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Dez
01
Milena
© Nina Adelmann

Meine große Liebe heißt Milena. Sie ist eine kohlschwarze Vollblutstute mit der Seele eines Kolibris: auf der einen Seite zickig und schreckhaft, auf der anderen Seite geduldig und unglaublich lieb. Ein Blick aus ihren großen braunen Augen, ein Stupser mit der weichen Pferdenase und ich schmelze dahin.

Ursprünglich für die Rennbahn gezüchtet wurde Milena bereits im zarten Alter von zwei Jahren von ihrer Züchterin ausgemustert. Wegen einer leichten Fehlstellung der Vorderbeine war sie für die große Rennkarriere nicht geeignet. Stattdessen sollte sie die Laufbahn eines Reitschulpferdes beschreiten und fortan Reitschüler auf ihrem Rücken tragen.

Täglich wechselnde Reitschüler durch die Halle zu tragen und ihre unbeholfenen Putz- und Sattelversuche über sich ergehen zu lassen, empfand Milena jedoch offenbar als unter ihrer Würde. Als Tochter eines bekannten Vollbluthengstes war sie schließlich zum Rennen geboren. Also rannte sie! Bei jeder Gelegenheit, in jeder Reitstunde, auf jedem noch so holprigen Geländeweg wollte Milena ihre Schnelligkeit unter Beweis stellen. Die Reitschüler kugelten reihenweise durch das Sägemehl, wenn die "schwarze Hexe" wieder einmal einen ihrer berühmten Schnellstarts hinlegte und hakenschlagend durch die Halle fegte.

Obwohl auch ich zu denjenigen gehörte, die den Hallenboden des Öfteren aus nächster Nähe betrachten durften, verliebte ich mich in Milena. Ich bekniete meinen Reitlehrer so lange, bis er sich bereit erklärte mir die Stute zu verkaufen. Die Tatsache, dass Milena manches Mal ohne Reiter von den täglichen Ausritten zurückkehrte, mag seine Entscheidung beschleunigt haben.

Von da an war Milena ein stolzes Privatpferd und genoss die neu gewonnene Freiheit in vollen Zügen.

Die Idylle währte jedoch nicht lange. Eines Tages, als wir auf dem Weg zur Koppel die Hauptverkehrsstrasse entlang wanderten, kam uns ein orangefarbener Lastwagen entgegen. Von Natur aus schreckhaft geriet Milena, der die dröhnenden Blechriesen von jeher unsympathisch waren, in Panik. Obwohl der Fahrer des Lastwagens die Angst meines Pferdes erkannte und heftig auf die Bremse trat, riss Milena sich los und prallte noch im Herumwirbeln mit dem Lastwagen zusammen. Mir blieb fast das Herz stehen, als ich mein blutendes Pferd allein Richtung Stall galoppieren sah.

Die äußerlichen Verletzungen, die Milena sich zugezogen hatte, wurden genäht und waren bald verheilt. Auch die an dem Lastwagen entstandenen Dellen konnten schnell wieder ausgebeult werden. Was schwerer wog waren die psychischen Schäden, die Milena davon getragen hatte. Wann immer sie das Geräusch eines laufenden Motors hörte, geriet sie derart in Hysterie, dass sie versuchte sich los zu reißen und davon zu stürmen. Da ich meistens diejenige war, die an den Zügeln hing, wenn mein Pferd die Flucht ergriff, horchte ich bald an jeder Straßenecke, ob auch nur das leiseste Motorgeräusch zu hören war. Selbst wenn ich ohne Pferd unterwegs war, richtete ich immer ein Ohr auf die Strasse. Bald konnte ich sämtliche Motorfahrzeuge dem Klang nach unterscheiden. Selbst im Traum erschienen mir Lastwagen jeglicher Art.

Da es so nicht weitergehen konnte, zog Milena schließlich um in einen autofreien Stall, wo sie erst einmal zur Ruhe kommen sollte.

Als wir nach eineinhalb Jahren in die motorisierte Zivilisation zurückkehrten, hatte sich Milenas Angst zumindest gebessert. Gewöhnliche PKWs akzeptierte sie nun, alle größeren Fahrzeuge waren nach wie vor gefährlich.

Heute, zehn Jahre später, genießt Milena ihr Rentnerdasein auf einem Bauernhof. Laufende Traktoren und Holzfahrzeuge machen ihr längst keine Angst mehr. Ebenso wenig wie PKWs und Motorroller. Und auch ich kann lastwagenfreie Träume genießen.

Obwohl mich Milena auch heute mit ihren neunzehn Jahren noch ab und zu allein nach Hause laufen lässt, habe ich durch sie mehr gelernt als ich je für möglich gehalten hätte. Ich danke dem Schicksal, das uns beide zusammengeführt hat.

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