Friedrich Emil Anton Gnad war Schriftsteller. Er war Schriftsteller mit Leib und Seele, obgleich noch nie auch nur eine einzige Zeile von ihm veröffentlicht worden war. Nichtsdestotrotz setzte er sich allmorgendlich an seinen Schreibtisch und schrieb. Ständig die Hand in Bewegung halten, das riet so mancher Ratgeber für ein glück- und segensreiches Schreiben. Zwar schrieb Friedrich Emil Anton nicht mit der Hand, sondern auf dem Computer - schließlich war man ja ein moderner Schriftsteller - aber er schrieb beständig. Jeden Tag schrieb er zwei bis drei Stunden. Nichts davon aber gelangte in gedruckter Form an die Öffentlichkeit.
Friedrich Emil Anton Gnad konnte es sich leisten unverzagt und täglich zu schreiben, ohne je damit auch nur einen roten Heller verdient zu haben. Er war finanziell abgesichert. So konnte man es wohl nennen, wenn einer ein gutes Erbe angetreten und die ererbten Immobilien gewinnbringend vermietet hatte. Also schrieb der Gnad, wie er so kurz wie möglich von seinen Freunden genannt wurde, und genoss die Gnade der Wohlhabenheit.
Nun begab es sich, dass der Gnad eines Morgens aufwachte und nicht mehr wusste, was er noch schreiben könnte. Alles was ihn umgab, Mensch, Tier und Pflanze, hatte er schon in kleine Geschichten verwandelt. Traumverloren starrte er in den Regen hinaus. Ein warmer Sommerregen und alle Welt schien in irgendeinem Urlaubsdomizil zu hocken, in den Regen zu schauen und nichts dazu zu tun, damit sich etwas ereignete.
Sommerpause. Sommerloch. Feriendemenz. Geistige Flaute.
Friedrich Emil Anton griff zur Zeitung. Irgendetwas musste doch in der Welt geschehen sein, aus dem sich eine Story stricken ließ. Natürlich ließ er Kriegsgräuel und Hungerkatastrophen, die nicht in den Urlaub gefahren waren, außen vor. Das mochten die Menschen schon gleich gar nicht lesen. Auch dann nicht, wie er schon mal versuchsweise getan, wenn sie in ein biederes Kleid gesteckt und als Geschichtchen aufbereitet waren.
Der Gnad blätterte sich durch die, wegen Ferienzeit und Sommerloch erheblich dünnere Zeitung als gewöhnlich. Schließlich stieß er auf eine kleine Notiz. Eine echte Sommerlochnotiz. "Kuh Simone noch nicht gefunden", stand da, und besagte Kuh schien man schon sehr lange zu suchen. Das war dem Gnad bislang entgangen. Eine Kuh, die offenbar schon vor Wochen ausgebüxt war und sich in den Wäldern herumtrieb. Selbst mit Wärmebildkameras vom Hubschrauber aus hatte man schon gesucht. Vielleicht war das verflixte Vieh bereits kalt, längst gestorben, dachte der Gnad. Da hilft dann auch eine Wärmebildkamera nichts mehr. Oder sie ist einfach in ein tiefes Sommerloch gefallen. War doch möglich! Oder etwa nicht?
Er las, dass die Abschusserlaubnis, die jeder Freizeitjäger für sich in Anspruch nehmen konnte, wieder aufgehoben wurde. Man wollte noch einmal Gnade vor Recht ergehen lassen, sollte das Mistvieh sich freiwillig stellen.
Na, das ist doch mal was, dachte sich der Schriftsteller. Er griff zum Stift, will sagen, der Tastatur des Computers, und erstellte eine kleine Geschichte, Schriftgröße 12, Schriftart Times New Roman. Er schrieb:
Da war eine Kuh in einem Stall und die war kreuzunglücklich. Sie hatte bereits zum zweiten Mal eine Fehlgeburt erlitten. Die künstliche Besamung mit dem Lebenssaft eines gekörten Zuchtbullen, tiefgefroren von der Samenbank geliefert und vom Tierarzt der Kuh Simone einverleibt, hatte ihr nicht gefallen und sie hatte die Kälbchen bald verworfen. Auch weil sie an unerlaubter Liebe litt. Simone liebte nämlich den Stier Bruno vom Nachbarhof. Der aber war zum Schlachter gebracht worden. Angeblich hatte er sich den Fuß gebrochen. Sicher war das nur eine Ausrede des Nachbarn, um den renitenten Kerl loszuwerden.
Als nach dem Tod von Bruno der Tierarzt zum dritten Mal mit Hochleistungssamen auf dem Hof erschien, da rannte Simone auf und davon. Sollten sie doch hinter ihr herhetzen, sollten sie sie doch jagen mit und ohne Gewehr, mit Wärmebildkamera und süßen Versprechungen. Simone ließ sich nicht ködern. Sie wollte freies Leben und freie Liebe, sie wollte nachts unter Bäumen schlafen, Wasser aus einem Bach saufen und sich den Bauch mit unsiliertem Futter vollschlagen. Und als ihr der Sinn nach Liebe mit einem Bullen stand, da suchte sie sich einen auf einer Weide. Als der Bulle das genießen durfte, wozu man ihn sonst nur mit Tricks gebracht hatte, nämlich statt eine Kuh nur ein Reagenzglas zu beglücken, da beschien der volle Mond ein rindviehglückliches Paar auf der Wiese.
Nach erfülltem Liebesgenuss trabte Simone wieder in den Wald und legte weitere Kilometer zwischen ihr freies Leben und den heimatlichen Stall. In ihr wuchs das Kind der freien Liebe heran und beizeiten suchte sie, einem uralten Instinkt folgend, einen geschützten Platz für die Geburt des Kälbchens.
Sie fand ihn in einem Sommerloch und dort fand sie der Schriftsteller Friedrich Emil Anton Gnad. Der kannte keine Gnade und verpfiff die glückliche Simone und ihr Neugeborenes an die Presse. Nun fanden sich der Schriftsteller und die Kuh samt Kalb unversehens vereint auf der ersten Seite der Zeitung der Öffentlichkeit preisgegeben. Das Sommerloch hatte es möglich gemacht, dass Friedrich Emil Anton Gnad kein unbekannter Schriftsteller mehr war.
Einundzwanzig Geschichten über das Zusammenleben von Mensch und Tier. Mit Humor und einem Augenzwinkern erzählt die Autorin vom alltäglichen, gelegentlich skurrilen Miteinander und Gegeneinander von allerlei Getier und den Menschen. Geschichten für Tierfreunde und für alle, die es noch werden wollen.