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Dez
01
Ein Tanzbär namens Memy
© Nina Adelmann

Memy wurde in einem Land geboren, in dem das Halten von Tanzbären nicht verboten ist. Er ist ein lieber, freundlicher Bär mit zottigem Fell, der gerne faul in der Ecke liegt und sich die Sonne auf den Pelz brennen lässt.

Eigentlich geht es Memy nicht schlecht. Im Gegensatz zu vielen anderen Tanzbären, hat er einen Ausbilder, der sich um ihn kümmert, ihm genug Futter und Wasser gibt und täglich das Stroh in seinem Käfig wechselt. Seit er klein war, ist Memy mit "seinem Menschen" durchs Land gezogen und hat mit seinen tapsigen Tänzen die Menschen erfreut. Seit einiger Zeit haben Memy und "sein Mensch" einen festen Platz im Zirkus gefunden, so dass sie nicht mehr alleine von Ort zu Ort ziehen müssen. Jeden Abend vor der Vorstellung wird Memy geschrubbt und gebürstet und bekommt eine Fliege um den zottigen Hals gebunden. Sobald die Musik zu spielen beginnt, brummt Memy freundlich, tapst in die Manege und zeigt seine lustigsten Sprünge. Er liebt das Klatschen der Zuschauer und das Johlen der Kinder, die sich an seinem Tanz erfreuen. So hat er ein recht zufriedenes Dasein - die Kette um seinen Hals stört kaum dabei.

Doch trotzdem ist Memy nicht glücklich. Obwohl er den Wald nie gesehen hat, träumt er oft von grünen Wiesen, freien Feldern und hohen Bäumen. Und obwohl sein Mensch ihn gut behandelt, spürt er, dass es da noch etwas anderes geben muss.

Oft schon hat Memy daran gedacht fortzugehen. Es wäre kein großes Problem. "Sein Mensch" kennt ihn schon so lange, dass er oft nicht richtig aufpasst, wenn er Memy zurück in den Käfig führt. Schließlich würde Memy nie weglaufen. Wieso sollte er auch? Trotzdem hat sich Memy bislang nicht getraut tatsächlich aufzubrechen. Soll er wirklich sein ruhiges und angenehmes Dasein aufgeben? Und wo soll er hin? Wie soll er an Futter kommen?

Doch das Gefühl, das ihn zum Aufbruch drängt, wird mit jedem Tag stärker. Und eines Tages, als "sein Mensch" ihn wieder von der Manege zum Käfig führen will, sprintet Memy einfach los. Er denkt nicht nach, sieht sich nicht um, sondern läuft einfach nur um des Laufens willen. Seine großen Tatzen fliegen nur so über den Boden. Er hört nicht die Schreie "seines Menschen" und nicht das erschreckte Quieken der Zuschauer, die hektisch zur Seite springen als der Bär durch ihre Mitte rast. Er hört nur das Rauschen der Luft in seinen Ohren und das Knirschen der Kiesel unter seinen Füßen. Und so läuft er und läuft, bis es nicht mehr weiter geht, bis sein Herz rast und seine Lunge rasselt und um ihn nichts mehr ist als grüne Wiesen.

Endlich wird ihm klar, dass er allein ist. Keine Menschen sind mehr um ihn herum, keine schreienden Kinder, kein Mensch, der ihm Futter bringt. Nur er! Und dann kommt die Verzweiflung. "Was habe ich bloß getan", denkt Memy. Wovon soll ich denn jetzt leben? Ich habe doch gar nicht gelernt für mich selbst zu sorgen". Und so trottet er weiter. Endlich frei weiß er nichts mit seiner Freiheit anzufangen. Er wünscht sich sein altes, gemütliches Dasein zurück - und die Ketten, die ihn am Laufen hielten. Doch trotzdem kehrt Memy nicht um. Ein Fünkchen in ihm treibt ihn weiter, hält ihn fest, lässt ihn nicht zurückkehren.

Irgendwann knurrt Memys Magen so laut, dass seine Ohren dröhnen. Er stopft sich Beeren in das Maul und denkt an das Fleisch, das es im Zirkus gab. Schon fast ist Memy bereit aufzugeben. "Schöner Unsinn diese Freiheit" denkt er sich. "Mein Magen knurrt, es regnet auf mich und es gibt kein trockenes Stroh in das ich mich kuscheln kann". Und doch kehrt er nicht um. Vielleicht ist es das platschende Geräusch, das seine Pfoten in den Wasserpfützen machen, vielleicht die Blätter, die sich in seinem Fell verfangen. Er ist hungrig, ihm ist kalt, und er ist nass. Doch zum ersten Mal in seinem Leben hat er das Gefühl ein Bär zu sein. Ein echter Bär in einer echten Welt, kein Schoßhund in einem Zirkuszelt. Es mag ein mieses Gefühl sein sich einsam zu fühlen, verlassen und hungrig. Und doch ist es ein echtes Gefühl. Echter als alles was Memy in seinem bisher gefühlt hat. Und so zieht Memy weiter.

"Na gut", denkt er sich. "Bären können angeblich gut Fische fangen. Also werde ich das auch können. Noch schlimmer kann es ja kaum kommen". Und so tapst Memy zu einem See, den er bei seinen Wanderungen entdeckt hat. Na, ein See ist es eigentlich nicht, eher ein Tümpel. Doch es schwimmen tatsächlich Fische darin.

Memy watet in das Wasser, bis es ihm bis zum Bauch reicht. Er visiert einen Fisch an und schlägt zu. Daneben! Also noch mal. Wieder daneben! So geht es wieder und wieder, Mal um Mal, bis vor lauter Schlamm nichts mehr zu sehen ist. Triefend nass und traurig steht Memy da. Plötzlich hört er ein Kichern hinter sich. Vor lauter Schreck springt Memy mit allen vier Pfoten gleichzeitig in die Luft und landet mit einem lauten Platschen im See. Das Kichern hinter ihm wird lauter. "Ich bin Ubi" sagt eine Stimme. "Kann ich Dir helfen?". Vor Schreck geht Memy beinahe unter. Ein Bärenmädchen! Ein echtes Bärenmädchen steht vor ihm. Noch nie hat Memy einen wilden Bären gesehen. "Komm erst mal raus da" sagt Ubi. "Du bist ja ein richtiger Dreckbär". Tatsächlich ist Memy über und über mit Schlamm bedeckt. Beschämt trottet er aus dem Wasser. "Du bist wohl neu in der Gegend?" fragt Ubi. Und Memy, überglücklich endlich jemanden zum Reden gefunden zu haben, erzählt seine Geschichte. "So, Du bist ein Tanzbär" meint Ubi zweifelnd als Memy zu Ende erzählt hat. "Da wirst Du`s hier draußen aber schwer haben. Willst Du es wirklich probieren?". Und Memy sieht noch einmal all die Dinge vor sich, die sein altes Leben ausgemacht haben. Dicke Fleischbrocken, trockenes Stoh, jubelnde Menschen, "seinen Menschen". Und dann erinnert er sich wie es war durch den Wald zu tappen, allein und hungrig. Wie es war nach Fischen zu angeln, bis zum Bauch im kalten Morast. "Ja" sagt Memy, "ich will es probieren. Hilfst Du mir?". "Klar" meint Ubi "aber was ist denn so toll an dem Leben hier?".

"Es ist Leben", sagt Memy, "echtes Leben."

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