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Zartbitter

© Claudia Seip


Wir lagen eng aneinander geschmiegt im Bett, die fahle Herbstsonne schien durch die nicht ganz geschlossenen Vorhänge und zeichnete abstrakte Muster auf die zerwühlten Laken. Er tastete nach meiner Hand, unsere Finger umschlossen sich und er flüsterte, dass er mich nicht mehr lieben würde. Die warmen, einzigartigen, magischen Gefühle, die er für mich hatte, waren wie weggeblasen. Einfach weg.
Ich erstarre an diesem Morgen. Innerlich, wie äußerlich. Ich glaube es nicht, nicht eine einzige Sekunde. Ein Gefühl, als ob es mich innerlich in Stücke reißt. Brutal, unglaublich schmerzhaft. Eine Faust im Magen, ein Würgen in der Kehle, das es unmöglich macht zu sprechen, zu essen. Eiseskälte, die mich urplötzlich packt und es mir schwer macht zu atmen. Ich möchte mich krümmen vor Schmerzen, weil mir alles weh tut. Ich lebe nicht, aber ich funktioniere. Bilder fliegen an mir vorbei, ich möchte es nicht, aber sie tauchen einfach auf. Endlos lange Spaziergänge mit guten Gesprächen, den Wind im Haar und die Sonne auf der Haut. Die Flasche Wein auf der alten Bank im Wald. Der klare Sternenhimmel einer Sommernacht. Heimliche Küsse, zärtliche Berührungen, die mich innerlich so sehr wärmten. Ein Wechsel der Jahreszeiten und jede birgt unglaublich schöne Erinnerungen in sich, die einfach nicht an Wert verlieren sollen.
Wir waren doch wie alte Seelen, die sich seit Ewigkeiten gesucht hatten und sich nach Harmonie, Wärme und Geborgenheit sehnten. Die Welt wollten wir draußen lassen, uns ein Refugium bauen, nur für uns. Ich hatte alles hinter mich gelassen, so vieles aufgegeben ohne einen Blick zurück zu werfen - und ich hatte es ohne den Hauch eines Zweifels getan, ohne Angst, war voller Zuversicht in dieses neue Leben gegangen. Und jetzt war alles vorbei? Ich sollte versagt haben, wieder einmal? Ich fühle mich so schrecklich verloren.
Ich versuche nicht zu denken, nicht an gestern und nicht an morgen. Denken macht alles noch viel schlimmer. Ich lebe jeden Tag, nehme ihn so an, wie er kommt und lasse ihn am Abend nicht Revue passieren. Ich genieße noch immer seine Nähe, die Wärme seiner Umarmung. Wir geben uns noch immer Geborgenheit und eine Zuflucht vor der Welt da draußen. Wenn sich unsere Körper vereinen, kann ich vergessen, schweben, dann fühle ich dieses Glück, das ich brauche, um zu wissen, dass ich lebe. Wir reden und lachen zusammen, da ist noch immer diese tiefe Verbundenheit, eine Ebene der höchsten Vertrautheit und Nähe, die manche Menschen nicht einmal streifen, dieses zartbittere Gefühl, das einem auch nach Jahren noch mit Schmerz und Dankbarkeit erfüllt.
Müsste ich ihn nicht hassen für all seine geflüsterten Worte, die ständig in meinem Innersten nachklingen, mich verfolgen und nicht schlafen lassen? Oh, manchmal möchte ich ihn hassen, ihn schlagen, ihm Schmerzen zufügen und all meine Verzweiflung hinausschreien! Ich möchte ihn packen und schütteln, damit er endlich wieder zur Vernunft kommt! Aber ich kann ihn nicht hassen, weil ich ihn doch liebe. Ich kann ihm nicht einmal böse sein, weil ich auch Dankbarkeit fühle und Sorge. Ich will wissen, wie es ihm geht und dass er mich anruft, wenn er sich schlecht fühlt. Ich will weiterhin mit ihm lange Spaziergänge unternehmen, über alles reden und seine Hand greifen, ohne dass er zurückschreckt. Ich will mich anlehnen an ihn, wenn ich einsam bin und seinen Kopf an meiner Schulter spüren. Will ihn ansehen und in seinem Blick die gleiche Verbundenheit finden, die auch ich für ihn fühle. Beste Freunde, die alles von einander wissen, die dunkelsten Geheimnisse, die tiefsten Sorgen. Geliebte bleiben, deren Körper und Seelen Trost beieinander finden, auch wenn es nur für eine Nacht ist. Kann ich so leben oder wird mich dieses zartbittere Gefühl von Nähe und Verlust verzweifeln lassen? Aber in meinem tiefsten Innern weiß ich, dass wir etwas Besonderes, Einzigartiges gefunden haben und egal, was passiert: ich werde hier stehen. Ich werde hier stehen und meine Tür für ihn öffnen und ihm zuhören, ihn umarmen, wann immer er es braucht, ihn nachts wärmen und seinen Schlaf bewachen und sollte er jemals die Gewissheit erfahren, dass ihn niemand mehr lieben wird als ich, dann war es das alles wert gewesen.



Eingereicht am 17. November 2006 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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