Christine, Romeo und ich
© Oliver Fahn
Endlich hatte sich das Warten gelohnt, der lang ersehnte 24. Dezember stand in der Tür. Ich bildete mir an diesem heiligen Datum immer ein, dass ich überall Christbäume und Zimtsterne riechen konnte, ja, ich träumte mit offenen Augen von dem weihnachtlichen Allerlei. Wie oft begaben wir uns, also Christine und ich, auf Christkindlmärkte, nur um die besinnliche Stimmung einzufangen. Christine versuchte sich an der Harfe und ich sang dazu fröhliche, harmonische Lieder. Es kehrte ein Hauch von Ruhe in unsere Herzen,
eine willkommene Abwechslung zur lärmenden Normalität. Wir gedachten der Armen in der dritten Welt, erleichterten unsere Geldbeutel für einen guten Zweck und verzichteten auf überflüssige Geschenke. Romeo fehlte uns!
An diesem Abend ließen wir Kerzen scheinen, dieses wunderbar, romantische Licht. Wir mussten niemanden von einem vorbei fliegenden Christkind erzählen. Christine und ich genossen die traute Zweisamkeit, aßen Maronen und Stollen, reichlich von allem, unsere Bäuche schmerzten aufgrund unseres maßlosen Essverhaltens. Ein herber Vanilleduft mischte sich unter die Geschmacksnerven und der künstliche Schnee und das Lametta auf unserem Baum ließ unsere Augen erleuchten, wie in Kindertagen. Wir tranken einen schweren
Rotwein, der die winterliche Melancholie von unserer Seele trieb. Christine und ich wurden lockerer als es an einem heiligen Abend sein sollte. Romeo fehlte uns!
Im Radio dudelte Dean Martin, Christine warf einen Blick aus dem Wohnzimmerfenster, der erste richtige Schnee war gefallen. Das erste Mal in diesem Winter sahen die Hügel vor unserem Haus riesigen Zuckerbergen gleich. Christine dachte an ihre wilden Schneeballschlachten zurück, auch ich schwelgte in den Erinnerungen an meine Familie, als wir noch alle gemeinsam feierten. Jeder Winter forderte seine Opfer, das war so gewesen, seid ich ein großer Junge war. Ich sah Christine an, als wollte ich sie darum bitten,
mir die Treue auf ewig zu schwören. Aber ich wusste, eine Weihnacht würde auch unsere letzte gemeinsame sein. Die Schneeflocken bedeckten die dürren Obstbäume vor unserer Tür und wir waren einfach nur zufrieden, eine warme Stube zu besitzen. Romeo fehlte uns!
Christines mädchenhaftes Gesicht spiegelte sich in den zahlreichen Christbaumkugeln. Ich versuchte den stillen Moment und die Perfektion des selbigen aufzusaugen. Christine nahm meine Schulter und streichelte anschließend meinen Rücken. Sie schaute sehr zuversichtlich drein. Schließlich waren es nur noch wenige Tage bis zum Anbruch des neuen Jahres. Eine Vielzahl von Chancen stand vor der Tür, eine Zeit, die schlechten Gewohnheiten zu minimieren. Christine und ich wussten noch nicht, was wir uns vornehmen würden,
aber bis jetzt kamen noch jedes Jahr tolle Ideen und die Monate danach, in denen die Vorsätze klammheimlich gebrochen wurden. Romeo fehlte uns!
Genau drei Jahre waren vergangen, als ich mit Romeo beim Schlittschuhlaufen gewesen bin. Er war ein aufgeweckter, sportlicher Junge. Der See vor unserem Haus, den ich direkt von hier oben ersehen konnte, war vor drei Jahren zugefroren. Ich sah Romeo mit seinen Schlittschuhen herumtollen, Christine hatte uns zur Vorsicht gemahnt. Romeo und ich lächelten gutmütig und verabschiedeten uns. Das Eis war an manchen Stellen dünner, als ich erahnen konnte. Ich stand auch an diesem Weihnachten an dem Fenster, Christine
und ich, jeder Winter fordert seine Opfer. Romeo, du fehlst uns!
Home Page
|
Weihnachtsgeschichten
|
Kurzgeschichten Überblick
|
Seitenanfang