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Das Weihnachtsfussel

© Elke Link


Ich starrte auf das Päckchen, das mir der Postbote heute am 24. Dezember, in die Hand drückte, und erkannte die Schrift meines Bruders.
"Wir machen uns doch gar keine Weihnachtsgeschenke", war mein erster Gedanke.
Egal - ich riss die Verpackung auf und vor mir lag ein Kästchen, welches mir beim Öffnen ein fast zärtliches Lächeln abverlangte.
"Der Weihnachtsfussel von MEINEM Christkind", ich dachte diese Worte erst ganz langsam, um ihnen Würde zu verleihen und ganz leise, ehrfurchtsvoll und lautlos formten meine Lippen das Gedachte.
Ich musste mich erst einmal hinsetzen und las den Brief, den mir mein Bruder dazu gelegt hatte. Er schrieb mir, dass er dieses Kästchen in einem alten Schrank meiner Eltern gefunden habe und er glaube, dass der Inhalt des Kästchens sicher eine Bedeutung für mich hätte.
Da war sie wieder, die Erinnerung.
.Ich war vielleicht vier, fünf Jahre alt und wurde morgens in aller Herrgottsfrühe von einem ungewohnten Geräusch geweckt und ging schlaftrunken zur Türe, um nach zu schauen, was denn los sei.
Gott sei Dank - war die Schlafzimmertür nur angelehnt, so dass ich, ohne bemerkt zu werfen, einen Blick in die Diele werfen konnte.
Ich sah, wie Papa einen Riesenweihnachtsbaum quer durch die Diele ins Wohnzimmer zog. Mutti ermahnte ihn, leise zu sein, damit wir Kinder nicht wach werden würden Also wartete ich ab, bis die beiden im Wohnzimmer verschwunden waren und die Türe sich hinter ihnen schloss.
So geräuschlos wie möglich näherte ich mich vorsichtig der Wohnzimmertüre.
Unter mir knarckste etwas der Holzfußboden.
Purzi, mein Hund, stand einige Meter weiter im Türrahmen der Küchentüre und seine Öhrchen spitzten sich verheißungsvoll. Wir hatten Blickkontakt und Purzi wusste ganz genau, dass es jetzt irgendwie besonders darauf ankam, dass er still war und sich nicht rührte.
Ich hielt mir das linke Auge zu, um mit dem rechten besser durch das Schlüsselloch sehen zu können. Wer weiß, wie lange es mir vergönnt war, einen Einblick in das "Allerheiligste" zu wagen.
Irgendwie wurden plötzlich meine Augen vom vielen Schlüsselloch-Gucken müde und ich machte eine kleine Pause. Ich schaute wieder zu Purzi und irgendwie auf den Fußboden .und da sah ich ihn.
Er lag vor meinen Füßen.
Ein kleiner weißer Fussel, so fein, dass er bei jeder Bewegung, die ich tat, hin und her schwebte. Ich bückte mich vorsichtig zu ihm hinunter und nahm ihn in die Hand.
Ob es goldenes Engelshaar war oder eine glänzende Feder konnte ich nicht sagen, nur eines war mir klar, dass es etwas Heiliges war, etwas, das nicht von dieser Erde stammte, sondern aus dem Himmel kam und ich war mir jetzt sicher, dass das Christkind tatsächlich persönlich zu uns in unser Weihnachtszimmer gekommen sei und diesen Fussel verloren habe.
Ich hielt den Atem an und auch Purzi saß wie erstarrt da.
So sehr ich mich auch anstrengte, irgendwas zu hören - außer Papiergeknister und Stühle rücken drang nichts zu mir nach draußen.
"Mutti könnte doch mal mit dem Christkind sprechen, es vielleicht mal fragen, was es uns schenken will. Ob meine Puppen alle wieder aus dem Himmel zurück seien, ob mein Kaufmannsladen wieder, wie in all den Jahren zuvor, voll beladen, in der Ecke stehen würde."
Jedes Jahr, zwei, drei Wochen vor Weihnachten, waren alle meine Puppen plötzlich verschwunden. Evelyn, Claudia und Hansi - meine Spielgefährten, wurden regelmäßig zur Generalüberholung in die himmlische Weihnachtswerkstatt gebracht, und ich war immer wieder überrascht und erleichtert, wenn ich sie "aufgemotzt" unter dem Weihnachtsbaum sitzen sah.
Die Gesunden wurden gewaschen, bekamen wieder rote Bäckchen angemalt und neue Kleider angezogen und manchmal neue Strümpfe und Schuhe. Die neuen Strümpfchen waren unbedingt nötig, weil sie vom vielen An- und Ausziehen immer ziemlich mitgenommen aussahen.
Ich war zurück in meiner Kindheit.
"Dieses Jahr war für Evelyn ein schlechtes Jahr. Sie musste unbedingt in die Puppen-Klinik, sie sah ziemlich ramponiert aus.
Evelyn ist meine Lieblingspuppe. Sie hat hellblonde, seiden glänzende, lang gelockte Haare, hellblaue Augen und ein feines glattes Gesicht. Ich mag sie deshalb so gern, weil man ihre Haare so prima kämmen kann. Außerdem habe ich für sie, letztes Jahr Weihnachten, ein paar Anziehsachen geschenkt bekommen, die ich ordentlich in einem kleinen rot-karrierten Papp-Köfferchen mit Schnappschloss aufbewahre.
Evelyn ist einfach wunderschön. Doch vor ein paar Wochen wurde Evelyns Arm ausgekugelt, als meine Freundin Dagmar, sie mir aus der Hand reißen wollte. So sehr ich mich auch bemühte, es gelang mir nicht Evelyns Arm wieder an ihrem Körper zu befestigen. Außerdem war eines ihrer Glasaugen bei dem Kampf eingedrückt worden. Er war fürchterlich, der Gedanke, dass ihr Glasauge durch den ganzen Körper bis zum Po runter gefallen war. Es hat so gescheppert.Ich habe sehr geweint, aber davon ist auch nichts besser geworden.
Dann habe ich ja noch den Hansi, eine männliche Puppe.
Hansi ist ziemlich uninteressant. Irgend jemand hat ihn mir mal geschenkt.
Er hat Sepplhosen an und einen Tirolerhut auf dem Kopf. Was will man schon mit einem solchen Hansi anstellen? Aber nun ja - er sitzt halt eben dabei.
Umso lieber spiele ich mit Claudia, meiner Babypuppe.
Babypuppen braucht man halt. Mit Babypuppen kann man üben - für später. Für Claudia habe ich richtige Windeln, auch Creme und Puder. Ich kann Claudia sogar baden, sie weicht dabei überhaupt nicht auf. Mit Claudia muss man sich viel mehr beschäftigen, sie ist ja ein Baby und Babys muss man öfter trockenlegen und auf dem Arm halten, damit sie z.B. Bäuerchen machen können.
Das Christkind hatte ihr letztes Jahr eine rosa Ausfahrgarnitur geschenkt.
Mutti hat dem Christkind - glaub ich - beim Häkeln geholfen."
Ich saß da, mit meinem Weihnachtsfussel in der Hand, neben meinem eigenen Weihnachtsbaum, der noch bis zum Abend geschmückt werden musste und hatte irgendwie auf einmal - Plätzchen-Düfte in der Nase und meine Gedanken gingen wieder zurück.
Abends schickte man mich - früher als sonst - ins Bett. Ich hab aber dann auch nicht rumgemotzt, sondern bin gerne ins Bett gegangen, weil ich wusste, dass jetzt in der Küche Weihnachtsvorbereitungen getroffen wurden. Dann hörte ich die Nähmaschine rattern, die Stricknadeln klappern, die Schere schneiden, ich hörte Mutti den Faden abbeißen. Ganz leise sprach Mutti mit Oma, die natürlich nicht fehlen durfte, und manchmal glaubte ich, auch das Christkind gehört zu haben. Das Christkind war ganz bestimmt dabei.
An einigen Abenden waren Oma und das Christkind mit dem Plätzchenbacken beschäftigt. Nicht jeden Abend, denn wenn Handarbeiten angesagt waren, durfte der Tisch nicht mit Teig, Schokostreuseln und Kokusflocken verschmiert sein.
Aber wenn Oma backte, roch es immer so gut - und morgens, wenn ich aufstand, lag neben meiner Tasse Kakao ein Plätzchen, welches das Christkind für mich liegen gelassen hatte.
Oma backte jedes Jahr mehrere Weihnachtsstollen. Weihnachtsstollen mochte ich nicht so sehr, so was essen die Erwachsenen lieber, ich mag lieber Spritzgebäck, da ist immer so schön viel Schokolade drauf. Ach ja - auch die Sternenplätzchen mit dem bunten Zuckerstreusel, die sahen immer so lustig aus."
.und nun liegt er vor mir: MEIN WEIHNACHTSFUSSEL - 50 Jahre sind seither vergangen - eine Ewigkeit.
Es schellt draußen, sicher sind es meine Kinder. Ich muss schnell die Wohnzimmertüre zumachen, damit sie den Weihnachtsbaum nicht schon vor der Bescherung sehen.
Ich klappe mein Kästchen zu, halte es fest und werde es in Ehren halten.
Es war das schönste Weihnachtsgeschenk in diesem Jahr.
Es war noch mal ein Blick in meine Vergangenheit, meine Kindheit, meine Träume, meine Phantasien - in mein ICH



Eingereicht am 01. Juli 2006.
Herzlichen Dank an die Autorin / den Autor.
Dieser Text ist urheberrechtlich geschützt.
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