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Der Einbrecher und das Mädchen

© Marina Steiner


Dunkel war die Nacht. Kein einziger Stern war zu sehen. Das Licht des Mondes durchbrach nur einen kurzen Moment die dicke Wolkendecke. Doch dieser Moment genügte, um den Blick auf einen Schatten zu werfen. Er stand hinter einem Baum vor einem kleinen Haus, das mit bunten Lichtern umgeben war. Die Luft war klirrend kalt und sein Atem flog in kleinen Wölkchen davon. Die letzten Lichter in der Straße gingen aus, es herrschte Dunkelheit. Der Berg, auf den die Anwohner den Schnee vor ihren Häusern aufhäuften, war riesig und glitzerte. Der Mann wartete noch eine Weile und trat dann aus seinem Versteck hervor. Mit knirschenden Schritten huschte er zum Haus. Flink und leise knackte er die Haustüre. Eine kleine Kerze brannte im Flur. Ihr Lichtschein drang weit nach hinten und gab die Sicht auf drei Türen frei. Sofort war dem Einbrecher bewusst, dass er sich im falschen Haus befand. Er suchte reiche Leute für seine Raubzüge, doch dieses Haus hier war arm. Es war schlicht eingerichtet, am Haken hingen ein großer und drei kleine Mäntel. Sie waren an einigen Stellen geflickt. Ärgerlich über seinen Fehler beschloss er, alles mitzunehmen, das sich irgendwie zu Geld machen ließe, egal, wie spärlich die Ausbeute sein würde. Schon riss er die erste Türe auf. Vor ihm in einem kleinen Bett schnarchte eine alte Dame. Daneben auf dem zerschlissenen Sofa schliefen ruhig und dicht aneinander gedrängt drei kleine Kinder. Der Mann schloss leise die Tür und öffnete die nächste. Die schäbige, aber blitzsaubere Küche verbarg auch keine Schätze. Die dritte Tür jedoch bot den Blick in ein wunderschönes Wohnzimmer. Sein Blick fiel sofort auf den alten Eichenschrank, neben einem antiken, dunkelroten Sofa. Von der Decke hing ein schöner Leuchter, doch leider nicht mitzunehmen. Dann wurde im Schein der Taschenlampe seine Aufmerksamkeit ganz auf eine alte Vase gezogen. Sie schien ein kleines Vermögen wert zu sein und passte gar nicht in dieses Haus. Der Einbrecher konnte sich nicht erklären, wieso die alte Frau diesen Schatz nicht verkauft hatte, um besser Leben zu können. Der Mann grinste. Diese antike Vase war es wert, hier eingestiegen zu sein. Seine gute Nase für lohnende Geschäfte hatte ihn also doch nicht im Stich gelassen. Flink verschwand er mit der Beute, ungesehen. Jedenfalls dachte er das.
Einige Tage vergingen, bisher hatte Leo Schwartz noch keinen Käufer für seine gestohlene Ware gefunden. Dann brach sie an, die verhängnisvolle Nacht zum vierundzwanzigsten Dezember. Leo war gerade vor seinem Fernseher eingenickt, als es plötzlich an der Haustüre läutete. Ärgerlich über die Störung stand er auf, schaltete den Fernseher aus und öffnete die Tür. Ein Kind stand vor ihm. Mit langen, blonden, leuchtenden Haaren. Die hellblauen Augen des Mädchens strahlten, sahen aber gleichzeitig unendlich traurig zu dem Mann auf.
"Was willst du hier!" fauchte Leo.
"Ich will Gerechtigkeit, Leo Schwartz." antwortete sie mit heller und klarer Stimme. Leo stutzte. An seinem Türschild stand lediglich sein Nachname.
"Woher kennst du meinen Namen, kleines Mädchen?" Das Mädchen sah ihn noch immer mit traurigen Augen an.
"Ich denke, das, was wir zu besprechen haben, ist nichts für die Ohren anderer Leute. Darf ich reinkommen?"
Widerwillig gab der Mann die Tür frei. "Gehen wir ins Wohnzimmer, Leo Schwartz. Es ist der einzige Raum, den Sie aufgeräumt haben." Zielstrebig steuerte das Mädchen die Tür an, aus der noch immer Licht brannte. Leo folgte ihr mit etwas Abstand. Das Ganze wurde ihm langsam unheimlich.
"Woher weißt du das alles?"
Die Kleine seufzte. "Das, Leo Schwartz, würden Sie mir sowieso nicht glauben. Die Zeit ist noch nicht reif." Das Mädchen machte es sich in einem Sessel bequem und strahlte ihn wieder aus traurigen Augen an. Leo wurde sichtlich nervös.
"Ich wünsche mir Gerechtigkeit auf Erden, Leo Schwartz," begann sie. "Und ich möchte Sie bitten, der alten Dame in Haus Nr. 7 ihre Vase zurückzugeben. Die Dame ist ohnehin schon sehr arm. Um Ihre Frage zu beantworten, sie will die Vase nicht verkaufen, auch wenn sie dadurch ein besseres Leben führen könnte. Die Vase war ein Geschenk ihrer Mutter. Sie hat sie sehr geliebt."
Leo zuckte zusammen. Er erinnerte sich an seine Frage, aber er hatte sie nicht laut ausgesprochen!
"Leo Schwartz, ich bitte Sie, den Diebstahl einzugestehen und der alten Dame die Vase zurückzubringen. Und zwar morgen! Morgen ist Weihnachten, Christi Geburt." - "Ich werde gar nichts tun! Auf gar keinen Fall werde ich mich stellen!" schrie er aufgebracht und gleichzeitig wunderte er sich, warum er es nicht fertig brachte, das Mädchen vor die Tür zu setzen.
Traurig seufzend sah sie ihn an. "Ich will Sie nicht aufgeben, Leo Schwartz, ich habe immer noch Hoffnung in Sie." Mit diesen Worten ging es lautlos zur Tür. Nein, es ging nicht, es schwebte und berührte kaum den Boden. Leo ließ sich in einen Sessel fallen und sah sich noch einmal die Vase an. Wieviel Geld konnte er mit ihr wohl verdienen? Nein, er würde sie nicht zurückbringen.
Den nächsten Tag verbrachte er damit, die Gegend zu erkunden, um neue lohnende Geschäfte zu finden. Doch er wurde nicht glücklich damit. Immer wieder dachte er an das Mädchen mit den traurigen Augen. Und dann sah er es wieder. Es saß auf einer Parkbank und beobachtete ihn. Mürrisch drehte er sich um und trabte nach Hause. Die Stunden verrannen, langsam wurde es draußen dunkel. Leo stand einige Zeit am Fenster und blickte griesgrämig die Straße hinunter. Die Glocken läuteten zur Weihnachtsmesse. Als er die vielen Menschen glücklich die Straße entlang gehen sah, wurde er traurig. Er fühlte sich plötzlich sehr einsam. Kurz entschlossen packte er die Vase in Papier und marschierte zu Haus Nr. 7. Doch dann verließ ihn sein Mut. Er wollte schon fast umkehren, da erspähte er wieder das Mädchen. Es sah ihn kurz an und setzte dann seinen Weg fort. Leo blickte ihr kurz nach. Zögerlich drückte er auf die Klingel. Die Weihnachtsmusik verstummte, Schritte näherten sich. Die Tür wurde aufgeschlossen und eine alte Dame sah ihn neugierig an.
"Frohe Weihnachten! Was kann ich für Sie tun?" - "Ich wollte Ihnen, ähm..." Leo räusperte sich. "Ist vor einigen Tagen zufällig bei Ihnen eingebrochen worden?"
Die alte Frau lächelte. "Ganz recht. Aber der Einbrecher wird kommen und das Diebesgut zurückbringen." - "Woher wollen Sie das wissen?" fragte er verblüfft.
"Ich fühle es."
Verwirrt drehte er sich nach allen Seiten um, doch das sonderbare Mädchen war verschwunden. "Also, was ich sagen will, also, der Einbrecher war ich." Leo holte tief Luft. "Und hier ist Ihre Vase."
Kurzerhand drehte er sich um und wollte verschwinden, doch die alte Dame rief ihn zurück.
"Warten Sie doch! Wollen Sie nicht reinkommen? Ich habe Glühwein und köstliche, selbstgebackene Plätzchen. Meine drei Enkel würden sich auch freuen."
Leo zögerte, doch dann strahlte er bis über beide Ohren. Er würde ein Weihnachtsfest endlich wieder unter Menschen verbringen und nicht einsam in seiner Wohnung sitzen. Dankbar trat er hinter der Dame ins Haus und steuerte das Wohnzimmer an.
"Darf ich vorstellen? Das sind meine Enkel Peter, Alexander und Matthias."
Die Weihnachtsmusik wurde wieder aufgedreht. "Ich bin Leo. Tut mir leid, dass ich keine Geschenke für euch habe." Verlegen blickte er in die Runde.
"Du brauchst uns nichts zu schenken, Leo. Spielst du mit uns?" - "Gern!" lachte er. Als er einen kurzen Blick auf den wunderschön bunt dekorierten Weihnachtsbaum sah, zuckte er zusammen. Hinter dem Baum lachte ein junges Mädchen mit einem leuchtenden Gewand und mit glücklich strahlenden Augen. Dann verschwand es. An dieses Mädchen erinnerte sich Leo nur zu gut.
"Entschuldigung." wandte sich Leo an die alte Frau. "Wohnen Sie mit den Kindern eigentlich allein? Oder ist noch jemand im Haus?"
"Nein, wir wohnen allein." Sie lächelte. "Aber wir bekommen oft Besuch. Ein nettes Mädchen. Leider bleibt es nie lange. Aber ich glaube, Sie kennen sie bereits. Da bin ich sicher."
Und tief in seinem Herzen hörte Leo eine Stimme.
"Gut gemacht, Leo Schwartz." Es war die Stimme des Mädchens.
Und da begriff er. Es war ein Engel, der ihn besucht hatte.



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