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Bilder aus Nepal

© Manuela Korn


Bricht man von Katmandu frühmorgens in westlicher Richtung auf, so erreicht man nach stundenlanger Autofahrt am späten Nachmittag den malerischen Ort Pokhara.
Am Ufer eines riesigen Sees gelegen, und umrahmt von der gewaltigen Kulisse einiger schneebedeckter Himalaja-Riesen ist dieser frühere Hippietreffpunkt heute zu Recht eines der bekanntesten Reiseziele Nepals.
Von morgens bis abends herrscht in seinen engen Gassen ein buntes Gewimmel. Einheimische und Touristen drängen dicht an dicht. Viele kleine Läden und Restaurants locken mit ihren Angeboten. An jeder Straßenecke werden Kunstgegenstände und Handarbeiten feilgeboten.
Trotz der beachtlichen Höhenlage dieses wunderschönen Städtchens herrscht subtropisches Klima. Überall blüht und gedeiht üppige Vegetation.
Zwischen hohen Bananenstauden ducken sich mit Stroh gedeckte niedrige Lehmhäuser. Kaum eines der ockerfarbenen Häuschen hat ein Stockwerk. Entlang der belebten Strassen finden sich auch größere und gemauerte Gebäude. In den Gärten stehen häufig riesige Weihnachtssterne, sowie Mango- und Papayasträucher. Unter ihren großen schattigen Blättern scharren viele eifrige Hühner. Getrennt werden die kleinen Anwesen durch mühsam aufgeschichtete Natursteinmauern, die gelegentlich von schmalen mit Flechtwerk verschlossenen Toröffnungen unterbrochen werden.
An den steilen Hängen der umgebenden Hügel kann man viele kleinere und mittelgroße Reisterrassen erkennen. Sie liegen zum Teil in enormer Höhe, und müssen von Hand bewässert werden.
Am nahen Seeufer weiden Wasserbüffel, Maultiere und Ziegen. Hunderte weiße Kuhreier umringen sie. Diese großen Vögel sind hier ebenfalls auf Futtersuche.
Außerhalb der Regenzeit scheint fast täglich die Sonne. Das warme Wasser des Sees lädt von März bis Oktober zum Baden ein. Die Menschen die hier leben, sind wie die meisten Bergvölker sehr freundlich und gesellig. Das karge Leben in den Bergen Nepals hat ihre braungebrannten Körper ausdauernd, schlank und sehnig werden lassen. Der Dal, ein Linsengericht das vorwiegend mit gekochtem Gemüse und Reis gegessen wird, bildet noch heute eines der Grundgerichte der Einheimischen. Dazu isst man dünnes Fladenbrot aus Weizenmehl. Glücklicherweise sorgt der Fischreichtum des Sees für etwas Abwechslung in der Speisekarte der Pokharis. Trotz ihres arbeitsreichen Alltags sind diese freundlichen Leute meist gut gelaunt. Überall erklingt das fröhliche "Namaste", der landesweite Gruß der Nepalesen.
Die Frauen in ihren bunten langen Kleidern erledigen die Hausarbeit, während die Männer mit Hilfe von Wasserbüffeln die Felder pflügen und bestellen. In der Erntezeit müssen auch die Frauen schwere körperliche Arbeit leisten. Man sieht sie dann häufig riesige Heubündel schleppen, oder schwer beladene Handkarren ziehen.
Viele von ihnen haben dabei noch zusätzlich ihre Babys auf den Rücken gebunden. Im Gegensatz zu Europa besteht in den meisten asiatischen Ländern eine sehr enge und lange Mutter Kind Bindung. Oft werden die Babys bis zum dritten Lebensjahr gestillt. Während ihrer ersten Lebensjahre sind sie praktisch nie von ihrer Mutter getrennt.
Am westlichen Ende des Hochtales von Pokhara erhebt sich der Sarangot. Mit seinen knapp zweitausend Metern Höhe ist er der ideale Aussichtsberg. Will man ihn besteigen, muss man einem schmalen Pfad folgen der entlang des östlichen Seeufers verläuft. Nach kurzer Wanderung erricht man eine Abzweigung die schon nach einigen Hundert Metern in den Schatten des beginnenden Bergwaldes mündet. Steil bergauf zieht sich ab jetzt der Weg, und immer mühsamer wird es ihm zu folgen. Große Steine und freiliegendes Wurzelwerk behindern den Aufstieg, und das feuchtwarme subtropische Klima tut ein Übriges. In den Kronen der Bäume zwitschern unablässig die Vögel, und große Schmetterlinge flattern zwischen den Sträuchern. Mit etwas Glück kann man sogar Affen sehen. Sie gehören zur Familie der Makaken, und bevölkern weite Teile Südasiens.
Immer wieder hallen ihre hohen Schreie durch den Bergwald.
Mächtige, mit Flechten behangene Rhododendren verstellen für lange Zeit die Sicht auf den Berggipfel. Wandert man hier im späten April, so sind diese Baumriesen gerade in voller Blüte. Der ganze Wald erstrahlt dann in leuchtendem Rot.
Angeblich lies sich hier einst J.R. Tolkien zu seinem Roman "Der Herr der Ringe" inspirieren. Tatsächlich wirkt diese Landschaft sehr märchenhaft. Fast ein wenig verzaubert. Es wäre durchaus keine sonderliche Überraschung, würde zwischen den hohen Farnen und bemoosten Bäumen plötzlich ein kleiner Hobbit hervorkommen.
Endlich öffnet sich die dichte Vegetation, und man erreicht das Hochplateau mit dem Gipfel.
Kein Besucher bleibt von dieser faszinierenden Aussicht unbeeindruckt.
Hier wird der Blick weit und frei. Vor dem Hintergrund des strahlend blauen Himmels zeichnen sich klar die Umrisse der Annapurna-Gruppe ab. Ihre vergletscherten Gipfel liegen auf über achttausend Metern Höhe. Gleich neben ihnen erhebt sich der mächtige Machapuchare, der dem Matterhorn wie zum Verwechseln ähnlich sieht, aber fast doppelt so hoch ist wie sein europäisches Gegenstück.
Die Gletscher dieser Bergriesen glänzen in der Sonne wie Diamanten. Starke Jetwinde fegen bis zu hundert Meter lange Schneefahnen von ihren Gipfeln. Alles wirkt zum Greifen nahe in dieser klaren Bergluft.
Hoch am Himmel ziehen Bartgeier ihre Kreise. Sie nützen die aufsteigende Thermik und können stundenlang fliegen ohne auch nur einen einzigen Flügelschlag zu tun. Dann und wann durchbricht das heisere Krähen einer Bergdohle die erhabene Stille dieses Ortes.
Entlang der Nordflanke des Sarangot fließt wild schäumend der Fluss Kali Gandaki in seinem steinigen und gewundenen Bett. Zur anderen Seite, tief unten im Tal, liegt der Ausgangspunkt unserer Wanderung. Geheimnisvoll schimmert das dunkelgrüne Wasser des riesigen Sees herauf.
Von Pokhara führen uralte Handelswege in den tiefen Westen Nepals. Viele schwer bepackte Maultierkarawanen verkehren täglich auf diesen wichtigen Verbindungen. Die Tiere sind bunt geschmückt, und scheuen auch nicht die höchstgelegenen und gefährlichen Steige.
Ihre Begleiter feuern sie immer wieder mit kurzen schrillen Rufen an. Auch menschliche Lastenträger gehen noch heute ihrem anstrengenden Beruf nach. Der ständig steigende Besucherstrom hat einigen von ihnen ein lukratives Nebengewerbe eröffnet. Viele der westlichen Reisenden lassen ihr Gepäck auf den stark begangenen Wanderrouten von Einheimischen tragen. Ein begehrter Job, denn für einen Sherpa der gewöhnt ist mit bis zu siebzig Kilogramm am Rücken durch die Berge zu laufen, ist auch der schwerste Rucksack ein Leichtgewicht.
Trotzdem ist und bleibt es hart verdientes Brot. Die Armut der Nepalesen ist fast überall gegenwärtig. Es gibt kaum Industrie und so gut wie keine Infrastruktur. Nur der Tourismus bringt einem kleinen Teil der Bevölkerung steigende Lebensqualität. Aber schon einen Steinwurf neben den Trampelpfaden der Touristen herrscht die gleiche Not und Armut wie seit Jahrhunderten.
Wenn der Tag zu Ende geht und die Abenddämmerung einsetzt, wird es stiller im sonst so geschäftigen Pokhara. Der Wind flaut ab, und die Gipfel der Berge beginnen im Abendrot magisch zu leuchten. Sie spiegeln sich dann farbenprächtig in der glatten Oberfläche des Sees. In vielen Häusern wird das Abendessen zubereitet. Aus den geöffneten Fenstern dringt fröhliches Gelächter, und der Geruch von offenem Holzfeuer hängt in der Luft. Die Fischer besteigen ihre kleinen Boote und rudern wie jeden Tag auf den See hinaus um ihre Netze auszulegen.
Alles geschieht in ruhiger Gelassenheit.
Die Einheimischen erzählen sich, dass mächtige Geister in der Tiefe ihres Sees leben.
In manchen klaren Vollmondnächten kann man ihnen sogar begegnen.
Wenn Du sie sehen solltest und keine Angst vor ihnen zeigst, erfüllen sie dir jeden deiner Wünsche.
Wenn du aber vor ihnen erschrickst dann bist du verloren; und sie halten dich am Grunde des Sees für immer gefangen.



Eingereicht am 23. April 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
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