Schwüle Junihitze lastete auf Mensch und Tier und Lehrer Krumpholz sah sorgenvoll aufs Thermometer. Er musste sich sputen. Seine Bienenvölker hatten sich in diesem Jahr trotz der grassierenden Varroa-Milbe gut entwickelt. An einem Tag wie heute könnte es ihnen in ihrem Kasten zu eng werden. Schon gestern war viel Wirbel vor den Fluglöchern gewesen. Der alte Krumpholz kannte die Zeichen: Schwarmstimmung herrschte im Bienenvolk!
Bevor Eduard Krumpholz in den Garten ging, zog er zum Schutz vor Stichen einen Overall an und nahm Hut und Schleier vom Haken. Dann trat er hinaus in sein grünes und blühendes Reich. Hinten im Garten, abgeschirmt von den üppig tragenden Obstbäumen, standen die Bienenkästen. Bereits vor vier Wochen hatte er sie aufgestockt, hatte den Bienen mehr Raum gegeben. Er hatte neue Rähmchen eingesetzt. Die Bienen bauten ihre Waben hinein, die sie mit Honig füllten und in die die Königin ihre Eier legen konnte.
Lehrer Krumpholz wurde von vielen belächelt ob seiner Liebe zu den Bienen. Oft saß er, geschützt mit Anzug und Schleier vor den Fluglöchern und sah den Bienen zu, beobachtete sie am Flugloch, wenn sie ihre dicken Pollenhöschen als Futter für die Brut und für schlechte Zeiten heranschleppten. Leuchtendes Gelb, Braun, Orange. Daran sah der Alte, von welcher Quelle sie sich versorgt hatten. Wenn eine der heimkehrenden Bienen ihren Tanz beendet hatte, mit dem sie ihren Kolleginnen den Weg zu einer üppigen Tracht wies, und wenn Eduard Krumpholz sicher war, dass seine Frau Mathilde ihn nicht sah, streichelte er der Biene vorsichtig über den samtig graubraunen Rücken. So bedankte er sich bei ihr für die fleißige Honigsuche.
Heute war es nichts mit dem Bienenstreicheln, mit dem Beobachten und stillen Genießen. Heut war der Teufel los am Bienenstand. Laut summend tanzten Hunderte, nein Tausende von Bienen in der lastenden Hitze vor einem der Fluglöcher. Sie rüsteten sich zum Schwärmen, zum Hochzeitsflug einer jungen Königin.
Lehrer Krumpholz schalt sich selbst. "Ich bin wirklich ein fauler, alter Mann. Tagelang schaue ich den Bienen zu, statt die Völker rechtzeitig zu teilen und ihnen mehr Raum zu geben. Und jetzt habe ich den Salat! Ich hätte wissen müssen, dass sie sich in den letzten vier Wochen ungeheuer vermehrt haben und dass sie nur auf einen schwülen Tag wie heute gewartet haben, um auszuziehen und ein neues Volk zu gründen."
Unter tiefem Gesumme formierten sich die Bienen, schraubten sich als dunkle Wolke zwischen den Apfelbäumen in den Himmel. Aufmerksam beobachtete der säumige Imker nun, wohin die Bienenwolke flog. Vielleicht nur bis zum Eichbaum des Nachbarn. Dort konnte er sie wieder heimholen, bevor die Bienen das Weite suchten, weil sie irgendwo eine passende Heimstatt gefunden hatten. War das Wetter schlecht, blieben sie aber oft tagelang in der Nähe hängen, bauten da sogar Waben für den mitgeführten Honig. Da war es dann ein Leichtes, sie wieder zu holen und in eine leere Beute zu setzen.
So war es wohl mit einem von Krumpholzens Bienenvölkern geschehen. Unbemerkt von dem Alten hatte sich vor ein paar Tagen ein Volk mit der jungen Königin zum Hochzeitsflug aufgemacht und der Schwarm hatte sich auf dem erstbesten Platz zu einer dicken Traube versammelt. Und dann war Regen gekommen.
Als Eduard Krumpholz nun hinter seinen schwärmenden Bienen hersah und den Blick in den Himmel hob, da gewahrte er ein aufgeregtes Schwirren und Summen um die Straßenlampe vor seinem Haus. Mit Entsetzen sah er dort einen Schwarm hängen, der ihm unbemerkt entwischt war. Es waren in den letzten Tagen schwere Gewitter niedergegangen, sodass sich die Bienen als feste, schützende Kugel um die Königin geschart hatten. Heute war es heiß geworden und die Bienen rüsteten sich zum Weiterflug. An der Laterne aber hingen aus goldgelbem Wachs als Zapfen und Scheiben frische Waben, gefüllt mit jungem, noch dünnflüssigem Honig. Der Honig tropfte von der Lampe und bildete klebrige Flecken auf dem Gehweg.
Aufgeregt rannte der alte Lehrer ins Haus und rief nach seiner Mathilde. "Der Honig tropft von der Lampe!", schrie er und eilte mit wehendem Schleier zurück zur Straßenlaterne. Mathilde folgte ihm vor das Haus und brach in lautes Lachen aus, als sie die verzweifelt mit den Armen rudernde Gestalt da stehen sah. Ein weißes Gespenst, den Tränen nahe. Eduard Krumpholz würgte ein weiteres Mal den Verzweiflungsschrei "Der Honig tropft von der Lampe" hervor, da rutschte die hemmungslos lachende Mathilde auf dem klebrig glitschigen Straßenbelag aus, fiel hart zu Boden und ....
Wahrscheinlich wird sie lange keinen Honig mehr sehen mögen, nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Auch musste Eduard für dieses Mal die ganze Arbeit, die beim Honigschleudern anfiel, alleine bewältigen.
Einundzwanzig Geschichten über das Zusammenleben von Mensch und Tier. Mit Humor und einem Augenzwinkern erzählt die Autorin vom alltäglichen, gelegentlich skurrilen Miteinander und Gegeneinander von allerlei Getier und den Menschen. Geschichten für Tierfreunde und für alle, die es noch werden wollen.