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Dez
01
Brief an einen Freund
© Andreas Oehring

Für Sonnenschein

Hallo Frank,

du wirst dich sicher wundern von mir heute Post vorzufinden, nachdem du so lange nichts von mir gehört hast.

Wir hatten ja kurz nach meiner Operation im Februar miteinander telefoniert, mittlerweile ist auch diesbezüglich alles heil und mir geht es wieder recht gut, so wie hoffentlich dir auch?

Unser Vorhaben letztes Jahr uns bald wieder zu sehen hat sich also doch nicht so einfach realisieren lassen und der berufliche Stress und meine gesundheitlichen Probleme waren nicht der alleinige Grund. Vielmehr drängt es mich dir, meinem alten Freund, eine Merkwürdigkeit der vergangenen Monate mitzuteilen, einerseits um mein Wegbleiben zu erklären, zum anderen aber um mich einmal auch jemanden mitzuteilen

Wir alle sind ja so sehr vom Alltag gefangen und von unseren Verpflichtungen, dass wir nicht damit rechnen in der Mitte unserer Jahre, dass das Schicksal etwas aufregend Neues, etwas zutiefst Erschütterndes für uns bereithält. Viel zu gleich laufen die Tage normalerweise und die Überraschungen sind meist eher störend und oft ungewollt.

Kommt dann doch etwas Ungewöhnliches, dann ist es meist ohne jede Vorbereitung da und wir sind oft überfordert.

So hat auch mir das Leben im letzten halben Jahr einen solchen Streich gespielt, der mir, jetzt da ich dir schreibe, manchmal rückblickend etwas unwirklich erscheint.

Dabei ist mir klar, dass das Geschehene für die meisten Menschen nichts Ungewöhnliches und schon gar nichts Besonderes darstellt. Leute.

Wenn du alles gelesen hast wirst du dich vielleicht fragen, was hieran erzählenswert war?

Kein Shakespearesches Drama, keine Änderung des Weltenlaufes habe ich dir zu berichten.

Nur für mich selbst waren diese Tage bedeutsam, für mich waren sie sogar dramatisch und haben mich wirklich an manche meiner Grenzen geführt, auch wenn dies kaum ein Mensch meiner Umgebung bemerkt hat.

Lange habe ich mit mir gerungen, ob ich das Erlebte in mir auf ewig vergrabe. Da wir uns ja nun seit 20 Jahren kennen und ich ja auch mitunter für deine Sorgen ein offenes Ohr hatte, denke ich, dass es nichts schadet sich etwas das Herz zu erleichtern.

Deswegen mache ich dich jetzt zum alleinigen Mitwisser.

Doch genug der Vorrede. Ich hoffe du hast etwas Zeit und ich will dir in aller Ausführlichkeit die Ereignisse dieser 6 Tage, die mich so berührt haben, erzählen. Dazu will ich dir chronologisch berichten und mich bemühen bei den Fakten zu bleiben, wenngleich ich natürlich diese um meine Interpretation ergänze. Ich hoffe am Ende des Briefes auf dein Verständnis für mein längeres Schweigen.

13. Januar

Das alljährliche Wochenende in der kleinen Stadt in Thüringen stand also diesen Samstag auf dem Programm. Wie immer fand ein großer Kongress am Anfang eines jeden Jahres dort statt.

Eigentlich hatte ich keine Lust, aber die kleine Stadt, dass war doch meistens schön und die Zeit für Begegnungen mit den Freunden, die gab es ja auch nicht mehr so oft im Alltag. Und so machte ich mich am Samstag um 7. 30 mit meinem guten Freund Peter ganz früh auf den Weg dorthin. Klar würde es schön sein, war es das doch immer! Egal wie spröde der Tag auch anfangs immer war. Aber so recht fehlte mir diesmal noch das Vertrauen in den bevorstehenden Tag. Die Woche in der Praxis war wieder zu nervig und voller Ärger gewesen. Ich habe dir ja schon oft über alles erzählt, du kennst also den tagtäglichen Ärger, der so sehr dem deinen gleicht. Vor 6 Jahren klang alles so gut, Einstieg in eine Praxis als Teilhaber und das mit Mitte Dreißig. Die Neider waren schon damals zahlreich und sind es auch heute noch. Kaum einer der weiß, wie wenig erfüllend der Alltag in so einer Praxis ist. Gewiss, gemütlich ist es derzeit in Deutschland im Gesundheitswesen nirgendwo und was sollte ich auch tun, schließlich laufen die Kredite und ich verdiene ja noch immer recht gut. So hieß es weiter die Hatz durch den Alltag und den Streit ums liebe Geld, die Reglementierungen und die Bürokratie zu ertragen.

Fluchtpunkte, die gab es fast nicht aber die kleine Stadt war immer einer gewesen. Das Wochenende kam wirklich zum richtigen Zeitpunkt.

Um 7. 40 kam Peter vorgefahren, wie immer zu spät. "Den änderst du auch nicht mehr." sagte Katharina.

Peter, dass war und ist seit über einem Jahrzehnt unser bester Freund, über 50, schütteres Haar, unverheiratet und kinderlos. Manchmal schläft er tagelang in unserem Haus, wir nennen ihn scherzhaft unser drittes Kind. Katharina sagte vor Jahren, wenn wir uns mal scheiden lassen, dann gibt es nur ein Problem: "Wer bekommt den Peter?"

Er ist ja auch immer angenehm als Gast und Freund, wenngleich er als gealterter Single durchaus seine Macken hat. So ist er chronisch unglücklich und was seine und die Zukunft der Welt betrifft chronisch pessimistisch.

Ich stieg zu Peter in den BMW: "Sei gegrüßt, dann lass uns mal losfahren!"

Nach 5 Minuten waren wir bei unserem Lieblingsthema: Die Schlechtigkeit der Welt im Großem und Kleinem. Es war auch ihm letzte Woche schlecht ergangen, das Mobbing seiner Praxispartner war eher stärker geworden und so war auch er eigentlich froh mal 2 Tage wegzukommen. Also Gang rein und weg aus der Provinzstadt mit ihrem Mief und ihrer Verlogenheit.

Schon während der Fahrt war die Vorfreude auf die kleine Stadt da, einigen Stunden völlig ohne Zwänge, abends zusammensitzen, immer in größerer Runde, die sich stets zufällig ergab, gut essen und trinken und Abstand zur Heimatstadt mit ihren Problemen bekommen.

Dann war ja da im letzten Jahr etwas Besonderes gewesen.

Denn vor einem Jahr da hatten wir drei von Peters Kolleginnen aus dem Krankenhaus getroffen und herausgekommen war einer der schönsten Tage des vergangenen Jahres, schnell waren wir uns damals einig geworden und alle 5 zusammen ins Theater gegangen, kein richtiges Theater, nur ein 3 Personen Stück, war auch etwas schlüpfrig gewesen, trotzdem hatte es aber viel Spaß gemacht.

Besonders Karina, die ich zwar schon viel Jahre kannte war lustig und unterhaltsam gewesen. Es war eine Ausstrahlung und Fröhlichkeit mit ihr, die ich so nicht erahnt hatte. Wir waren dann noch essen und ich hatte zum Abschied gesagt: "Vielen Dank für den schönen Abend und betrachten sie sich nächstes Jahr zum Essen eingeladen!"

Nun war es ein Jahr später und man hatte sich nicht gesehen und wusste auch sonst nichts voneinander. Klar hatte ich gehofft ihr zufällig zu begegnen aber die Hoffnung hatte sich nicht erfüllt und es war auch in Ordnung so.

Jetzt war die Freude oder fast schon die Gewissheit da, sie zu sehen und vielleicht mit ihr und ihren Freundinnen den Abend zu verbringen. Mehr verbot sich, denn man war ja glücklich verheiratet.

Wir kamen etwas zu spät zur Tagung an, Peter war sich treu geblieben.

Doch der erste Rundblick im Saal wurde zur Enttäuschung, zwei von den drei Erwarteten waren da, doch Karina fehlte. "Ist auch gut so!", dachte ich nach einer Phase der Enttäuschung, wird auch schön mit den anderen zweien und so ist der Abend ohne Risiken.

Zur Mittagspause verließen Peter u. ich das Tagungsgebäude und gingen nicht weit in einem Restaurant etwas essen. Das Essen war sehr gut und wir kokettierten mit zwei hübschen Kellnerinnen.

"Und nächstes Jahr kommen sie wieder hier essen?"

"Klar, wir kommen auf jeden Fall!"

"21 Euro, geht das zusammen?"

"Geht zusammen!"

"Bis nächstes Jahr ."

Beim Rausgehen war die Welt etwas besser, vielleicht auch Effekt der zwei Biere.

Ein anderer Effekt war unsere Müdigkeit, doch während ich dieser nachgeben wollte, war Peter für einen kurzen Spaziergang.

Also gingen wir getrennte Wege, ich zurück in die Pension und Peter in den Park.

Ich schlief sofort ein, einen tiefen, traumlosen Schlaf und war als er am späten Nachmittag in der Pension zurück war unendlich erholt.

Ich erinnere mich noch genau an das seltsame Gefühl als Peter kam und sprach, er hätte mit seinen drei Kolleginnen aus dem Krankenhaus was für heute Abend klargemacht.

Gab es in dieser Stunde damals nicht den festen Vorsatz, es wird ein schöner Abend, aber es passiert nichts, was ich zu Hause nicht erzählen darf?

War zu diesem Zeitpunkt aber nicht erstmalig wieder das lang vermisste Kribbeln im Bauch zu spüren? Das Kribbeln , das man so sehr gemocht hatte, was aber irgendwohin entschwunden war!

Wie damals als Jugendlicher oder als junger Mann? Du wirst das kennen, wenn die Phantasie einem Streiche spielt.

Das Zusammentreffen war in einem kleinen Bistro vereinbart. Peter war mit dem Anziehen spät dran, wie auch anders und dann hatte er ihre Handynummer verloren. "Na klasse, so eine Pfeife", dachte ich. Das Januarwetter war schlecht, es nieselte und der Weg zum Bistro war nicht besonders angenehm. Wir sprachen über unsere üblichen Themen, ich war mit den Gedanken aber ganz wo anders.

Dann waren wir da. Im Bistro sah ich sie dann alle drei und ich war bemüht ihnen allen drei gleich zuvorkommend zu erscheinen und doch galten meine Blicke nur ihr. Mein Gott sah sie gut aus, wieso hatte ich das all die Jahre nicht bemerkt? Blonde Haare, schulterlang , wie aus einem deutschen Volksmärchen. Und ihr herrliches Lachen das ich ein Jahr nicht hatte. Genau wie Katharina war sie 34 Jahre alt.

Das Kribbeln nahm an Intensität zu und meine Zuvorkommenheit wurde etwas einseitig.

Ich war hingerissen. Meine Fähigkeit sich einem anderen Menschen zu öffnen war wieder da. So wie als Jugendlicher oder als junger Mann, der noch nicht das Leben und die Menschen kennengelernt hatte. Wie einfach war es doch noch, mich so zu begeistern. Weg alle Skepsis gegenüber den Menschen, ganz plötzlich weg. Ich hatte schon so viel hinzugewonnen an diesem regnerischen Januarsamstag, schon jetzt. Dabei, seien wir ehrlich, Karina hatte dies zwar bei mir erreicht, doch was hatte sie dafür getan? Nichts, im Gegensatz zu Katharina, die mir seit Jahren ein treuer Wegbegleiter war!

Wir gingen wie letztes Jahr in das kleine Theater. Gegeben wurde wie letztes Jahr ein Stück, was die Beziehung der Geschlechter parodierte, ganz witzig und hintersinnig.

Der Zufall oder Karina wollten, dass der Platz neben ihr während der Vorstellung frei war, bis ich kam. Nach einiger Zeit tuschelten wir miteinander und ließen uns etwas über die Handlung aus.

Als die Vorstellung zu Ende war, trafen wir uns im Foyer und planten, was wir noch unternehmen wollten, denn eins war klar von den 5 Teilnehmern der Runde wollte jetzt keiner ins Bett. Die Atmosphäre war ungeheuer lustig und der Hunger schon wieder da, was lag da näher als in der kleinen Stadt mit ihren bezaubernden Restaurants, noch einmal einzukehren. Die Wahl fiel auf ein uriges kleines Restaurant mit deutscher und internationaler Küche am Rand zum Stadtzentrum. Wir bekamen die letzten Plätze.

Ich weiß heute nicht mehr, was wir alle bestellten, aber die Speisen waren doch sehr gut und es begann in lockeres Gespräch nach allen Seiten und mit allen Themen, ganz besonders aber über Arbeit und Familie.

Wie glichen sich doch jetzt am Abend die Auffassungen, die Lebensziele und auch die Sorgen des Alltags. Auch Karina sprach von ihrer Familie, ihrem Mann und dass sie sich Sorgen um die Schule bei ihrem Sohn machte, weil dessen Lehrerin eine blöde Kuh sei. Dabei ginge es doch dieses Jahr um die Versetzung aufs Gymnasium! Ich stimmte ihr zu und erzählte von meiner Großen, die im selben Alter ist.

Ach, kann man herrlich unbemerkt dem anderen Geschlecht auf die Pelle rücken in dem man von seinen Kindern berichtet.

Aber wir näherten uns zu meinem Erstaunen von zwei Seiten einander an, das wunderbare alte Spiel hatte begonnen.

Noch waren wir beim formellen -SIE-, was alles aber nicht weniger reizvoll machte. Bin ich ehrlich so waren in diesem Moment Katharina und die Kinder vergessen, aber auch alle Sorgen des Lebens.

Leider ging die Zeit schnell voran und ich fürchtete, dass der Abend mit der Restaurantschließung zu Ende sei. Wieder ein Jahr warten! Irgendwas musste noch passieren!

Ich weiß nicht mehr ob Karina oder ich den Vorschlag machten in eine Bar zu gehen, so beiläufig nur aber doch ganz geschickt brachten wir zwei beiden die Anderen auf Kurs, was gar nicht so einfach war, denn mittlerweile war es nach Mitternacht und ihr Enthusiasmus ließ doch merklich nach.

Als wir in den gemütlichen Barsesseln des Hotels saßen wurde dann wieder viel gelacht und jeder hatte eine lustige Geschichte.

Wir bestellten alle einen Cocktail, Karina und ich einen Mojito.

Anschließend war dann aber unsere lustige Runde nicht mehr zu halten. Bis auf uns zwei wollten alle ins Bett, Peter drängelte noch kurz, bis er sich wie immer für den einfacheren Weg entschied und vorausging.

Wir sagten zu den Anderen: " Wir trinken schnell noch aus und kommen dann nach."

Jetzt war, wie ich fand, der Zeitpunkt das formelle SIE über Bord zu werfen. Karina wollte unbedingt sich an der Rechnung beteiligen, ich wehrte mich zwar, war aber in Wirklichkeit mittlerweile doch ziemlich abgebrannt.

Vor dem Hotel nahm ich sie endlich in die Arme und küsste sie. Sie kam mir entgegen und ich streichelte ihr Gesicht. Erst jetzt fiel mir auf das es voller Sommersprossen war.

Was für eine schöne Frau ! Wir gingen in der Nacht ein paar Runden und wurden immer wieder unterbrochen von der Leidenschaft füreinander.

"Wieso habe ich dich bezauberndes Wesen all die Jahre nicht wirklich wahrgenommen? Gewiss du warst mir als attraktive Frau schon immer aufgefallen, aber mehr?

Eigentlich nicht !"

Karina sprach daraufhin: "Mir ging es genauso, aber du erinnerst dich doch noch an letztes Jahr, an diesem Abend habe ich begonnen mich für dich zu interessieren. Warst du eigentlich sehr enttäuscht, dass ich heute Morgen noch nicht da war?"

"Massiv enttäuscht!- Das hat sich aber im Moment wieder etwas gegeben."

Lange ging das Gespräch hin und her, auch viel über unsere Arbeit, die ja- du wirst es wissen -sich ja in den letzten Jahren überall nicht verbessert hat.

Wir sprachen über die fehlende Moral im Gesundheitswesen und das so viele Kollegen ohne Rückrat nur ihre Karriere wollten.

Plötzlich sagte sie "Es darf nicht sein mit uns! Du hast eine intakte Ehe und ich auch und ich kenne und schätze Katharina doch seit so vielen Jahren!"

Ich antwortete: "Du hast Recht und wenn wir jetzt weiter machen wird alles, was uns lieb und teuer ist in Scherben zerfallen.",

Ja, sie hatte Recht, das alles durfte nicht sein, aber ich wollte das jetzt nicht hören. Ein harmloser Flirt war das mit uns doch nur, im Augenblick wollte ich leben. Morgen, O.K. morgen bin ich bereit in den Schoß der Familie zurückzukehren. Was spricht jetzt gegen ein paar schöne Stunden von denen Katharina nie etwas erfahren wird. Heute bin ich mal dran alles vom Leben zu bekommen.

Wir gingen noch eine Weile bis wir vor ihrem Hotel waren, noch einmal berührten wir uns mit ganzer Leidenschaft. Ich spürte ihr Erschauern! Wie war das möglich? Wenige Stunden waren nötig um uns so aus dem Gleichgewicht zu bringen!

Dann noch ein letzter Gruß und dann verschwand sie hinter der Hoteltür.

Ich ging im Regen langsam nach Hause. Es war jetzt 3. 30 Uhr und ich war in Gedanken.

In der Pension schliefen alle, auch Peter, er würde nicht wissen wann ich nach Hause kam.

Ich schlief in den frühen Morgenstunden ein.

14.Januar

Die Nacht war unruhig, das schlechte Gewissen war wach geblieben und ließ mich nicht zu Ruhe kommen. "Arme Katharina, arme Kinder - bist du jetzt auch einer von diesen Verrätern? Passt ja gut in diese Zeit. Und wenn du schon deine Midlife-Crisis auslebst, dann lass wenigstens so ein zauberhaftes Geschöpf wie Karina außen vor!"

Von Peter kamen weniger Kommentare als gedacht, wahrscheinlich hatte er wirklich nicht mitbekommen, wann ich wieder zurück war. Ich stellte mich also dumm und ließ ihn damit dumm.

Beim Frühstück gelang es mir dann besser als gedacht über Belanglosigkeiten zu plaudern.

Doch bald würde ich SIE wieder sehen.

Das Zusammentreffen war dann eigenartig und wir konnten uns kaum in die Augen sehen, auch war die Aufmerksamkeit der anderen heute mehr auf uns gerichtet, dass war nicht zu übersehen.

Noch ein Satz, noch eine Berührung bevor wir wieder jeder in unser Leben gingen.

Ihre beste Freundin schien etwas zu wissen. Dann war kurz vor Mittag noch einmal die Gelegenheit. Wir hatten mitten im Trubel einen Moment, in dem wir uns nicht beobachtet fühlten.

Ganz flüchtig und ganz leicht berührten sich unsere Hände, unsere Hände an denen wir den Ehering trugen, wie zum Schutz voreinander, wie zum Schutz vor unseren Gefühlen.

Und doch war es unheimlich intensiv, diese Berührung.

Was gesprochen wurde, daran erinnere ich mich heute nicht mehr, nur an diese zärtliche Berührung der zwei Hände mitten im Menschengewühl.

Was sollte man auch sagen? Hoffnung gab es keine, nur die Hände hatten das wohl noch nicht ganz kapiert.

Ich wollte mittags wieder zu Hause sein, zurück in meinem Leben mit all dem Vertrauten und Sicherem. Hier war doch eigentlich alles was mir etwas bedeutete!

Jetzt schnell das Erlebte vergessen! Aber das ging nicht so einfach. Bei der Rückfahrt sprachen Peter und ich nur wenig.

Zu Hause kamen Katharina und meine zwei Kinder gleich angerannt und fielen mir in die Arme. Ich hatte einen Kloß im Hals.

Peter trank dann noch bei uns einen Kaffee und verschwand dann.

Ich betrachtete Katharina lange und stellte dann Vergleiche mit Karina an.

Bis auf ihr Äußeres war ihnen so viel gemeinsam, vor allem das Jedermann sie zu mögen schien.

Wir hatten uns vor 15 Jahren kennen gelernt und sind seit über zehn Jahren verheiratet.

Während es am Anfang für mich nur eine Beziehung war, deren weiterer Verlauf durchaus offen war, entwickelte sich im Laufe unseres ersten Jahres eine ehrliche Liebe zueinander. Das lag vor allem an ihrer unglaublichen Spontanität und Ausstrahlung. Du kennst sie ja und ich weiß, dass sie dir ja auch immer gefallen hat und ihre Attraktivität im äußeren und inneren Dingen ist ja nicht zu übersehen. Aber in 15 Jahren lebt man nicht nur von derlei Dingen, man muss sich ja auch stets wieder neu entdecken und erobern. Was zugegebenermaßen wie eine Floskel klingt ist uns lange immer sehr gut gelungen.

Beide waren wir neugierig und aufgeschlossen gegenüber Allem und Jedem und dabei mit dem Temperament und dem Tatendrang der Jugend ausgestattet. Alles war erreichbar und Probleme immer lösbar.

Allerdings waren uns von Anfang auch unsere Unterschiede bewusst, die weniger in Sachfragen als in der Verschiedenheit der Temperamente zum Ausdruck kamen.

Gemeinsam wollten wir die Welt entdecken und gemeinsam stellten wir uns deren Schwierigkeiten, ja bewältigten sie scheinbar mühelos.

Wir waren sicher mancherlei Vorbild, ohne dem allzu viel Bedeutung beizumessen.

Der Neid so mancher Zeitgenossen war uns sicher, jedoch berührte uns das kaum.

Es stellte sich scheinbar mühelos der Erfolg ein und das keineswegs nur in materieller Hinsicht, sondern auch in unserem Zusammenleben.

Jeder wusste was der andere wollte und oftmals waren meine Wünsche von Katharina erfüllt, bevor ich sie zu Ende dachte. Wir behandelten einander mit der größten Zuvorkommenheit und alles lief wie am Schnürchen und so heiraten wir bald und planmäßig stellt sich unsere Große ein. Die perfekte Harmonie konnte nur noch durch unser kleines Häuschen ergänzt werden. Alles wie im Bilderbuch und ich denke an diese schönen Jahre mit viel Freude und Dankbarkeit zurück. Doch wenn ich mich recht besinne, so zogen bereits in diesen Jahren mitunter erste Gewitterwolken auf. Das Haus war in finanzieller Hinsicht doch eine große Bürde und die Verantwortung füreinander war nicht mehr nur Lust und beruhte nicht allein auf Freiwilligkeit sondern ward immer mehr zur Pflicht. Trotzdem nahmen wir alle diese Schwierigkeiten eher sportlich und lösten sie. Das war auch die Zeit in der in der Klinik nicht mehr viel zusammen lief und ich den Wunsch verspürte mein berufliches Glück an anderer Stelle zu versuchen Hier entsprang auch mit Blick auf die Zukunft unser größter Dissens, da meine Frau unter keinen Umständen bereit war unsere Heimat aufzugeben. Es ist wohl immer so, dass zum Gelingen des gemeinsamen Zusammenlebens jeder etwas hergeben muss, ich gab jedoch aus heutiger Sicht zuviel.

Also ich hörte auf zu fordern und begann zu meckern, wurde unzufrieden und machte für meinen beruflichen Misserfolg Katharina verantwortlich.

Aber letztlich war die Situation nicht lösbar, wir waren bald vier, mein Sohn Hannes kam vier Jahre nach meiner Tochter zu unserer Familie hinzu.

Wir blieben also in unserer Stadt und jeder versuchte sich mit den Gegebenheiten zu engagieren. Dabei war meine Frau das unumschränkte Organisationstalent, mit all ihren Fähigkeiten und viel harter Arbeit tat sie für alle drei Familienmitglieder alles und für sich mit unter zu wenig. Ich selbst verdiente genug, so dass für unseren materiellen Wohlstand gesorgt war.

Also wie die meisten Paare im mittleren Leben hatten wir also nichts weiter als die übrigen Sorgen und Probleme.

Jetzt tritt also wie so oft ein anderer Mensch die Bühne und der erobert dich in wenigen Augenblicken? Und all das Gemeinsame ist dann nichts mehr? Konnte das überhaupt gehen? Es ist das alte Geheimnis der Liebe, dass sie plötzlich da ist und alles Andere noch so Wichtige überrennt. Man kann es herunterreden und Flucht aus dem Alltag nennen, man kann es kritisieren, man kann es verdammen und doch war das Gefühl in mir für diese andere Frau an diesem Tag ganz und gar ehrlich.

Bei klarem Verstand war mir das Unsinnige meines Handelns völlig bewusst. Also musste ich mich gegen meine Empfindungen zur Wehr setzten. Ich ging so häufig wie nur möglich an diesem Tag in die Kinderzimmer und sah mir meine beiden Sprösslinge an. Hier ist deine Aufgabe!" Oft genug hatte ich mich ja darauf eingeschworen als Motivation für den Tag.

Nun ist jeder Vater bei der Beurteilung seiner Kinder niemals objektiv aber ich glaube sagen zu können, beide sind weit vor ihren Alterskollegen, besonders was ihre Auffassungsgabe und natürliche Intelligenz betraf. Auch sind es beide sehr schöne Kinder, auf die ich, wie du ja weißt, mit Recht ziemlich stolz bin.

Hatte nicht meine Frau für all dies die Grundlage gelegt? Sie war doch das Herz und ich das Hirn der Familie! Also : "Never change a winning team!"

Also was wollte ich denn eigentlich?

So kehrte ich in Gedanken zu Katharina und zurück, die ja alles hatte was einen Menschen interessant und eine Frau begehrenswert macht und ich wandte mich ihr an diesem Abend ehrlichen Herzens und mit tiefer Zuneigung zu.

25.Januar

Mein Gott, wie war alles durcheinander gekommen, wenngleich das äußere Leben scheinbar normal weiter lief. Jedoch meine ganze Gefühlswelt, meine Sicherheiten und Wahrheiten lagen zerschmettert vor mir.

Ich hatte als erster den Kontakt gesucht, hatte mich per SMS gemeldet und war erhört wurden. Einen Widerstand von ihrer Seite hatte es nicht gegeben.

Wir hatten uns füreinander zu interessieren begonnen waren uns dabei näher gekommen.

Jeder Schritt und jedes Wort war mit Bedacht gewählt, nur nicht den Anderen verschrecken, ihn versuchen an sich zu binden. Trotzdem war immer wieder eine Art Hoffnungslosigkeit zu spüren. Man durfte nicht und doch war von beiden Seiten Verlangen und Begehren zu spüren.

Ich weiß, wie ich gehadert habe mit der Moral, die ich gestern noch vehement verteidigt hatte. "Warum ist es mir verwehrt zwei Frauen zu lieben?" Aber ist nicht genau diese Frage nicht in Wirklichkeit schon ein Weggehen von einem Menschen und ein Zuwenden zu einem Anderen?

Heute sollte ich Karina also wieder sehen, diese schöne und kluge Frau, durfte wieder ihre Heiterkeit erleben. Das schlechte Gewissen hatte ich abgewürgt.

Das Treffen war gut vorbereitet.

Ich kam nach der Arbeit zu ihr im Dienst ins Krankenhaus gefahren. Es fiel nicht weiter auf, ich hatte ja öfters dort zu tun.

Als wir uns sahen reagierten wir fast schüchtern.

Wir sprachen über eine meiner Patientinnen, die heute eins Krankenhaus eingeliefert wurden war und sie zeigte mir deren Befunde.

Aber mein Interesse galt einer anderen Frau, die ca.40 Jahre jünger war und zudem auch direkt vor mir saß.

Karina hatte uns Johannisbeerkuchen gebacken.

Nach dem Kuchen, der übrigens wirklich gut war, fragte sie mich: "Willst du mal meine Abteilung sehen? Ist gerade nichts los."

Ich wollte, gab es doch schließlich einige Ecken und Winkel, die nur spärlich beleuchtet waren. Und ich hatte mich nicht getäuscht, bereitwillig antwortete sie auf meine Küsse.

Wir sprachen über unsere Familien, über Katharina, die sie flüchtig kannte aber aus der gemeinsamen Arbeit schätzte.

Irgendwann sagte sie dann, sie wolle mich als Freund behalten. In mir stieg die Enttäuschung auf aber ich wollte mir nichts anmerken lassen. Als Freund, ach ja die alte Leier und doch sie hatte ja Recht, was dachte ich denn. Dass ich komme und alles läuft nach meinen Vorstellungen und alle verzichten jetzt auf alles? Ich wusste sehr genau, dass das nicht ging, war ich doch selber nicht bereit alles zu opfern.

Trotzdem ich war maßlos enttäuscht, Freundschaft ist viel, doch was ist sie gemessen an dem höchsten aller Gefühle?

Aber liebte ich denn? Oder war ich bloß vernarrt in ein schönes Gesicht und an den Gedanken aus dem Alltagsgrau auszubrechen? Jetzt also besser seine Gefühle nicht zeigen, der, der sich allzu sehr offenbart ist schon der Verlierer. Die alte Skepsis gegenüber den Menschen war zurück und so sprach ich:

"Das wichtigste ist erstmal das drei Kinder da sind und da müssen wir uns mit unseren Empfindungen hintenanstellen."

Jetzt spürte ich, dass sie es war, die etwas enttäuscht war. Gleich eine kleine Kurskorrektur:

"Aber ich müsste dann schon etwas in mir abwürgen, etwas sehr Schönes!" Jetzt ein Lächeln, oh wie tat das gut und dann wieder ein Kuss, ganz zärtlich ganz leicht und doch auch mit Leidenschaft. Das Anschmiegen ihres zarten Körpers nahm mir die Fähigkeit die Umwelt wahrzunehmen und gerade noch unbemerkt als der Orthopädiechef dastand ließen wir uns los. Sie musste arbeiten

Ich erfuhr in dieser Stunde einiges von ihr, von ihrer Familie, die ihr stets die Basis war, insgesamt hatte sie vier Brüder und war auf alle sehr stolz, über ihre Eltern, über ihren Sohn , den sie sehr liebte und über ihren Ehemann, mit dem sie ähnlich lange wie Katharina und ich zusammenlebte.

Ich erfuhr über ihre Probleme, die doch so sehr den unsrigen glichen. Sie hatten sich viel vorgenommen und auch viel erreicht. Ein Haus war da, sehr schön und modern und im Dorf ein echtes Schmuckstück, aber da waren auch all die finanziellen Sorgen und die auf Arbeit bei Beiden. So viel erreicht, aber jetzt fühlte sie sich immer öfter von ihren Mann dominiert und kontrolliert und so hatten auch sie sich auf ihrem Weg durchs Leben mitunter auch aus den Augen verloren.

Da war aber auch der Stolz auf ihn zu spüren, wenn sie von ihm sprach, wie er als Steuermann doch gut ihr aller Lebensruder in der Hand hielte.

Aus ihren Erzählungen entnahm ich, dass er mitunter sehr streng zu ihr und zu seinem Sohn sei und dass Karina immer wieder sich um den Ausgleich in der Familie bemühte, dass dies aber manchmal über ihre Kraft ging.

Nein, sie war nicht nur fröhlich, auch wenn dies bei oberflächlichem Betrachten so schien.

Wir sahen uns an und dachten eine Weile nach. Wir wurden ruhiger und wir wurden ernsthafter.

Was aber passiert jetzt weiter? Ich spürte, dass sie das gleiche dachte als sie sprach: "Genieße einfach den Augenblick mit mir, so wie ich mit dir! Wenn keine Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft da ist, da sein darf dann lebe in der Gegenwart! Die Zukunft ist doch ohnehin ungewiss, du kannst dir viel vornehmen und weißt doch nicht ob es je eintritt."

"Ja, ja das Leben ist eben kein Wunschkonzert."

"Aber als Freund will ich dich behalten!" wiederholte sie und klang dabei fast mitleidig.

"Ich dich auch, aber vielleicht auch etwas mehr! Jetzt muss ich aber nach Hause, so spät komme ich sonst niemals."

"Danke, dass du da warst!"

"Wenn hier einer danke zu sagen hat, dann ich. Schönen Dienst und lass es dir gut gehen ." Im Gehen dann noch: "Ich mag dich!"

Wieder ihr bezauberndes Lächeln: "Ich möchte dich gerne wieder sehen."

"Darauf kannst du dich verlassen!"

Ein letzter Kuss und dann der Weg nach Hause.

Katharina erwartete mich mit einem Lächeln und dem Abendbrot.

Der Abend war schwierig und ich fühlte mich schlecht, vor allem weil Katharina so ahnungslos war.

15.März

Nichts wurde besser, nur alles nur Verworrener. Mir lag es nie mich zu verstellen aber dieses gefühlsmäßige Doppelspiel ging über meine Kräfte. Hatte Karina es leichter?

Mir schien es so. Machte ich ihr deswegen möglicherweise Vorwürfe? Vielleicht, ein wenig.

Wer liebt ist nie gerecht und so war ich also keineswegs fair zu Katharina oder zu Karina und ich haderte mit meinem Leben, suchte nach Rechtfertigungen für mein Handeln.

Ich war in diesen Tagen wohl ziemlich reizbar und unausgeglichen.

Im Innersten wusste ich natürlich, dass die Liebe zu der einen Frau den Verrat an der anderen in sich trug.

Der Faden zu Karina war nie abgerissen. Gesehen hatten wir uns bis heute allerdings nicht, denn wir waren abgelenkt, beschäftigt mit dem Alltag und auch mehr.

Ich hatte mich im Februar einer komplizierten OP unterziehen müssen, es war ums Ganze gegangen, am Ende aber doch problemlos verlaufen. Katharina war mir in dieser Zeit, wie stets, eine enorme Stütze und Hilfe gewesen aber auch Karina sorgte sich heimlich um mich.

Wir hatten uns für heute verabredet und wollten uns einen ganzen Vormittag Zeit füreinander nehmen, nur für uns. Diese wenigen Stunden sollten uns gehören und nichts durfte stören.

Wir entschlossen uns nochmals in die kleine Stadt zu fahren, in der wir uns erstmals näher gekommen waren.

Früh, nachdem unsere Kinder im Kindergarten waren trafen wir uns.

Wir fuhren mit ihrem Golf. Sie fuhr schnell und so waren wir eine Stunde später da. Wie sollten wir nun also den Vormittag verbringen? Wie ihn zu einem unvergesslichem Erlebnis werden lassen?

Ich machte den Vorschlag erstmal in einem Hotel zu frühstücken. Es war nicht die Zeit zum Knausern, wie lange hatten wir auf diesen Tag doch beide gewartet.

Sie nahm grünen Tee und ich Kaffee und beiden aßen wir eher wenig, deutlich zu wenig für den Preis. Aber wir hatten ja nicht wirklich großen Hunger.

Ich sollte ihr Bilder von meinen Kindern zeigen und sie tat das mit Bildern von ihrer Familie, von ihrem Sohn, der ihr doch sehr glich und von ihrem Mann.

Er war groß, schlank und blond, ziemlich stattlich, dachte ich. "Ein schöne Paar seit ihr." sagte ich einfach so dahin und wollte dabei ziemlich gleichgültig klingen, sah mich doch aber gleichzeitig in der Rolle des Konkurrenten.

Was für ein Irrsinn.

Da war es am besten jetzt schnell das Thema zu wechseln. Wir redeten also über Belanglosigkeiten bis wir wieder bei uns und unseren Beziehungen anlangten.

Wie sich das Leben in unseren zwei Familien glich, vier Maximalisten, die seit Jahren verheiratet waren und im Gehetze durch den Tag und die Jahre einander doch fremd geworden sind.

Wir sprachen über die Zeit und ihren unerbittlichen Anspruch an junge Familien und wie wenig man sich diesem Zeitgeist doch entziehen könne.

Und wir sprachen über uns, jeder gab jetzt zu wie viel ihm diese kurzen Momente miteinander doch bedeuteten, wie ein jeder im anderen auch glaubte sich und seine guten Seiten wieder gefunden zu haben.

Mittlerweile waren wir im Park der Stadt unterwegs, ein lang gezogener lichter Park mit einem kleinen Bach.

Karina sagte: "Es tut mir einfach gut mit dir zu reden und ich fand es im Januar auch nur so schön dir zuzuhören."

Ich entgegnete: "Bei mir war das schon ein Jahr vorher so ähnlich. Ich habe oft im letzten Jahr an dich dann gedacht. Es war so schön sich von deinem Charme bezaubern zu lassen. Du warst lustig und die Stunden dieses und letztes Jahr vergingen ja wie im Fluge."

"Und jetzt hältst du mich in deinen Armen."

"Noch nicht aber gleich!"

Daraufhin kamen wir wieder einander näher und küssten uns diesmal lange und vergaßen alles um uns. Die anderen Parkbesucher waren etwas über die nicht ganz jungen Turteltauben erstaunt.

Aber es war uns ganz egal, wir waren weg von zu hause, keiner kannte uns hier und es gab hier und jetzt keine andere Moral als die unsere.

Wie nah fühlten wir uns jetzt, endlich.

Die Liebe hatte die gesellschaftlichen Vorschriften besiegt, nur wenige Minuten zwar, nicht mal einen ganzen Tag aber doch in diesem Moment war alles Andere unterlegen.

Es gab nur uns für diesen kurzen Moment. Lange schwiegen wir und küssten uns oft und immer wieder .Und wie wir uns sehr zögerlich und behutsam einander genähert hatten so taten dies jetzt unsere Zungen, voll Feuer zwar doch auch mit Angst zu viel zu wagen.

Doch in dem Maße wie die Zungen die Bereitschaft des Anderen erkannten wich die Vorsicht dem Verlangen.

Nach einer Weile schauten wir uns an und lachten. Wir gingen in das alte Cafe, das wir schon vom Aufenthalt im Januar kannten. Es war schönes Wetter und jeder hier konnte uns ruhig sehen. Also auf der Terrasse war ein Tisch frei an den wir uns setzen. Karina bestellte einen Cappuccino und ich einen doppelten Espresso.

Wir saßen uns gegenüber und sprachen jetzt über Ernsthafteres, wie Schule, Arbeit und dann auch über unsere Ehen.

Wir sprachen nicht schlecht über die Menschen mit denen wir seit Jahren zusammen lebten aber doch seltsam distanziert.

Es waren erstmals schwierigere Themen und wir taten uns auch schwer damit bis Karina wieder sagte: "Lass das heute unser kleines Geheimnis sein und versuche das alles nicht zu hinterfragen und zu erklären. Manchmal geh das eben nicht! Genieße den Augenblick, das Jetzt! Es war wunderschön heute mit dir und ich habe wirklich im Park die Zeit vergessen. Aber jetzt müssen wir wieder an alles Andere denken und wie gesagt, dieser Tag bleibt unser wunderschönes, kleines Geheimnis."

"Ja, sicher. Aber das ist alles nicht so einfach. Wenn ich auf dich verzichten soll und muss, dann muss ich etwas in mir zum Schweigen bringen!"

"Quäl dich doch nicht so!"

"Ist aber ne schöne Art von Qual." Sie lachte.

"Los jetzt, wir sind spät dran, lass uns jetzt zurückfahren1"

"OK."

Wir gingen schnell zum Auto zurück, denn die Zeit hatten wir fast zwangsläufig etwas außer Acht gelassen. Jetzt war sie wieder da.

Auf der Rückfahrt sprachen wir über ihre Familie, viel über ihre Eltern und Großeltern, über deren Leben und auch über ihren christlichen Glauben. Karina war mit einem festen Glauben an Gott und die Kirche in der DDR groß geworden, was natürlich nicht einfach war. Wie fremd mir ihre Welt hier auch war, ich betrachtete diese jetzt jedoch neugierig und mit Wohlwollen. Das war erstaunlich, denn du kennst ja meine oft bissige Diskussionsweise zu diesem Thema. Hier war es aber ganz unzweifelhaft die Frau und nicht die Religion, die mich in ihren Bann gezogen hatte und mit ihr ihre Denk-und Lebensweise, ihre Überzeugungen. Sicher mitunter fragt man ich nach einem höheren Sinn für alles, jedoch hat dies in meinem praktischen Leben nie eine Rolle gespielt und außerdem benötigte ich hierzu in der Vergangenheit bestimmt keine Kirche.

Nein, es war keine Erleuchtung meiner späten Jahre. Jedoch wenn der Papst sagt: "Gott ist Liebe.", dann war ich eben ein wenig seinem und besonders ihrem Gott begegnet.

Später dann, je näher wir unserer Heimatstadt kamen, wichen die metaphysischen Themen eher den tagtäglichen. Die Verabschiedung ging brutal schnell, wir waren wieder daheim, viele Leute kannten uns und wir wurden wieder vorsichtiger.

Obwohl ich mir vorgenommen hatte an diesem Nachmittag für meine Familie dazu sein, lief dann nicht mehr viel bei mir zusammen. Ich war ständig in Gedanken und hörte nicht zu.

1.April

Wir hatten uns nicht gesehen und waren uns trotzdem immer näher gekommen, viel näher.

In den gleichen Maße in dem wir uns aufeinander zu bewegten entfernten Katharina und ich uns voneinander.

Ich weiß es nicht genau aber ich glaube Karina ging es ähnlich.

Das war der Preis der zu zahlen war, wir waren bereit ihn zu zahlen, doch noch hielten uns die ewigen Kräfte der Familie bei den Unsrigen, noch hielt das Seil , dass uns an unser bisheriges Leben band. Es war aber zum Faden geworden und ich erwartete den Riss. Fürchtete ich ihn auch? Ich kann es heute nicht mehr sagen, da die Geschehnisse nun eben diesen Lauf nahmen.

Ich glaube eine Entscheidung war an diesen Tagen in jedwede Richtung möglich. Das ist wohl die Wahrheit, auch wenn sie mich heute ängstigt.

Täglich, mehrfach und so oft wir konnten suchten wir Kontakt zueinander. Der Tag war schön, wenn er mit einer SMS von ihr begann und einem Telefonat endete.

In meiner Phantasie eilte ich den wirklichen Geschehen voraus. Ich sah mich mit ihr, mit ihrer Familie.

Auch Karina sprach von der zunehmenden Entfremdung von ihrem zu Hause.

Noch kannten wir einander zu wenig, doch wir waren bereit uns auf den Weg zu machen.

So spielten wir einstweilen weiter unsere Rollen bis der Zufall uns bei einem weiteren Zusammentreffen half.

Ich wusste, dass sie diesen Sonntag Dienst hatte und auch ich hatte Rufbereitschaft. Mit Katharina und den Kindern hatte ich mir für diesen Sonntag einen Ausflug mit Freunden vorgenommen, da klingelte um 9.00 Uhr das Telefon.

Herr Walther war ein umgänglicher, ausgesprochen angenehmer Patient. Nie war er dränglerisch oder gar fordernd. Er war 70 Jahre, ein stattlicher Mann trotz seiner vielen Tumoroperationen, die er alle erstaunlich gut überstanden hatte.

"Ich habe seit gestern Luftnot, können sie mir helfen?"

"Ist es schlimm? hat es vielleicht bis morgen Zeit?"

"Ich glaube nicht."

"Na gut, seien sie in einer halben Stunde in der Praxis!"

Katharina war nicht begeistert: "Wenn wir schon mal was vorhaben!"

"Da kann ich auch nichts machen. Ich gebe dir von unten aus Bescheid wie lange es dauert."

Her Walther war angeschlagener als er es zugegeben hatte. Die Lunge hörte sich nicht gut an und in diesem Moment kam mir eine Idee.

Ich brauche ein Röntgenbild!! Ich werde also Karina sehen! Gelegenheit macht also wirklich Liebe.

Manchmal ist der Zufall einem ein guter Freund und hier musste ich ja gewissermaßen nur meinen Dienstpflichten nachgehen.

Also ich traf sie gleich in der Rettungsstelle, wo sie gerade zufällig zu tun hatte.

Da war das wunderbare Lächeln wieder und diesmal war sie die Ungestüme und kam in einem unbeobachteten Moment auf dem Flur gleich in meine Arme.

Ich spürte ihr Bedürfnis mir nah zu sein aber es gab gerade viel zu tun. Nach 5 Minuten kam Karina mit dem Röntgenbild aus einer anderen Ecke.

Es war gleich zu erkennen, dass die Lunge voller Metastasen war. In diesem Moment war das Schicksal dieses armen Mannes besiegelt, indes ich seltsam abgestumpft und gefühlsarm in seine Richtung dachte. Gewiss, wir Ärzte sind zur Objektivität verpflichtet, hier jedoch waren alle meine Sinne ganz von einem anderen Geschehen beansprucht. Ich sah zu, dass ich Herrn Walter schnell auf Station unterbrachte.

Mein ganzes Denkens und Fühlens war von dieser Frau erfüllt.

Auch mit Karina war etwas geschehen.

Gestern hatte sie mir per Mail geschrieben, dass sie ihrem Mann immer mehr mit Kälte begegnen würde und ihre einstmalige Bereitschaft zum Kompromiss sie verlassen habe.

"Das Bild ist da, der Ton ist weg!"

Mein Aufenthalt im Krankenhaus dauerte nur einige Minuten, es war sehr viel zu tun und wir mussten uns verabschieden.

Wir gaben uns das Versprechen, uns auch bald wieder zu sehen.

Keiner sprach mehr von den Gefühlen unserer Partner und keiner sagte: "Es darf eigentlich nicht sein." Wir gingen ohne Distanz miteinander um, es gab eine tiefe Vertrautheit, die wir nur in wenigen Treffen dafür aber in zahlreichen heimlichen Telefongesprächen, SMS und E-Mails zueinander aufgebaut hatten.

Diesmal ging ich ohne ein Gefühl der inneren Zerrissenheit, alles in mir wandte sich dieser Frau zu und ich spürte bei ihr eine ebenfalls tiefe Hingabe an mich und war ihr dafür unendlich dankbar.

Ich hatte das Klinikum gerade eine halbe Stunde verlassen, da kam eine SMS von ihr, in der sie fragte, ob sie mich anrufen könne.

Unter einem Vorwand verabschiedete ich mich zu Hause für einen kurzen Spaziergang und bald hatten wir ein langes Gespräch. Eigentlich ging es um nichts, es war ihr lediglich wohl auch zum Bedürfnis geworden mich einfach nur zu sprechen.

Ich schlief unruhig diese Nacht. Wie sollte es weitergehen? Arme Katharina ! So sah also der Verrat an einem lieben Menschen aus und so wie ich also ein Verräter.

Aber durfte es denn überhaupt sein? Die ganze Nacht wurde ich von Gewissenskonflikten geplagt. Darf ich die Menschen, die für mich bis vor kurzem alles waren so einfach verlassen? Was sagt es den Kindern, was Katharina wenn der Mensch den sie so sehr lieben zu ihrem gemeinsten Verräter wird?

Ich merkte jetzt wiederum, dass ich diese drei Menschen nicht verlieren wollte.

Und Karina, kannte sie mich denn? Ist überhaupt ihre Entscheidung schon gefallen? Was ist, wenn sie unglücklich mit mir wird? Sie weiß nichts von meiner inneren Zerrissenheit, von meinen Kämpfen, meinen Dämonen. Wir waren doch so unterschiedlich! Kann den Liebe nicht auch mitunter Verzicht heißen, wenn man dem Geliebten doch nur das Beste will? Ist es dann nicht doch besser: "Nein" zu seinen Gefühlen zu sagen, wenn man selbst das Beste nicht ist?"

Alle diese Fragen und viele mehr gingen mir durch den Sinn, indes die Richtung meines Weges doch festzustehen schien. Die Entscheidung schien zu nahen.

24.April

Welch ein Alptraum waren diese letzten Tage. Katharina hatte alles herausbekommen.

Natürlich war ich leichtfertig, doch vielleicht suchte etwas in mir auch die Klärung.

Der fehlende Schlaf machte zudem unvorsichtig und so hatte ich mein Handy auf dem Hotelzimmer gelassen. Die SMS von Karina, die ich in einem sentimentalen Moment nicht gelöscht hatte, war eindeutig.

Katharina war eher aus dem Pool zurück auf dem Zimmer gewesen und hatte das Handy gefunden.

Viele Tränen , ein Geständnis und unwirkliche Momente.

Katharina, großmütig wie immer, war bald bereit mir zu verzeihen, wenn, ja wenn ich ablasse von meiner Verirrung.

Ich jedoch wurde wieder gefühlsmäßig hin und her geworfen. Mir tat meine Weggefährtin der letzten 15 Jahre unendlich leid, ich empfand sogar Zärtlichkeit für sie, zu Reue oder zur Umkehr war ich nicht bereit.

Jetzt war alles raus und ich hoffte wir alle hätten die Gelegenheit unsere Gefühle zu ordnen und uns dann zu entscheiden.

Doch dann war alles ganz schnell gegangen.

Karina und Katharina hatten sich getroffen und man war sich einig geworden alles zu beenden und die Integrität unserer Familien zu schützen.

Alles war entschieden und uns war nur dieser letzte Tag gegönnt wurden. Dann sollte es vorbei sein.

Ich hatte mich wie der Kapitän eines Passagierschiffes im Sinken gefühlt, der an Bord bleiben wollte, bis der letzte Mensch gerettet sei, doch dann feststellt, dass niemand da war, der gerettet werden wollte.

Machte ich mich da etwa gerade lächerlich?

So wurde ich ganz still und leise. Man hatte sich ja schließlich geeinigt.

Nur noch dieser Tag also !! Wenigstens noch Adieu mit Anstand sagen können.

Der Tag hatte regnerisch begonnen. "Das passt" dachte ich.

Wir hatten uns beide vorgenommen nur bis Mittag zu arbeiten um dann den ganzen Nachmittag füreinander zu haben.

Gleich am Morgen war ihre SMS da: "Mein lieber Schatz- heute darf ich noch mal- nicht nur der Himmel weint. Ich denke wir hatten keine Wahl und so freue ich mich heute auf dich ohne an Morgen zu denken. Wir treffen uns um 13.30 Uhr auf dem vereinbarten Parkplatz."

Ich war zuerst dort und dachte eine Weile über alles nach. "Alles vorbei, kein Kampf mehr zu gewinnen und auch keine Hoffnung mehr. Morgen kehrst du also zurück in dein Leben und du musst diese Frau, die dir so unendlich gut getan hat zurücklassen. "

War es besser so? Gewiss würde man sich das eines Tages sagen!

Doch heute empfand ich eine unendliche Leere.

Zu wenig , wie ich heute wieder klar erkennen kann, zu wenig galt mir in diesem Moment das Vertraute und zu viel bedeutete mir das Neue, das ich an diesem Tag aufgeben musste.

Ein wenig fühlte ich mich auch von Karina verraten aber ich verstand schon, ging es mir ja ähnlich. Kein verantwortungsbewusster Vater, keine verantwortungsbewusste Mutter gab leichtfertig die Familie auf, nur wegen eines Gefühls.

Wirklich nur wegen eines Gefühls? War nicht mehr entstanden? Oder hatte ich mir falsche Hoffnungen gemacht und mich einem Trugbild hingegeben? Wie dem auch sei, ich stand jetzt auf dem Parkplatz im Nieselregen und wartete auf das Unvermeidbare. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf. Doch noch mal alles wagen? Alles auf diese einzige Karte setzten, gab es nicht auch Fußballspiele, die in der 90. Minute gewonnen wurden?

Was wäre wenn ich sie fragte: "Komm mit mir, ich liebe dich, ich kann für dich und deinen Sohn sorgen!" Ich habe diesen Satz nie ausgesprochen. Auch heute, da ich dir, lieber Frank, von diesen Ereignissen berichte, reut mich diese Unterlassung. Aber ich habe ihr "Nein, es geht nicht!" gespürt und es war auch so schon unerträglich für uns alle. Nie werde ich Klarheit haben aber ich bin mir ziemlich sicher, ich hätte nur noch mehr Wunden aufgerissen.

Nach 20 Minuten kam Karina angefahren. Wir hatten ein paar Kleinigkeiten füreinander, ich Blumen und was Süßes und sie eine Literatur CD über Rilke.

Wir hatten beide etwas Schwierigkeiten die Contenance zu bewahren.

"Wie geht es dir?" fragte sie

"Na ja, geht so. Wenn du weißt du wirst auf gehangen und das Gnadengesuch ist abgelehnt, dann ist das Beste was du erreichen kannst eine gute Figur bei deiner eigenen Hinrichtung zu machen."

Sie lächelte: "Komm lass uns ein paar Schritte gehen. Hast du dir was überlegt wegen heute Nachmittag? Wir können auch wohin fahren."

"Mir egal wo wir sind, Hauptsache noch mal mit dir."

Wir gingen ein paar Schritte, schweigend und Hand in Hand. Wie konnte ich nur so widerstandslos mir dies alles wegnehmen lassen? Dabei kannte ich den Grund genau.

Ich musste auf sie verzichten um den großen Wert meines bisherigen Lebens, meine Familie, zu halten. Es hieß entweder auf diese zu verzichten und somit meine Lebensbasis aufgeben und verraten oder die Frau, die ich jetzt in diesem Moment am meisten liebte.

Konnte man aber der Liebe, die man jetzt im Moment empfand sein ganzes Leben anvertrauen? Das eigene vielleicht, aber das der Anderen, wo doch die Liebe so launisch, so unberechenbar und so wechselhaft wie das Wetter ist?

Aber jede Diskussion, jedes Zwiegespräch war überflüssig. Karina hatte entschieden und sie hatte es nicht aus Furcht vor einer ungewissen Zukunft und schon gar nicht aus Berechnung und Eigennutz es so getan, sondern aus Liebe, aus Liebe zu ihrer Familie, ihrem Sohn, ihrem Mann und auch zu mir.

Wie ungerecht war ich gewesen ihr innerlich Vorwürfe zu machen. Auch sie musste verzichten auf Liebgewonnenes. Ertrug sie es besser? Ich brauchte ihr nur ins Gesicht zu schauen und dann sah ich ihre innerlichen Kämpfe. Wie tapfer sie doch war.

Welches Maß an innerer Zerrissenheit hält doch der Mensch aus!

Es blieb uns noch dieser Tag und es galt ihn mit Unvergesslichem zu füllen.

Wir entschlossen uns auf das alte Schloss 20 km westwärts zu fahren, hier konnten wir noch einmal den Tag unbeobachtet so verbringen, wie es uns gefiel.

Erstaunliches geschah. An diesem trüben Tag des Abschieds war in unsere Stimmung die Heiterkeit zurückgekehrt, die Heiterkeit, die wir so seit unserem ersten Wochenende nie wieder so völlig ungeteilt empfunden hatten. Wir lachten die ganze Fahrt und plötzlich wie mit einem Zauberstab geöffnet brach die Wolkendecke, der Regen hörte auf und die Sonne kam mit aller Kraft hervor.

Als wir im Schloss ankamen war überall blauer Himmel und Sonnenschein.

Wir entschlossen uns einen Eisbecher essen zu gehen. Unter dem Eingangstor sprach Karina plötzlich: "Schade, dass es noch nicht passiert ist mit uns! Könntest du dir vorstellen heute ganz unvernünftig zu sein? Du musst dann auch in der Lage sein Katharina weiter in die Augen sehen zu können!"

Mit fester Stimme sprach ich: "Ich kann es mir vorstellen und Katharina werde ich in die Augen sehen können. Schließlich gebe ich heute dich und nicht sie auf!"

"Hättest du dir auch mehr zwischen uns vorstellen können?"

"Auch das hätte ich, mehrfach sogar, die Gedanken waren schon bei der Zukunftsplanung mit dir. Wie aber kann man Frau und Kinder leichtfertig verlassen? Ist das dann der Mensch mit dem du dir dann deine Zukunft vorstellen könntest? Wie ich es auch drehe und wende, es gibt keine einfache Lösung. Auf Kosten Anderer, die man liebt, sein Glück verwirklichen, dass ist kaum erträglich. Dich aber aufzugeben ist genauso schwer."

Sie lief neben mir in den Schlosshof und dann umarmte sie mich ohne ein Wort.

Wir setzten uns an den Tisch. Sie bestellte einen Cappuccino und ich einen doppelten Espresso wie damals in unserer kleinen Stadt und jeder einen Eisbecher.

Wir scherzten miteinander und waren froh einander noch einmal zu haben. Der Abend war weit weg.

Nach dem Bezahlen gingen wir eine Weile, wir liefen in den Wald und suchten nach einem Platz zum Verweilen und ….

Es gab hier aber eine Unmasse an Gestrüpp und so gingen wir zum Auto zurück und fuhren aufs Geradewohl los. Wir wurden stiller. Was gab es auch noch zu sagen? Der Abend rückte näher. Als dann ein Feldweg kam bog ich ein und parkte das Auto. Ich nahm die Decke aus dem Kofferraum und wir gingen einige Meter hinter die nächste Hecke.

Wir berührten uns wie immer erst ganz zart, ganz vorsichtig, doch dann bahnte sich der Wunsch unserer Seelen und unserer Körper seinen Weg , die Anspannung von mehreren Monaten fand jetzt ihren leidenschaftlichen Ausdruck in unserem Zusammensein und löste sich endlich.

In diesem Moment gab es nur noch uns, kein Gestern und kein Morgen. Es war wie bei unserer ersten nächtlichen Wanderung im Januar und wie bei unseren Spaziergang durch den Park der kleinen Stadt einige Wochen später. Die Zeit stand still.

Doch wie so oft in den letzten Monaten waren wir auch diesmal einem Trugschluss erlegen. Die Zeit stand nicht still.

Ganz langsam, noch während wir eng beieinander lagen, kroch sie in unser Bewusstsein.

Wir hatten uns verloren. Jetzt das retten, was zu retten war, unsere Familie und unsere bürgerliche Existenz. Es galt pünktlich zurück zu sein.

An die Rückfahrt erinnere ich mich kaum, auch an die Verabschiedung ist nur noch lückenhaft in meinem Bewusstsein. Ein letzter Kuss und dann verschwand ihr Golf hinter der Kurve.

Ja, lieber Frank, nun weißt du alles über meine inneren Kämpfe im letzten halben Jahr.

Ich habe Karina seitdem nicht wieder gesehen, der anschließende E-Mail-Verkehr ist bald eingeschlafen. Es war vielleicht der letzte kurze Versuch etwas Vergangenes zu bewahren.

Jedoch, wir hatten uns in Wahrheit nichts mehr zu sagen. Ehe wir in Belanglosigkeiten uns verloren hätten beendeten wir auch diesen etwas kläglichen Versuch einander irgendwie nah zu sein.

Unsere Liebe war gegangen, genauso rasch und plötzlich wie sie vor wenigen Monaten zu uns kam.

Die ersten Wochen waren quälend, ich war froh für jede Aufgabe, die der Alltag als Familienvater und Praxisteilhaber zu bieten hatten, dankbar für jede Ablenkung, die ich bekommen konnte. Manch stupide Arbeit, die ich noch vor kurzen gehasst hatte, wurde von mir gerne als Abwechslung angenommen. Alle wunderten sich bis auf Katharina, die geduldig ertrug bis ich wieder vollständig mit meinen Gedanken zu ihr zurückgekehrt war.

Wir sind uns in dem Bewusstsein der Verwundbarkeit auch unserer Liebe so nah gekommen wie seit vielen Jahren nicht. Unser Umgang ist viel vorsichtiger und was gut ist, unsicherer geworden und wir haben uns innerlich wohl unser Versprechen erneuert miteinander alt zu werden.

So, nun ist diese Schilderung doch länger geworden, als ich dachte. Ich danke dir für deine Geduld und hoffe dich nun bald doch wieder zu sehen.

Vielleicht hast du nächstes Wochenende frei? Katharina und ich würden uns jedenfalls sehr freuen dich mal wieder zu Gesicht zu bekommen.

Sei bis dahin herzlich gegrüßt von deinem alten Freund
Christoph

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