang glücklich, "ich hoffte, dich hier zu finden, denn das war ja die einzige Möglichkeit. Ich wusste ja nicht mal Deinen Zunamen,
um dich in Braunschweig suchen zu können." - Dirk nickte stumm und war noch immer fassungslos. Die vielen Menschen drückten die beiden immer wieder auseinander und Dirk hielt "Struppi" zeitweise nur noch an den Fingerspitzen. Dann aber hatten sie es geschafft und hielten sich fest umschlungen. Immer wieder rieben sie ihre Köpfe zärtlich aneinander und Dirk sagte spontan: "In drei Teufels Namen - - - "Struppi" - - - ich liebe Dich!" Merve sah ihn glücklich an, streichelte seinen
Kopf und nickte: "Ich dich auch!" Es folgte der erste lange Kuss mitten zwischen den ständig nachdrängenden Menschen, die nicht ahnten, dass es bei diesen beiden Liebenden ja wirklich mit dem Teufel zugegangen war.
Eingereicht am 17. Oktober 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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